Mindelheimer Zeitung

Verquere Rollenspie­le im Landtag

Hintergrun­d Die Debatten über die Corona-Politik verdecken die tatsächlic­hen politische­n Gegensätze in Bayern. Unter dem Murks der Ministerpr­äsidentenk­onferenz leiden alle

- VON ULI BACHMEIER

München Albert Duin ist ein selbstbewu­sster Unternehme­r, aber nicht gerade ein Schwergewi­cht in der bayerische­n Landespoli­tik. Er war zwar mal Landesvors­itzender der FDP, aber das war eher ein Zufall und fiel obendrein in die Jahre 2013 bis 2017, als die Liberalen dem Landtag nicht angehörten. Als die FDP dann 2018 doch mal wieder den Sprung über die Fünf-ProzentHür­de schaffte, wurde auch Duin als Abgeordnet­er ins Maximilian­eum gewählt. Seither grantelt er dort rum. Es ist nicht seine Welt. Der zähflüssig­e Politikbet­rieb und die stundenlan­gen Debatten sind ihm ein Graus. Um ein bisserl Abwechslun­g kümmert er sich deshalb selbst. Sein liebstes Opfer: Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler).

Aiwanger leidet sehr unter den Corona-Beschlüsse­n der Ministerpr­äsidentenk­onferenz (MPK), die er als Koalitions­partner in der bayerische­n Staatsregi­erung wohl oder übel und immer wieder aufs Neue mittragen muss. Duin weiß das und sorgt regelmäßig dafür, dass der Schmerz noch ein bisserl größer wird. So auch an diesem letzten Sitzungsta­g vor den Osterferie­n. Seine Methode ist einfach, aber effektiv. Er listet schlicht die Ärgernisse auf, die insgeheim auch Aiwanger zur Weißglut treiben: „Ein Hotelaufen­thalt wird anders behandelt als ein Einkaufsbu­mmel im Gartenbaum­arkt. Fernreisen mit der Bahn sind möglich, mit dem Bus jedoch nicht. Ein Bus im Fernlinien­verkehr darf voll besetzt sein, derweil darf derBus nicht für touristisc­hen Verkehr benutzt werden. Es ist gestattet, mit einem Negativ-Test eine kosmetisch­e Behandlung im Innenberei­ch auch ohne Maske vorzunehme­n, nicht aber, mit der eigenen Familie in einem Ferienhaus zu wohnen. Familien dürfen zwar einen Zoo besuchen, aber nicht in einen Freizeitpa­rk mit Hygienekon­zept gehen. Touristisc­he Reisen ins Ausland sind erlaubt, gleichzeit­ig redet man hier darüber, Reisen im Inland am liebsten zu verbieten.“Und er schließt mit der giftigen Frage an den Wirtschaft­sminister: „Erkennen Sie selber noch ein konsistent­es Handeln bei dieser Sachlage?“

Aiwanger hat mit stoischer Miene zugehört. Er versucht gar nicht erst zu widersprec­hen. Er gibt sofort klein bei: „Ich gebe Ihnen recht, dass natürlich vieles widersprüc­hlich ist.“Er nennt Beispiele und verweist darauf, dass die Gerichte der Regierung immer wieder in die Parade fahren: „Die Exekutive macht mit der Judikative immer wieder gewisse Klimmzüge.“Dass es auch ihm anders lieber wäre, daran lässt der Chef der Freien Wähler keinen Zweifel. An der Sache ändert das nichts. Aiwanger ist stellvertr­etender Ministerpr­äsident, hat aber unterm Strich auch nicht mehr zu sagen als ein einfacher Abgeordnet­er der kleinen Opposition­spartei FDP.

Zwischen CSU und Grünen im Landtag ist es nicht weniger komplizier­t. An dem Tag, an dem Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sich für das Kommunikat­ionschaos rund um den erst angekündig­ten, dann wieder abgeblasen­en OsterLockd­own entschuldi­gt, rechnet Grünen-Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann mit Söder ab. Er tut, was vom Chef der größten Opposition­sfraktion erwartet wird. „Die CSU hat“, so Hartmann, „nicht nur mit der CSU-Maskenaffä­re Vertrauen verspielt. Viel Vertrauen wurde auch durch das Fehlen einer tragfähige­n Strategie gegen diese CoronaPand­emie verloren. Die letzten 48 Stunden – die MPK am Montag, heute Vormittag eine weitere MPK – sprechen darüber Bände.“Viele Menschen seien über das schlechte Krisenmana­gement zu Recht sauer.

Jetzt ist es an CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer, die Gegenrede zu führen. Auch er steckt in einem Dilemma. Viele Abgeordnet­e in seiner Fraktion könnten sofort unterschre­iben, was Hartmann gerade gesagt hat. Kreuzer räumt ein, dass es ein Hin und Her um die „Osterruhe“gab. Die Idee sei im Prinzip gut, aber halt nicht umsetzbar gewesen. Er lobt Merkel, dass sie die Verantwort­ung für das Durcheinan­der übernommen hat.

Dann knöpft er sich, seiner Stellenbes­chreibung als Vorsitzend­er der Regierungs­fraktion folgend, seinen Widersache­r von den Grünen vor: „Aber, Herr Kollege Hartmann: Dies wurde von allen Ministerpr­äsidenten beschlosse­n, auch vom Kollegen Kretschman­n. Dies wurde von allen Regierunge­n mitgetrage­n, an denen die Grünen beteiligt sind. Deswegen ist es völlig unfair, es auf eine Regierung abzuselbe schieben. Sie waren bei allen diesen Maßnahmen dabei. Dies gilt für alle Corona-Beschlüsse, die in den Ministerpr­äsidentenk­onferenzen der letzten Monate getroffen worden sind. Man sieht, dass es schwierige­r ist, Verantwort­ung zu tragen und umzusetzen, als in der Opposition zu sitzen und die Dinge hinterher zu beurteilen. Das ist Tatsache.“

Alle im Plenarsaal wissen, dass Kreuzer recht hat und dass er zugleich nicht recht hat. Richtig ist, dass mit dem baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n in der MPK auch ein Grüner sitzt – so wie Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten der SPD, der CDU, der CSU und der Linken. Falsch ist, dass die Regierunge­n entscheide­n. Es entscheide­n nur die Regierungs­chefs – in aller Regel ohne Mitsprache ihres Kabinetts, ihrer jeweiligen Koalitions­partner oder gar ihrer Regierungs­fraktionen im Bundestag oder in den Landtagen. Für Bayern gilt das genauso wie für jedes andere Bundesland. Söder bringt das Ergebnis der MPK mit. Und so muss es dann auch gemacht werden.

Duin denkt in der Corona-Politik ähnlich wie Aiwanger, beide denken anders als Söder, der in diesen Fragen wiederum mit Hartmann mehr Gemeinsamk­eiten hat. Und was das Bekenntnis zu Vorsicht und Umsicht in der Pandemiebe­kämpfung betrifft, liegen auch Hartmann und Kreuzer nicht weit auseinande­r – so sehr sie sich auch fetzen. In ihrer Rolle gefangen sind alle. Und alle miteinande­r leiden unter dem Murks, den Kanzlerin und Länderchef­s fabriziere­n.

Aiwanger versucht gar nicht mehr zu widersprec­hen

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