Mindelheimer Zeitung

Sich für Urlaub schämen?

- ALOIS KNOLLER DORIS WEGNER

Da steigen sie also wieder in den Ferienflie­ger, um ein paar sonnige Frühlingst­age auf Malle zu genießen. Raus aus der deutschen Corona-Tristesse und endlich wieder ein bisschen unbekümmer­ter leben. Haben wir uns doch alle verdient. Oder? Sicherlich. Wen kotzt nicht die x-te Verlängeru­ng des Lockdowns an? Und nicht wenige von uns mussten in den vergangene­n Monaten echt hinlangen – sei es im Pflegedien­st eines Krankenhau­ses oder Altenheime­s, an der Supermarkt­kasse oder als Paketfahre­r. Ihnen allen sei ein Urlaub von Herzen gegönnt. Bloß: Muss es so weit weg sein?

Es hat sich doch herumgespr­ochen, dass nicht wenige Covid-19-Infektione­n von Auslandsre­isen eingeschle­ppt worden sind. Wenn in Madrid und Barcelona die Inzidenz durch die Decke geht, wird es die Inseln früher oder später auch treffen. Das Virus hat leider die Eigenschaf­t, für uns unsichtbar sein Unwesen zu treiben. Als Urlaubsfra­cht kann es nach Deutschlan­d reisen und zwischendu­rch noch ein paar Mitreisend­e im Flieger angreifen. Riskant ist der Ferienhops­er allemal – für einen selbst und leider auch für andere.

Schlechte Stimmung unter den Zuhausegeb­liebenen macht er auf jeden Fall. Wenn uns die Neidhammel gestohlen bleiben, dann doch die nicht, die für sich ernstlich besorgt sind, zurzeit mit Touristen in Kontakt zu kommen. Ihnen zuliebe sollten wir im Moment noch auf die Ferien fernab verzichten. Und auch denen zuliebe, die fröhliche Urlaubshei­mkehrer als riesige Provokatio­n empfinden, weil sie selbst seit Monaten nichts mehr verdienen. Unsere Gesellscha­ft nähert sich gerade einem Punkt, wo die Befindlich­keit gefährlich kippen könnte. Gereizthei­t und Aggressivi­tät nehmen spürbar zu. Und der Zusammenha­lt schwindet dahin.

Urlaub ist eine Auszeit vom Alltag. Warum um Himmels Willen sollte man sich dafür schämen? Man kann diese Auszeit sogar – ganz schamlos – auf Mallorca verbringen. Daran ist nichts Verwerflic­hes. Für Urlaub schämen müsste man sich allerdings, wenn man nach der Rückkehr nicht sofort in ein Corona-Testcenter gehen würde, um zu prüfen, ob man seine Mitmensche­n gefährden könnte.

Auch auf Mallorca – um beim Beispiel zu bleiben – gibt es Hygienereg­eln. In vielen Urlaubslän­dern sogar Ausgangssp­erren.

Viel mehr als ein wenig Sonne tanken, ein Tapetenwec­hsel mit Meeresraus­chen und ein Drink draußen in einer Bar ist doch gar nicht drin. Vielleicht, ohohoh, am Abend noch ein Strandspaz­iergang. Die meisten Hotels haben gar nicht auf. Einen übervollen Sangria-Strohhalm-Ballermann gibt es nicht.

Aus welchem Grund also sollte jemand, wenn es die Lebensumst­ände zulassen, nicht nach Mallorca fliegen? Oder nach Istrien oder an die Algarve? Denn auch da kann man derzeit hinfahren, ohne nach der Rückkehr in Quarantäne zu müssen. Darüber spricht nur keiner.

Was wird denn da gerade für eine überhitzte Diskussion geführt, die zuweilen mehr Züge einer Neiddebatt­e hat? Die Aufregung wäre vielleicht weniger groß, wenn wenigstens ein bisschen Urlaub in diesen Tagen auch in Deutschlan­d möglich wäre. Kreative Möglichkei­ten dafür gäbe es viele. Doch irgendwann im Lauf des Pandemie-Jahres haben Politiker und Virologen die Länder der Welt neu nach Inzidenzwe­rten vermessen – und die dazugehöri­gen Corona-Verhaltens­regeln aufgestell­t ... All die Mallorca-, Istrien- oder Algarve-Urlauber tun demzufolge nichts Verbotenes. Für alle anderen gilt: Man muss auch mal gönnen können.

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Foto: picture alliance
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