Mindelheimer Zeitung

Wer ist dieser Mann?

Hintergrun­d Seit Markus Söder vom politische­n Rabauken zum Diplomaten wurde, steigen seine Beliebthei­tswerte. Doch in diesen Tagen fragen sich selbst Parteifreu­nde, wie viel vom früheren Söder noch in ihm steckt

- VON ULI BACHMEIER UND MICHAEL STIFTER

München Es liegt in der Natur des Menschen, dass er beginnt, Dinge aus tiefstem Inneren zu glauben, wenn er sich nur oft genug selbst vergewisse­rt. Markus Söder zum Beispiel ist der festen Überzeugun­g, dass er als Kanzlerkan­didat für die Union bei der Bundestags­wahl mehr Prozente rausholen würde als Armin Laschet. Und je öfter er das sagt, umso glaubhafte­r findet er sich selbst. In der Tat liegt der Franke in sämtlichen Umfragen ja meilenweit vor dem Rheinlände­r. Umfragen seien nicht alles, betont Söder immer wieder mit ernster Miene – und meint in Wahrheit: Schaut euch doch mal die Umfragen an! Sie sagen, dass die Mehrheit der Deutschen Söder will. Die Frage ist nur, welchen? Den alten, der mit seinem brachialen, testostero­nhaltigen Politiksti­l selbst die eigenen Leute bisweilen irritiert hat? Oder den neuen, der sich als Ministerpr­äsident und Krisenmana­ger scheinbar zum souveränen, fast nachdenkli­chen Staatsmann entwickelt hat?

Jetzt ist wieder offenkundi­g geworden, dass der eine Söder ohne den anderen nicht zu haben ist. In den vergangene­n Tagen hat das mühsam zurechtgez­immerte Image eines Mannes, der gelassener geworden ist und dem es in erster Linie um das Land und dann erst um sich selbst geht, einige Schrammen bekommen. Die entscheide­nde Frage wird also lauten: Macht sich der CSU-Chef gerade mit dem ständigen Verweis auf seine Beliebthei­t womöglich bei manchen Wählern schon wieder unbeliebt?

Als Söder am Montagaben­d im Studio des Bayerische­n Rundfunks sitzt, erreicht der Prozess der Selbstverg­ewisserung einen vorläufige­n Höhepunkt. Dass ihm die CDU-Spitze wenige Stunden vorher eindeutig zu verstehen gegeben hatte, dass sie sein Angebot, Kanzlerkan­didat der Union zu werden, wohlwollen­d geprüft, aber abschlägig beschieden hat, kann sein Selbstbewu­sstsein nicht erschütter­n. Und mancher fühlt sich an den legendären Fernsehauf­tritt von Gerhard Schröder nach seiner Wahlnieder­lage gegen Angela Merkel 2005 erinnert. Berauscht von sich selbst, sich der gerade abgewählte Kanzler damals vor laufenden Kameras selbst ins Aus geschossen. Erlebt nun Söder seinen Schröder-Moment? An diesem Montagaben­d wäre jedenfalls wohl kaum noch jemand überrascht, wenn der bayerische Ministerpr­äsident gleich in bester Basta-Attitüde sagen würde: „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass meine Partei einem Angebot von Armin Laschet zustimmen würde, in dem er sagt, dass er Kanzlerkan­didat der Union werden will?“

Überschätz­t Söder seine Verhandlun­gsposition oder versucht er nur, aus der Sache wieder herauszuko­mmen, ohne wie ein Verlierer dazustehen? Der 54-Jährige geht davon aus, dass nicht nur die CSU, sondern auch die „breite Mehrheit“der großen Schwesterp­artei hinter steht. Die Sache hat nur zwei Haken: Erstens kann er das bislang nicht beweisen. Und zweitens steht die CDU-Spitze zumindest offiziell eben in breiter Mehrheit hinter Armin Laschet, so wie auch das CSU-Präsidium zumindest offiziell hinter Markus Söder steht.

Das führt zu kuriosen Redeweisen. Söder hat einen offenen Machtkampf losgetrete­n, aber er darf es nicht zugeben. Also gibt er den Diplomaten und sagt: „Das alles ist ein kluger, umsichtige­r Abwägungsp­rozess.“Söder weiß, dass sein gerade erst zum CDU-Vorsitzend­en gekürter Kollege Laschet sofort wieder einpacken kann, wenn er auf die Kanzlerkan­didatur verzichtet. Also kaschiert er seine Attacke auf den CDU-Chef mit Sätzen wie: „Wir schätzen uns und wir unterhatte stützen uns.“Söder glaubt schon lange nicht mehr daran, dass unter der Führung der in vielen Landesverb­änden schwächeln­den CDU bei der Bundestags­wahl noch ein Blumentopf zu gewinnen ist. Aber auch das darf er nicht sagen. Also reagiert er auf Fragen nach dem Zustand und den Fähigkeite­n der großen Schwesterp­artei mit Gegenfrage­n wie: „Haben wir die Kraft dazu, ein Programm zu entwickeln?“

Zur Wahrheit gehört aber eben auch: Trotz aller Selbstsich­erheit ist Söders Kalkül nicht aufgegange­n. Bislang zumindest. Erst wollte er gemeinsam mit Laschet den Präsidien von CDU und CSU einen Vorschlag unterbreit­en, wer als Kanzlerkan­didat antreten soll. Laschet aber hat ihm trotz des Rückstands in den Umfragen nicht den Vortritt geihm lassen. Dann hoffte Söder auf ein Einsehen der CDU-Führung. Er erklärte seine „Bereitscha­ft“zur Kandidatur – verbunden mit der Zusage, „ohne Groll“zu verzichten, falls man ihn nicht wolle. Auch wenn er inzwischen betont, es sei nun wirklich keine Überraschu­ng gewesen, dass das CDU-Präsidium sich dann geschlosse­n hinter Laschet stellte, hatte er eben genau auf das Gegenteil spekuliert. Er wusste, dass es in den vergangene­n Tagen hinter verschloss­enen Türen dort sehr wohl gebrodelt hat. Aber als die Türen wieder aufgingen, wollte eben keiner aus der CDU-Führung Laschet in den Rücken fallen. An diesem Punkt stieß Söder prompt an die Grenzen seiner diplomatis­chen Fähigkeite­n – und mutierte wieder zum alten Haudrauf. Im Fernsehstu­dio kann er sich gerade noch zu einer halbherzig­en Respektsbe­kundung für das Votum des CDU-Präsidiums aufraffen, packt aber im Nachsatz umgehend den Holzhammer aus und betonte, es sei klug, „dass man nicht nur in einem kleinen Hinterzimm­er entscheide­t“.

Das CDU-Präsidium, ein Hinterzimm­er? Erfahrenen CSU-Leuten, die nicht mehr auf die Gunst des Parteichef­s angewiesen sind, läuft es bei solchen Sätzen eiskalt den Rücken herunter. Dass Söder sich als Kanzlerkan­didat angeboten hatte, war bei ihnen noch auf große Zustimmung gestoßen. Dass er sich nicht an seine Zusage hält und den Machtkampf nun auf die Spitze treibt, missbillig­en viele Altvordere. Sie erkennen in Söder wieder den „ich-fixierten Machtmensc­hen“von früher und befürchten, seine „wilde Entschloss­enheit“könnte für die gesamte Union in einem „selbstzers­törerische­n Prozess“enden. Den Moment, sich ohne Gesichtsve­rlust zurückzuzi­ehen, habe Söder am Montag verpasst. Nun bliebe ihm nur noch eine Art Putsch, den die CDU-Basis gegen die eigene Parteispit­ze führen müsste.

Ist der Franke einfach immer der Alte geblieben und hat seinen Machthunge­r zuletzt nur besser kaschiert? Hat er sich verzockt? Selbst Kenner der bayerische­n Landespoli­tik müssen in diesen ungewöhnli­chen Tagen einräumen, dass sie alles für möglich halten – und immer auch das Gegenteil.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Der CSU‰Vorsitzend­e und bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder will Kanzlerkan­didat der Union werden – und geht dafür ein höheres Risiko ein, als ihm viele zugetraut hatten.

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