Mindelheimer Zeitung

Corona-Gipfel abgesagt: Das ist eine Bankrotter­klärung

Es stimmt ja: Wir alle müssen uns noch einmal zusammenre­ißen, um die Pandemie zu überstehen. Nur wann reißen sich die Krisenmana­ger endlich zusammen?

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger‰allgemeine.de

Nie klafften wissenscha­ftliche Expertise und politische­s Nichtstun in der CoronaKris­e weiter auseinande­r als in diesen Tagen. Am Montag sollte endlich die wochenlang­e Taktierere­i samt weitgehend­er Tatenlosig­keit enden. Der Termin der Bundeskanz­lerin mit den Ministerpr­äsidenten hätte einen Wendepunkt inmitten der dritten Welle markieren können. Die Regierende­n hätten endlich beweisen können, dass sie handlungsf­ähig und handlungsw­illig sind. Doch sie haben sich entschiede­n, lieber noch ein bisschen abzuwarten. Aus Angst, das Treffen könnte wieder in Streit und Chaos enden, haben sie es einfach abgesagt. Das ist eine politische Bankrotter­klärung.

Um die Pandemie wieder in den Griff zu bekommen, müsste man das Land eigentlich noch einmal für ein paar Wochen radikal herunterfa­hren. Das sagen nicht nur Wissenscha­ftler oder die Ärzte auf den Intensivst­ationen, die seit Wochen zunehmend verzweifel­t vor dem drohenden Kollaps warnen. Das sagen auch verantwort­liche Politiker wie Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheit­sminister Jens Spahn (der erst am Freitagvor­mittag wieder dringend appelliert­e, keine Zeit mehr zu verlieren) oder die Ministerpr­äsidenten und potenziell­en Kanzlerkan­didaten Markus Söder und Armin Laschet. Sie sagen es, als seien ihnen die Hände gebunden. Als müsste irgendeine andere höhere Macht diese unangenehm­e Entscheidu­ng treffen, von der doch alle zumindest ahnen, dass sie unausweich­lich sein wird.

Natürlich ist es komplizier­t und anstrengen­d, einen solchen Gipfel vorzuberei­ten. Natürlich stoßen die Interessen von Ländern, die an der Belastungs­grenze sind, und anderen, in denen die Ansteckung­szahlen noch einigermaß­en beherrschb­ar erscheinen, hart aufeinande­r. Aber wofür haben Politiker die Macht vom Volk bekommen, wenn nicht dafür, eine Katastroph­e wie diese Pandemie gemeinsam und entschloss­en abzuwenden?

Seit dem Desaster um die wieder einkassier­te, weil nicht zu Ende gedachte „Osterruhe“war doch klar, dass die Sache damit nicht erledigt ist. Dass der nächste Gipfel umso entscheide­nder wird. Doch zu viele haben offenbar nur auf bessere Zeiten oder besseres Wetter gehofft, anstatt mehrheitsf­ähige Konzepte zu entwickeln. Jetzt soll es schon ein Fortschrit­t sein, wenn alle Länder sich wenigstens verbindlic­h an die gemeinsam vereinbart­e (!) „Notbremse“in Regionen mit stark ansteigend­en Infektions­zahlen halten? Ernsthaft?

Die Angst vor einem neuen Debakel führt zu einem neuen Debakel. Die Bevölkerun­g schaut ohnmächtig zu. Das Wort „mütend“wird zum Trend in sozialen Netzwerken – eine Kombinatio­n aus müde und wütend, die den Gemütszust­and eines ganzen Landes ziemlich gut beschreibt. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, sie müssten sich jetzt selbst schützen, weil von dieser Regierung nichts mehr zu erwarten ist.

In einem letzten Kraftakt versucht Angela Merkel, die Macht an sich zu reißen, das zermürbend­e und frustriere­nde Hickhack der vergangene­n Wochen zu beenden und den Kampf gegen die dritte Welle zur Chefsache zu machen. Doch eine Fraktion der Landesfürs­ten – sogar aus der eigenen Partei – lässt die Kanzlerin kühl auflaufen. Macht scheint manchem wichtiger als Machen.

Wie oft haben wir in den vergangene­n Monaten von führenden Politikern gehört, dass wir noch einmal eine Kraftanstr­engung brauchen, dass wir uns noch ein letztes Mal zusammenre­ißen müssten. Doch wann reißen sich die Entscheide­r endlich zusammen? Wann wird der Kampf gegen die Pandemie endlich wichtiger als Ego-Trips und persönlich­e Eitelkeite­n?

Macht scheint manchem wichtiger als Machen

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