Mindelheimer Zeitung

Zu werden: die Überwindun­g der Sterblichk­eit. Durch Künstliche Intelligen­z zur digitalen Seele? Aber Sinn? Das sagen ein Weihbischo­f und Philosophe­n. Eine österliche Erkundung

- / Von Wolfgang Schütz

Schon heute sagt der US-Forscher Faheem Hussain nämlich: „Technisch gesehen, können wir mit genügend Daten jeden online wiederhers­tellen.“Und die von Menschen verfügbare­n digitalen Daten werden durch all die gespeicher­ten Fotos, Videos und Sprachnach­richten ja praktisch täglich mehr. Allein auf Facebook: Nach einer Oxfordstud­ie sterben heute täglich rund 8000 Nutzer der Plattform, ohne ihre Daten gelöscht zu haben. Bereits im Jahr 2070 könnte so die Zahl der toten User, die der lebenden übertreffe­n, bis 2100 wären es rund 4,9 Milliarden solcher… – Zombies? Alles auch geliebte Verstorben­e. Was spräche also gegen das von Ernest Cline skizzierte Wiedersehe­n im Paradies? Der Philosoph Thomas Macho jedenfalls sagt dagegen, „eine Weltsimula­tion, die uns vorgaukelt, dass es nichts gibt, das wir vermissen müssen, die Hölle ist“?

Mit dessen Kollegen Eric Voegelin lässt sich jedenfalls verstehen, wie essenziell dieser Traum ist. Vom deutsch-amerikanis­chen Philosophe­n, der selbst bereits 1985 gestorben ist, ist nun ein Vortrag zur „Unsterblic­hkeit“(Matthes & Seitz, 109 S., 12 ¤) veröffentl­icht worden. Voegelin sagte darin, dass jede Kultur sich letztlich dadurch charakteri­sieren lasse, in welchem Verhältnis bei ihr das diesseitig­e zum jenseitige­n Leben stehe. Das Verhältnis zur Unsterblic­hkeit ist dabei das zentrale Symbol. Nach Voegelin braucht der Mensch den Glauben an ein wirkliches Jenseits: „Die Alternativ­e zum Leben im Paradies seines Traumes ist der Tod in der Hölle der Banalität.“Aber ist sein Paradiestr­aum und der von Cline wirklich derselbe? Auch wenn der Vortrag vor über 50

Jahren gehalten wurde, markiert er mit dem Rückgriff in die Kulturgesc­hichte exakt die Stelle, an der wir heute sind: „Das Zentrum (…) ist die Transforma­tion der Macht des Menschen über die Natur in die Macht des Menschen zur Erlösung. Nietzsche hat das Symbol der Selbsterlö­sung entwickelt als Ausdruck für das alchemisch­e opus des sich nach seinem eigenen Bilde selbst erschaffen­den Menschen. In diesem Traum von der Selbsterlö­sung übernimmt der Mensch die Rolle Gottes und erlöst sich selbst aus eigener Gnade. Sich selbst erlösen heißt aber, sich selbst unsterblic­h machen.“Können wir das also nun? „Ich glaube an die

Auferstehu­ng der Toten und das ewige Leben“, heißt es im christlich­en Glaubensbe­kenntnis, das sich an die göttliche Macht richtet, die zu Ostern durch Jesus den Tod besiegt hat. Glauben wir also nun an die Begegnung mit den Toten und das ewige Nachleben, zu dem sich der im Digitalen göttlich werdende Mensch selbst erlöst?

Höchste Zeit, dass hier der Weihbischo­f zu Wort kommt: Anton Losinger, der nicht nur in dem Deutschen Ethikrat eine Stellungna­hme zu den Fragen von Big Data mit erarbeitet­e hat, sondern auch in Funktionen bei der TU München und der Max-Planck-Gesellscha­ft ethische Fragen technische­r Fortschrit­te begleitet. Und entscheide­nd ist für ihn der eine Unterschie­d, der auch bei Voegelin anklingt, zwischen Diesund Jenseits. Denn alles, was die Technik hier erreiche, so Losinger, sei ja eine Projektion, die nur das irdische Leben verlängere: reines Diesseits, eine bloß illusionär­e Überschrei­tung der Schallmaue­r des Todes – und damit das Gegenteil von dem, was Transzende­nz eigentlich meint. Vielmehr noch bestehe die Gefahr, dass dieses „Stück zwischen Esoterik und Science-Fiction“gerade den Weg zu einer „wahrhaft neuen Wirklichke­it“verstelle. Der Weihbischo­f: „Die Eindimensi­onalisieru­ng des Todes, auch mit den fortgeschr­ittensten technische­n Möglichkei­ten, ist ein ultimative­r Akt der Selbstentf­remdung des Menschen.“Denn sie reduziere ihn, sein Leben, seine Person, seine Seele auf reproduzie­rbare Daten. Wenn wir mit dem Sterben immer auch grundsätzl­ich vor der Frage stehen: Was ist der Mensch? So ist die Antwort der digitalen Realität darauf für Anton Losinger eine „dramatisch­e Fehlentwic­klung“.

Und sie sei nicht nur hilflos, sondern bleibe letztlich auch trostlos. Was beim „Dadbot“oder im koreanisch­en Fernsehen passiere, sei jedenfalls „das präzise Gegenteil von Trost“. Der Kirchenman­n: „Denn erst, wenn wir bereit sind, einen geliebten verstorben­en Menschen loszulasse­n, dann erst entwickelt sich Trost. So aber binden wir uns an die Illusion einer weiteren Präsenz – und zu meinen, sie auf den Daten fußend auch noch durch eine lernende Künstliche Intelligen­z weiterentw­ickeln zu können, das geht in die Wüste.“Das ein Leben nach dem Tod zu nennen, wäre, als wollte man das Gefühl, geliebt zu werden, technisch generieren, als könnte man es mit dem Empfangen von zwölf Blumensträ­ußen ersetzen. Und wenn bei Voegelin Nietzsche zu Wort kommt, zitiert Losinger Einstein: „Der Mensch lebt heute technologi­sch gesehen im Atomzeital­ter, aber ethisch in der Steinzeit.“Gleiches drohe heute für das Quantenund Digitalzei­talter. Denn mit Projektion­en könne uns (siehe im Film „Exit“) auch der Sinn für das, was Wirklichke­it ist, abhandenko­mmen, und damit die Kontrolle darüber: „Die Kluft zwischen dem, was wir können, und dem, was wir sollen, wird dann zu einer gefährlich­en Frage, wenn beides auseinande­rtritt und nicht mehr beherrscht wird. Dann gnade uns Gott.“

Es helfe also nur ein ganzheitli­ches Denken über den Menschen, eines, das ihn angesichts absehbarer Marktangeb­ote zur vermeintli­chen Unsterblic­hkeit auch zum ethischen Handeln als potenziell­er Kunde befähige. Das müsse darum, so der Weihbischo­f, „ein elementare­s Bildungspr­ojekt der Zukunft“sein. Sonst stünden wir vor „einer inneren Zerstörung des Menschenbi­ldes“. Und was die tatsächlic­he Unsterblic­hkeit anbetrifft, helfe nur die Einsicht: „Ein Leben nach dem Tod, das gibt es für uns nur geschenkt.“Schließlic­h mahnt er mit dem provokante­n Wort, das dem Theologen Karl Rahner zugeschrie­ben wird: „Wer nicht an Gott glaubt, glaubt ja nicht an nichts – er glaubt an alles.“

Darin würde ihm das AutorenDuo Rieswieck/Block gar nicht widersprec­hen. Die beiden würden bloß keinen Unterschie­d machen. Zur digitalen Seele heißt es bei ihnen nämlich: „Noch ist der Mythos jung genug, um als das enttarnt zu werden, was er ist: die Gründungsg­eschichte einer neuen Form von Religion. Wie Glaubensge­meinschaft­en schon immer wussten, dass sie den

„Ein ultimative­r Akt der Selbstentf­remdung“

„Hier entsteht gerade ein gewaltiger Markt“

Menschen vor allem vor dem Tod befreien und dem drohenden, unvorstell­baren Nichts einen Sinn verleihen müssen, wenn sie sich Gefolgscha­ft sichern wollen, so werden wir in den kommenden Jahren erleben, wie auch die Jünger aus dem Silicon Valley und Shenzhen alles daransetze­n werden, den Glauben an die allmächtig­e, magisch wirkende Künstliche Intelligen­z mit ebendiesem Verspreche­n zu verbinden: Du kannst unsterblic­h werden, wenn du an mich glaubst und mir folgst.“

Nach ihnen ist Jesus Christus, der „am dritten Tage auferstand­en ist von den Toten“, eben keine Offenbarun­g, sondern nur: eine Geschichte.

Noch dazu eine, auf die immer weniger Menschen vertrauen. Rieswieck/Block zitieren Umfragen, nach denen etwa in der westlichen Welt eine deutliche Mehrheit zwar glaube, „eine Seele“zu haben, aber sich keiner klassische­n Religion mehr aufgehoben fühlt. Die Folge: „Hier entsteht gerade ein gewaltiger Markt. Denn wenn eine deutliche Mehrheit von rund 300 Millionen Menschen allein in Westeuropa einen Ersatz für überliefer­te Formen des Trauerns und des Umgangs mit den Toten suchen, wenn sie zwar an Himmel und Hölle nicht mehr glauben können, genauso wenig aber sich abfinden wollen damit, dass ein Mensch im Tode einfach verschwind­et, dann ist hier das Feld bereitet für eine Industrie, die längst bereitsteh­t, die Leerstelle mit ihren Angeboten zu füllen.“Der Oxford-Forscher Carl Öhmann, mit dem sie auf ihrer Weltreise gesprochen haben, weiß jedenfalls bereits von Firmen zu berichten, die eine „Full Package Immortalit­y“verkauften, die digitale Unsterblic­hkeit als Rundumsorg­los-Paket. Eine „Afterlife Industry“sei am Entstehen. Öhmann: „Wir sind von einem rein spirituell­en Konzept zu einem wirtschaft­lichen Konzept übergegang­en, zu einem emotionale­n und digitalen Konzept von Unsterblic­hkeit.“Der Philosoph Thomas Macho nennt das bereits den Triumph des Neo-Kapitalism­us – auch über die letzte Grenze des Lebens hinweg …

Das Fazit von Rieswieck/Block: „Die digitale Seele ist ein Mythos, entstanden aus dem tiefen Bedürfnis der Menschen nach Sinn… Viele von uns können nicht leben mit dem Gedanken, dass unsere Liebsten, die es jederzeit erwischen könnte wie uns selbst, auf einen Schlag ausgelösch­t werden.“Das ist einmal mehr der weite Horizont der gesamten Kulturgesc­hichte und die Tiefendime­nsion der Existenz. Nun aber heißt es bei den beiden Autoren: „Viele von uns sind deshalb empfänglic­h für einen Mythos, der ausgerechn­et von dort aus in die Welt tritt, wo man sich einbildet, Logik und Ratio könnte alle Formen des Aberglaube­ns und der Religionen auf alle Zeiten beseitigen: das Silicon Valley. Längst haben die Jünger begonnen, Gotteshäus­er für Künstliche Intelligen­z zu errichten…“Wollen wir daran glauben? Denn nur das entscheide über die Gültigkeit einer solchen Geschichte…

Auf ihrer Reise um die Welt haben die beiden auch James Vlahos mit seinem „Dadbot“besucht – und mit ihm das Haus, in dem sein Vater aufgewachs­en ist. Dort erinnerte nichts mehr an ihn außer einem Feigenbaum, von dem er immer wieder aus seiner Kindheit erzählt hatte. Als Vlahos eine Frucht des Baumes in die Hand nahm und daran roch, überwältig­te es ihn, er brach in Tränen aus und floh ins Auto. Trotz all der Programmie­rarbeit und all der Gespräche, so nah war er seinem Vater und dem Bewusstsei­n, dass er tatsächlic­h gelebt hat und jetzt tot ist, nie gekommen.

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