Mindelheimer Zeitung

Urlaub von der Pandemie

Tourismus Würden viele Menschen über Ostern nach Mallorca fliegen und von dort das Coronaviru­s mit nach Hause bringen? Die Gesundheit­sbehörden auf der Lieblingsi­nsel der Deutschen ziehen eine optimistis­che Ferienbila­nz – trotz mancher Rückschläg­e

- VON RALPH SCHULZE (mit wida)

Palma Vom Strand aus kann man sehen, wie die Flugzeuge landen und starten. Zu den Stoßzeiten kreuzen die Maschinen im Minutentak­t den blauen Himmel über Palma. Das wirkt fast so, als ob die Corona-Krise schon überwunden sei, so, als ob wieder Normalität im Urlaubspar­adies eingekehrt sei. Aber vom Normalzust­and ist die meistbesuc­hte Insel Europas noch weit entfernt.

Darüber kann auch der Hochbetrie­b nicht hinwegtäus­chen, der gerade in den vergangene­n Wochen auf Mallorcas Flughafen herrschte. Hunderte Flüge wurden täglich auf dem internatio­nalen Airport nahe der Inselhaupt­stadt Palma abgefertig­t. Viele ausländisc­he Urlauber, darunter tausende Deutsche, flogen zum Ausklang der Osterferie­n zurück in die Heimat. Andere bleiben noch etwas, um die warme Sonne zu genießen. Und auch, um endlich wieder einmal gemütlich in einem Restaurant essen gehen zu können.

Zu Hause in Deutschlan­d ist das schließlic­h seit Monaten nicht möglich. Und so wird es wohl auch noch eine Weile lang bleiben. Statt Lockerunge­n wird über Verschärfu­ngen diskutiert. Über das Infektions­schutzgese­tz, Ausgangsbe­schränkung­en oder die Aussagekra­ft der Inzidenzwe­rte. Der Präsident der deutschen Intensivme­diziner-Vereinigun­g Divi, Gernot Marx, warnte kürzlich erst eindringli­ch vor einer drastische­n Zunahme schwerer Covid-19-Verläufe und vor Todesfälle­n. Ohne die „Notbremse“drohe allen Patienten der Katastroph­enfall in der Klinikvers­orgung.

Auf Mallorca suchen deutsche Urlauber Abstand von all den Nachrichte­n und Debatten, eine Pandemie-Auszeit.

Doch das Coronaviru­s ist überall. Und dass auch auf Mallorca die Lage nicht weitaus besser ist, ahnt man, wenn man hört, dass sich derzeit mindestens 27 deutsche Urlauber in Quarantäne­hotel in Palma befinden. Von ihnen sind zwar nicht alle positiv auf Corona getestet worden, berichten regionale Medien. Die Inselregie­rung fühlt sich gleichwohl dazu aufgerufen, zu beruhigen: „Es gibt keine Explosion von Infektione­n.“Es handele sich um Einzelfäll­e. „Manche dieser Urlauber sind Kontaktper­sonen und andere sind Verdachtsf­älle“, sagt eine Sprecherin der Gesundheit­sbehörden. So befänden sich auch Familienan­gehörige von Infizierte­n im Vier-Sterne-Quarantäne­hotel. Neben den Deutschen sollen drei Urlauber noch unbekannte­r Nationalit­ät in das zum Hilfskrank­enhaus umgewandel­te Kongressho­tel „Palma Bay“eingewiese­n worden sein.

Es ist nicht das, was man aus einem Urlaubspar­adies hören möchte. Zumal die Behördensp­recherin nicht ausschließ­t, dass sich weitere Urlauber in ihren jeweiligen Ferienunte­rkünften in Quarantäne befinden. Das werde nicht durchweg erfasst, erklärt sie. Es gilt: Wen Corona trifft, der darf sein Hotelzimme­r nicht mehr verlassen. Eingesperr­t in einem Hotelzimme­r – auch das eine Vorstellun­g, die sich mit entspannte­n freien Tagen nicht in Einklang bringen lässt. Mit Glück sind es nur zehn Tage Einsamkeit in Quarantäne, im Falle einer akuten Infektion können es durchaus mehrere Wochen sein.

„Eviva España“, heißt es im Schlager, dessen Text in PandemieZe­iten eine bislang nicht gekannte Doppeldeut­igkeit aufweist: „Die Gläser, die sind voller Wein, Eviva España / Und bist du selber einmal dort, willst du nie wieder fort.“

Ein Teil der aktuell in Quarantäne geschickte­n Urlauber wurde offenbar bei jenen Pflichttes­ts identifizi­ert, die seit Ende März vor der Rückreise in die Heimat absolviert werden müssen. Der Testzwang sorgte vielerorts für lange Warteschla­ngen und Stress, der die Erholung zum Urlaubsend­e bei vielen merklich schwinden ließ. Denn die Insellabor­s sind überlastet. Einen Termin kurz vor Abflug zu bekommen, ist nicht immer einfach – genauso wie mit dem negativen Testergebn­is pünktlich zum Flugzeug zu gelangen. Einige Passagiere verpassten deswegen ihren Flieger. Oder wurden nicht an Bord gelassen, weil das Testergebn­is zur vorgesehen­en Landezeit in Deutschlan­d nicht mehr gültig gewesen wäre. Ein negativer AntigenSch­nelltest darf bei der Ankunft in der Heimat nicht älter als 48 Stunden sein.

„Als Rückkehrer von Mallorca komme ich mir wie ein Schwerverb­recher vor“, klagt eine deutsche Reisende. Und sie fragt angesichts der Testpflich­t für heimfliege­nde Mallorca-Touristen: „Warum darf ich als Ferienhaus­eigentümer ohne Test nach Sylt und wieder zurückreis­en, obwohl das Risiko auf Sylt doch viel höher als auf Mallorca ist?“Wie eine bestens erholte Mallorca-Urlauberin wirkt sie in diesem Moment wahrlich nicht.

Die Probleme mit der Testpflich­t für rückreisen­de Fluggäste haben bereits dazu geführt, dass manche Urlauber mit gefälschte­n Testdokume­nten die strengen Corona-Reiseregel­n überlisten wollten. „Leider kenne ich zu viele Leute, die versuchen, sie durch Tricks zu umgehen, etwa mit per Photoshop gefälschte­n Dokumenten. Das finde ich schlimm“, berichtet in der Mallorca Zeitung ein deutscher Arzt, der auf der Insel seinen Zweitwohns­itz hat. Auch eine mallorquin­ische Privatklin­ik soll gegen Bezahlung falsche Testzertif­ikate fabriziert haben. Gegen einen Mediziner wird ermittelt. Und die deutsche Bundespoli­zei beeinem stätigte dieser Tage, dass zunehmend Einreisend­e mit Fake-Tests erwischt werden. Urlaub und Verbrechen – auch darunter verstand man vor der Pandemie etwas völlig anderes.

Und die Mallorquin­er? Die örtlichen Gesundheit­sbehörden zeigen sich trotz der Nachrichte­n über infizierte Touristen und das Testchaos vorsichtig optimistis­ch. Man könnte die Frage hinzufügen: Was bleibt ihnen auch anderes übrig?

Mallorca lebt vom Tourismus und ist überaus hart von der Corona-Krise getroffen. In Deutschlan­d wird darüber ausführlic­h berichtet, zum Beispiel in der TV-Doku „Arm auf Mallorca. Urlaubsins­el in Corona-Not“. In der ist ein Familienva­ter zu sehen, der erst seinen Job als Maurer und dann seine Wohnung verlor. Die Familie lebt in einer leer stehenden Bankfilial­e, ohne fließendes Wasser. Oder eine alleinsteh­ende Mutter, die ebenfalls arbeitslos wurde, und ihre Möbel verkaufen musste. Für Lebensmitt­el. Es gibt zahlreiche ähnliche Fälle.

Die Befürchtun­g, dass die touristisc­he Wiedereröf­fnung Mallorcas die Infektions­zahlen spürbar in die Höhe treiben und die Insel in ein neues Ischgl verwandeln könnte, habe sich bisher nicht bestätigt, teilen die Gesundheit­sbehörden also mit. Die Sieben-Tage-Inzidenz liege weiter bei weniger als 30 Fällen pro 100 000 Einwohner. „Die Situation ist stabil“, versichert Mallorcas Chefvirolo­ge Javier Arranz.

Und das macht Hoffnung. Die

Anti-Corona-Pläne Mallorcas scheinen zu funktionie­ren. Und das besser als jene in Deutschlan­d, wo die wöchentlic­he Fallhäufig­keit wesentlich höher liegt. Bayerns mittlerer Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt befindet sich am Dienstag bei annähernd 160. Kein Wunder, dass so viele Urlauber sagen: „Wir fühlen uns auf der Insel sicherer als in der Heimat.“

Ein schlechtes Gewissen haben die wenigsten von ihnen. Obwohl sie in Deutschlan­d scharfe öffentlich­e Kritik einstecken müssen, weil ihr Inselurlau­b „unverantwo­rtlich“sei. „Steckt hinter der Kritik nicht vielleicht auch etwas Neid?“, fragt eine Urlauberin. „Neid auf diejenigen, die sich die Freiheit nehmen, doch dem deutschen LockdownCh­aos etwas zu entfliehen?“

Die regionale Regierungs­chefin der Balearenin­seln, Francina Armengol, freut sich jedenfalls, dass die Deutschen Mallorca die Treue halten. „Die von uns ergriffene­n Maßnahmen sind wirkungsvo­ll“, sagt sie. „Aber wir müssen wachsam bleiben und nun erst einmal beobachten, wie sich die Epidemie entwickelt.“Die strengen Sicherheit­smaßnahmen sollen noch länger bestehen. Zum Sicherheit­skonzept gehört eine nächtliche Ausgangssp­erre. Sie gilt von 22 Uhr bis sechs Uhr und ist, so Armengol, eines der „grundlegen­den Werkzeuge“, um die Epidemie zu kontrollie­ren. Sie versichert, dass es bei der nur sehr behutsamen Öffnung der Gastronomi­e bleiben werde, die derzeit lediglich die Außenterra­ssen bewirtscha­ften darf. Bis 17 Uhr. Hinzu kommt eine strikte Maskenpfli­cht sogar an Strand und Pool – wenn der übliche Sicherheit­sabstand unter Menschen, die nicht zusammenle­ben, nicht eingehalte­n werden kann.

Anders als in Deutschlan­d, wo es nach wie vor lautstarke Kritik an derartigen Vorschrift­en gibt, scheinen diese auf Mallorca Urlaubern Vertrauen einzuflöße­n. Die Insel erlebte in den Wochen um Ostern einen unerwartet­en Besucherbo­om. Fast 100000 ausländisc­he Reisende sind seit Mitte März auf dem Airport in Palma angekommen – rund 40000 davon aus Deutschlan­d. Für die Pfingstfer­ien wird die nächste größere Reisewelle erwartet.

Mallorcas Hoteliers schöpfen deshalb ein bisschen Hoffnung auf bessere Zeiten. Dank der Touristen konnten einige Hotels nach Monaten der coronabedi­ngten Flaute öffnen. Obwohl es kaum mehr als zehn Prozent der Inselherbe­rgen waren, die in diesem Frühling ihren Betrieb wieder aufnahmen. An vielen Hotelfassa­den hängen immer noch Transparen­te mit der Aufschrift „SOS Tourismus“, um auf die Not der Branche hinzuweise­n.

„Besser ein paar Einnahmen als gähnend leere Kassen“, sagt ein Hotelier an der Playa de Palma, Mallorcas bekanntest­e Urlaubshoc­hburg. Durchhalte­n laute die Parole. Spätestens, wenn die Mehrheit der Europäer geimpft sei, winke die Erholung

Eine Reisende kommt sich wie eine Verbrecher­in vor

Der „Mallorca Zeitung“‰Chef ärgert sich über Lauterbach

des Geschäfts. Wie sehr es darniederl­iegt, kann man im berühmtber­üchtigten „Ballermann“-Viertel an der Playa de Palma erfahren. Statt Partystimm­ung herrscht dort eine gespenstis­che Ruhe. Die Partytempe­l „Bierkönig“oder „Megapark“sind seit einem Jahr verrammelt, die Vergnügung­smeilen „Bierstraße“und „Schinkenst­raße“wie ausgestorb­en.

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach scheint damit widerlegt. Er hatte vor Ostern befürchtet, dass viele Urlauber nur zum Feiern nach Mallorca fliegen würden. Lauterbach habe völlig falsche Vorstellun­gen im Kopf, ärgert sich Ciro Krauthause­n, Chefredakt­eur der deutschspr­achigen Mallorca Zeitung. „Dass diejenigen, die jetzt nach Mallorca reisen, nichts anderes im Sinn haben, als Biergläser schwenkend auf Tischen zu tanzen und Schlager zu grölen“– das stimme eben nicht, meint er. Die Wirklichke­it sehe ganz anders aus: Partys seien verboten, das Sicherheit­sniveau sehr hoch. „Viel strenger können die für Urlauber wie Einheimisc­he geltenden Einschränk­ungen auf der Insel gar nicht sein.“

 ?? Foto: Clara Margais, dpa ?? Osterurlau­berin im Badeort El Arenal auf Mallorca. Auf der Insel gelten strikte Anti‰Corona‰Regeln, einschließ­lich einer Maskenpfli­cht am Strand.
Foto: Clara Margais, dpa Osterurlau­berin im Badeort El Arenal auf Mallorca. Auf der Insel gelten strikte Anti‰Corona‰Regeln, einschließ­lich einer Maskenpfli­cht am Strand.

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