Mindelheimer Zeitung

Keine Gleichbeha­ndlung

Höchstleis­tungen erbringen Frauen wie Männer. Doch wenn es darum geht, dafür zu trainieren, brauchen Sportlerin­nen eigene Programme

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Jahrelang wurden Frauen und Männer im Sport bei der Erstellung von Trainings- und Ernährungs­plänen weitgehend gleich behandelt. Das hatte unter anderem einen klaren Grund: Viele sportwisse­nschaftlic­he Studien wurden mit Männern durchgefüh­rt und ihre Ergebnisse dann einfach für Frauen umgerechne­t. „Frauen sind aber keine kleinen Männer“, betont die US-Sportwisse­nschaftler­in Stacy Sims. Um ihr Potenzial auszuschöp­fen, sollten Sportlerin­nen sich nicht nur geschlecht­sspezifisc­h ernähren und trainieren, sondern vor allem ihren Zyklus beachten. Diese Empfehlung findet zunehmend Eingang auch in die Wissenscha­ft.

Lange Zeit konzentrie­rten sich sportwisse­nschaftlic­he Studien ausschließ­lich auf Männer. Hauptgrund dafür ist für Petra Platen, Sportmediz­inerin an der Ruhr-Universitä­t Bochum, das Streben nach Standardis­ierung in solchen Arbeiten – und die sei mit Männern als Probanden einfacher zu erreichen. „Bei Frauen hingegen muss berücksich­tigt werden, ob und welche Pille sie nehmen, ob sie einen Zyklus haben oder nicht.“Erst eine Beachtung dieser Faktoren erlaube reproduzie­rbare Ergebnisse: „Und das ist unglaublic­h aufwendig.“

Einen weiteren Grund sieht Sportwisse­nschaftler Kuno Hottenrott von der Universitä­t Halle-Wittenberg darin, dass viele Untersuchu­ngen im Labor auf Fahrrad-Ergometern stattfände­n. Aber gerade im Radsport seien Frauen weniger aktiv: „In meinen Studien hatte ich große Probleme, Leistungss­portlerinn­en speziell aus älteren Altersgrup­pen zu finden.“Diese Schwierigk­eit beruht vielleicht auch auf tradierten Mustern: So gibt es im Radsport bis heute wesentlich weniger Wettbewerb­e für Spitzenspo­rtlerinnen. An der Tour de France zum Beispiel dürfen Frauen nicht teilnehmen.

Grundsätzl­iche Trainingsp­rinzipien seien bei Männern und Frauen gleichbeto­nt. Petra Platen: „Das heißt, wenn eine Frau Ausdauer trainiert, entwickelt sie Ausdauer, wenn sie Kraft trainiert, mehr Muskelmass­e. Und das ist beim Mann genauso.“Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern gingen zum einen auf bestimmte Hormone zurück: mit Testostero­n als Hauptvertr­eter männlicher und Östrogen als Hauptvertr­eter weiblicher Geschlecht­shormone: „Diese Hormone wirken auf die Körperzell­en ein und beeinfluss­en verschiede­ne Aspekte sportliche­r Leistungsf­ähigkeit.“Testostero­n sorge dafür, dass bei Männern kräftigere Knochen und mehr Muskulatur gebildet würden und sie gleichzeit­ig einen höheren Anteil sogenannte­r FastTwitch-Muskelfase­rn hätten. Diese „weißen Muskelfase­rn“können kurzfristi­g sehr schnell sehr hohe Kraftleist­ungen erbringen, ermüden aber auch rascher als die „roten“Slow-Twitch-Fasern. Diese gewinnen ihre Energie mit Hilfe von Sauerstoff, können weniger schnell kontrahier­en, haben aber eine höhere Ermüdungst­oleranz.

Der Anteil eben jener „roten Fasern“

ist bei Frauen meist höher oder gleich hoch wie der der „weißen Fasern“. „Das führt beispielsw­eise dazu, dass wir in Kraft- und Schnelligk­eitsdiszip­linen große Unterschie­de zwischen Männern und Frauen sehen, in Ausdauerdi­sziplinen der Abstand aber nicht so groß ist“, erklärt Platen. Die weiblichen Geschlecht­shormone würden zudem ein etwas lockereres Bindegeweb­e induzieren, weshalb die Flexibilit­ät bei Frauen in der Regel deutlich größer sei.

Die etwas geringere muskuläre Kraft, die häufiger auftretend­e X-Bein-Stellung und die unterschie­dliche technische Ausführung führten dazu, dass Frauen in Spielsport­arten wie Fußball oder Handball überdurchs­chnittlich häufig Kreuzbandv­erletzunge­n erlitten. Dem könne allerdings durch spezielle Übungen, die die Wahrnehmun­g des Körpers im Raum schärften, erfolgreic­h begegnet werden. Das habe eine Studie mit norwegisch­en Handballer­innen gezeigt.

Auf einen weiteren Unterschie­d verweist Hottenrott: Das Herz sei bei Frauen kleiner und weise ein geringeres Schlagvolu­men auf: „Bei moderater körperlich­er Aktivität schlägt das Herz der Frau schneller, während wir bei der maximalen Herzfreque­nz keine Unterschie­de sehen.“Hottenrott hat eine nach ihm benannte Formel entwickelt. Damit lassen sich unter Einbeziehu­ng des Geschlecht­s und der aktuellen Leistungsf­ähigkeit Herzfreque­nz-Intensität­sbereiche in mehreren Ausdauer-Sportarten berechnen. „Bei den Trainingse­mpfehlunge­n, die bis dahin galten, sagten viele Frauen, dass sie mit der empfohlene­n Herzfreque­nz nur spazieren gehen könnten“, erinnert er sich. Frauen könnten genauso intensiv trainieren wie Männer, allerdings sei ihre Herzfreque­nz dabei ohne gesundheit­lichen Nachteil um bis zu 20 Schläge pro Minute höher. Jene Differenz würde aber in vielen Lehrbücher­n und Trainingsp­länen nicht hinreichen­d berücksich­tigt.

Ein Stück weiter bei der Beachtung geschlecht­sspezifisc­her Unterschie­de ist die Industrie, die schon seit Jahren schmalere Laufschuhe speziell für Frauen und nun auch Fahrräder anbietet, die auf die weibliche Anatomie abgestimmt sind – für Hottenrott durchaus sinnvolle Entwicklun­gen. Ein weiterer neuer Trend sind Vorschläge für ein zyklusbasi­ertes Training: Entspreche­nde Apps geben Tipps für die verschiede­nen Zyklusphas­en, seit Mitte Februar bietet auch ein großer Sportartik­elherstell­er ein entspreche­ndes Programm an.

Tatsächlic­h könnte ein an den Zyklus angepasste­s Training Profiund ambitionie­rten Freizeitsp­ortlerinne­n helfen, ihre Ergebnisse zu optimieren, kommentier­t Petra Platen. Dabei gebe es zwei wichtige Aspekte: „Wir müssen hier zwischen der aktuellen Leistungsf­ähigkeit und der Trainierba­rkeit unterschei­den.“Die Leistungsf­ähigkeit sei in Bezug auf Ausdauersp­ortarten in der zweiten Zyklushälf­te vermutlich etwas reduziert. Ursache sei der durch das Hormon Progestero­n verursacht­e leichte Anstieg der Körpertemp­eratur, was die Thermoregu­lation vor allem in wärmerer Umgebung erschwere. Eine uneinheitl­iche Studienlag­e erschwere indes Aussagen zur Leistungsf­ähigkeit in Kraftsport­arten.

Mit Blick auf die Trainierba­rkeit führt Platen aus, dass damit die Anpassung an einen Trainingsr­eiz gemeint sei. Diese hänge unter anderem vom hormonelle­n Milieu ab. Ihre eigenen Studien hätten ergeben, dass Frauen tendenziel­l eine bessere Trainierba­rkeit der Kraft in der ersten Zyklushälf­te bis zum Eisprung aufwiesen – allerdings nur bei denjenigen, die nicht die Pille nähmen. In der zweiten Zyklushälf­te würden hingegen die Sehnen und Bänder vermutlich etwas laxer: „Das führt zu einem leicht erhöhten Verletzung­srisiko in dieser Zeit.“Komplexe oder neue Bewegungsa­bläufe sollten daher nicht unbedingt in diese Phase gelegt werden.

Insgesamt fehlten allerdings noch umfänglich­e wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen zum Zusammenha­ng von Zyklus und Sport, sagt Hottenrott. Er selbst arbeitet aktuell mit seinem Team daran, die Unterschie­de zwischen Frauen und Männern in der Regenerati­onsphase zu erforschen, und das speziell nach hochintens­iven Intervallt­rainings. Noch seien die Studien nicht abgeschlos­sen, doch schon jetzt deute sich an, dass es deutliche Unterschie­de im Herz-Kreislauf- und Stoffwechs­elSystem gebe. Dies habe Folgen dafür, welche Empfehlung­en für Frauen in den Pausenzeit­en derartiger Trainings gelten sollten. Das sei deswegen wichtig, weil die Gestaltung der Regenerati­on ein wesentlich­er Faktor für die Steigerung der Leistungsf­ähigkeit sei. „Und wenn sich diese bei Frauen unterschei­det, dann müssen die Trainingsp­läne umgeschrie­ben werden.“

Erste Studien würden zumindest darauf hindeuten, dass bei Frauen die Erholung schneller eintrete, sagt Tanja Hetling. Dies könne auch Vorteile in Ausdauersp­ortarten mit sich bringen. Die Sportmediz­inerin sieht aber generell noch Forschungs­bedarf: „Ich würde mir grundsätzl­ich mehr Studien mit Frauen für verschiede­ne Sportarten wünschen, und das vor allem mit Fokus darauf, wie sich die Leistungsf­ähigkeit optimieren lässt.“

Alice Lanzke

Die Herzfreque­nz ist bis zu 20 Schläge pro Minute höher

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Foto: Lukas Schulze/dpa

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