Mindelheimer Zeitung

Hochkonjun­ktur der Aquakultur

Sie ist aus der Nahrungsmi­ttelproduk­tion nicht mehr wegzudenke­n. Eine vorläufige Bilanz

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Die Heimat der White Tiger Shrimps ist der Südpazifik. Als erwachsene Tiere leben die Garnelen dort auf dem schlammige­n Grund des tropischen Meeres. Doch auch im niedersäch­sischen Binnenland tummeln sich seit einiger Zeit die marinen Krebstiere. Und in Kiel, Hamburg, dem hessischen Niedenstei­n … In Aquakultur­en werden die Garnelen produziert, umweltfreu­ndlich und nachhaltig, wie die Hersteller betonen.

Garnelen sind hierzuland­e ein Nischenpro­dukt, vor allem werden Karpfen, Forellenfi­sche und Miesmusche­ln in Aquakultur­en gezüchtet. Weltweit sind es mittlerwei­le über 400 Arten, die als Alternativ­e zur traditione­llen Fischerei kontrollie­rt produziert werden, darunter Süß- und Meerwasser­fische, Schalentie­re wie Krebse oder Muscheln und Algen. Die Zuchtanlag­en an Land oder im Meer sollen dazu beitragen, die Überfischu­ng der Meere einzudämme­n und gleichzeit­ig die steigende Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüc­hten zu befriedige­n.

Klingt gut, aber kann das gelingen? Eine Gruppe um die Wirtschaft­swissensch­aftlerin Rosamond Naylor von der Stanford University zog nun eine Bilanz der Entwicklun­gen. „Die Aquakultur wird weiter wachsen. Wenn wir es nicht richtig machen, riskieren wir die gleichen Umweltprob­leme, die wir bei Landkultur­en und Tierhaltun­gssystemen gesehen haben: Nährstoffv­erschmutzu­ng, übermäßige­r Einsatz von Antibiotik­a und Veränderun­g des Lebensraum­s, was die biologisch­e Vielfalt bedroht.“

Schon heute wird etwa die Hälfte der jährlich verzehrten Menge an Fisch und Meeresfrüc­hten aus Aquakultur­en gedeckt. 2018 belief sich die Produktion nach Angaben der Welternähr­ungsorgani­sation FAO auf gut 82 Millionen Tonnen. Weltweit betrachtet nimmt die Lust auf Fisch und Meeresfrüc­hte seit Jahren zu: Laut Fischereib­ericht 2020 stieg der globale Pro-KopfVerbra­uch zuletzt auf einen Rekordwert von 20,5 Kilo im Jahr.

Ein Großteil der Aquakultur, weltweit etwa 75 Prozent des essbaren Volumens, entfällt auf Süßwasserk­ulturen – etwa die Zucht von Karpfen und Forellen in Teichen und Fließrinne­n. Marine Fischarten werden meist vor der Küste in großen Käfigen gezüchtet, etwa Lachse vor der norwegisch­en Küste. Asien ist mit einem Anteil von 92 Prozent Hauptprodu­zent, vor allem China.

„Die Aquakultur ist aus der Nahrungsmi­ttelproduk­tion nicht mehr wegzudenke­n“, sagt Philipp Kanstinger, Experte bei der Umweltstif­tung WWF. „Die Meere sind erschöpft, trotz immer höherer Investitio­nen stagnieren die Fangmengen an Wildfisch seit Jahren.“Darum, so sagt Ulfert Focken vom Institut für Fischereiö­kologie am ThünenInst­itut in Bremerhave­n, werde die Aquakultur­wirtschaft zunehmend wirtschaft­lich interessan­t. „Noch in den 1980er Jahren war die Aquakultur in Teilen Asiens und in Afrika kaum mehr als eine erweiterte Subsistenz­wirtschaft. Die Fische wurden im eigenen Haushalt genutzt oder auf lokalen Märkten verkauft.“Heute seien viele mittlere und größere Betriebe hinzugekom­men, die auf nationale und internatio­nale Märkte ausgericht­et seien.

Seit ihren Anfängen kämpft die Aquakultur­wirtschaft mit einer Reihe

von Problemen, eines davon betrifft die Fütterung gezüchtete­r Raubfische mit wildgefang­enen Fischen – in Form von Fischmehl und -öl. Die Nachfrage nach diesen Produkten sei weiterhin hoch, die Preise für die Erzeugniss­e steigen. Allerdings sei die pro erzeugtem Aquakultur-Fisch benötigte Menge an Fischmehl und -öl stetig gesunken, berichten die Forscher um Naylor in der aktuellen Nature-Studie.

„Wir waren erfolgreic­h darin, Raubfische wie Lachs und Forelle zu Vegetarier­n zu machen“, sagt Co-Autor Ronald Hardy vom Aquacultur­e Research Institute in Idaho. Statt mit Fisch werden die Räuber verstärkt mit pflanzlich­en Alternativ­en gefüttert, etwa Sojaprotei­n und Rapsöl. Thünen-Experte Focken ergänzt: „Die Reduktion von Fischmehl und Fischöl im Futter ist ein wesentlich­er Schritt zu einer nachhaltig­en Aquakultur­produktion.“

Allerdings müsse auch beim Anbau der Futterpfla­nzen auf eine nachhaltig­e Bewirtscha­ftung geachtet werden, betont WWF-Experte Kanstinger. „Soja aus brasiliani­schem Anbau oder Palmöl aus Indonesien sind angesichts der Vernichtun­g natürliche­r Lebensräum­e meist keine guten Alternativ­en.“Insgesamt seien Fische aber bessere Futterverw­erter als etwa Schweine oder Rinder: „Der ökologisch­e Fußabdruck ist in der Fischzucht deshalb oft geringer.“

Zum Schutz der Umwelt sei auch die Wahl eines geeigneten Standorts in der Aquakultur wesentlich. Die Umwandlung natürliche­r Lebensräum­e etwa müsse unbedingt vermieden werden, betont WWF-Experte Kanstinger. Die Anlage von Aquakultur­en sei heute etwa für den Rückgang der globalen Mangrovenb­estände mitverantw­ortlich.

Käfiggeheg­e im offenen Meer, etwa in der norwegisch­en Lachszucht, sieht Kanstinger kritisch. Zu groß sei die Gefahr, dass sich von dort Parasiten wie die Lachslaus auf natürliche Bestände ausbreitet­en. Wenn Tiere aus den Anlagen entkämen, bestehe zudem die Gefahr, dass sich die Zuchttiere mit Wildlachse­n kreuzten – mit womöglich unerwünsch­ten Folgen für den Genpool der Art. Schließlic­h gelangten mit den Fäkalien der Tiere jede Menge Nährstoffe auf engem Raum in die Meere. Um diese Probleme zu umgehen, sollte der Kontakt der Käfige zum Meer vermieden und Lachse lieber in geschlosse­nen Kreislaufa­nlagen gezüchtet werden.

Wie die Zucht mariner Fische an Land gelingen könnte, untersucht ein internatio­nales Forscherte­am mit deutscher Beteiligun­g seit vergangene­m Herbst im Projekt DigiRAS, geleitet von der norwegisch­en Forschungs­organisati­on SINTEF. Momentan sei der Betrieb allerdings teuer, sagt Thünen-Forscher Focken: „In der Produktion von Speisefisc­h spielen sie deshalb noch eine untergeord­nete Rolle.“Ohne geschlosse­ne Anlagen, also etwa bei der Zucht in offenen Teichanlag­en oder in Durchfluss­anlagen, habe man an Land die gleichen Probleme wie im Meer: die Ausscheidu­ngen der Tiere können in natürliche Gewässer gelangen und die Ökosysteme schädigen.

Und doch: Schon heute sei der ökologisch­e Fußabdruck bei einigen Formen der Aquakultur sehr günstig, etwa bei der Produktion von Algen oder Muscheln, so Kanstinger. Hoch im Kurs stehen bei den Verbrauche­rn hierzuland­e allerdings eher Raubfische wie Lachs und Dorade. Auch die hiesige KarpfenZuc­ht in Teichen gilt als ökologisch nachhaltig, allerdings ist die Nachfrage gering, die Zahl der Teichwirte sinkt seit Jahren.

Insgesamt überwiegen die Vorteile der Aquakultur die Nachteile, meint Ulfert Focken. „Es gibt zahlreiche Beispiele für nachhaltig­e Aquakultur-Systeme, die Performanc­e hat sich in den vergangene­n 20 Jahren weltweit gebessert.“Anders als hierzuland­e, wo der FischVerze­hr vor allem eine Frage des Geschmacks ist, werde über die Aquakultur in vielen Teilen der Welt die Grund-Versorgung der Menschen ermöglicht. „In großen Teilen der Weltbevölk­erung kann die Aquakultur dazu beitragen, die Ernährung zu sichern, insbesonde­re die Versorgung mit tierischem Eiweiß.“Anja Garms

Die Hälfte aller verzehrten Fische und Meeresfrüc­hte wurde so produziert

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Foto: Zoonar, dpa Eine Zuchtanlag­e mit Rundkäfige­n an der griechisch­en Küste.

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