CoronaNotbremse: Bald sitzt der Bund am Hebel
Pandemie Wenn die Infektionszahlen zu hoch werden, gelten künftig in allen Ländern einheitliche Regeln. Das bedeutet: nächtliche Ausgangssperren und geschlossene Geschäfte. Gesetzesänderung muss noch durch Parlament und Bundesrat. Scharfe Kritik kommt aus
Was bedeutet die Änderung des Infektionsschutzgesetzes?
Das Bundeskabinett hat am Dienstag beschlossen, das Infektionsschutzgesetz in einem wichtigen Punkt zu ändern. Damit ist nun eine bundesweit einheitliche „CoronaNotbremse“möglich. Sie greift ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Wenn also die Zahl der Neuansteckungen binnen sieben Tagen pro 100000 Einwohner den Wert 100 überschreitet, treten in den betroffenen Landkreisen oder kreisfreien Städten ab dem übernächsten Tag schärfere Maßnahmen in Kraft. Sie gelten so lange, bis der Wert an fünf aufeinanderfolgenden Tagen die Schwelle von 100 unterschreitet. Wiederum am übernächsten Tag treten die Verschärfungen dann wieder außer Kraft.
Warum braucht es diese Gesetzesänderung überhaupt?
Bislang wurden die Infektionsschutzmaßnahmen in Konferenzen von Bund und Ländern beschlossen. Doch in der Umsetzung gab es zwischen den einzelnen Ländern teils gravierende Unterschiede. Mancherorts wurde mit Blick auf die Ungeduld in der Bevölkerung früh gelockert. In vielen Landkreisen stiegen die Corona-Zahlen wieder. Mutierte Virenstämme verschärfen die Situation. Der Arzt und CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger sagte unserer Redaktion: „Die bundesweite Notbremse ist leider notwendig, da der Föderalismus an dieser Stelle nicht wirklich funktioniert.“Er ist sicher: „Wenn wir jetzt keine tief greifenden Maßnahmen ergreifen, droht in spätestens einem eine Überlastung unseres Gesundheitssystems.“Andererseits sei er aber auch „sehr zuversichtlich, dass dies der letzte Lockdown sein wird, da bis Ende Mai 30 bis 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung und alle über 60 geimpft sein werden.“
Was kann der Bund nun über die Länder hinweg bestimmen?
Wo die Notbremse in Kraft tritt, gelten automatisch nächtliche Ausgangsbeschränkungen von 21 Uhr bis 5 Uhr, bestimmte Läden und Freizeiteinrichtungen werden geschlossen. Der neue Paragraf 28b des Infektionsschutzgesetzes sieht außerdem vor, dass private Zusammenkünfte nur gestattet sind, wenn daran höchstens Angehörige eines Haushalts sowie eine weitere Person einschließlich dazugehörender Kinder bis 14 Jahren teilnehmen. Ab einem Sieben-Tage-Inzidenzwert von 200 wird auch der Präsenzunterricht an Schulen automatisch untersagt. Der Bund kann die Liste der Maßnahmen zudem bei Bedarf erweitern.
Was hat es mit der Testangebotspflicht für Firmen auf sich?
Beschlossen hat das Kabinett außerdem eine Pflicht für Unternehmen, ihren Beschäftigten, die nicht im Homeoffice sind, mindestens einmal pro Woche einen Corona-Test anzuMonat bieten. Die Kosten tragen die Arbeitgeber, die Tests können aber über die Überbrückungshilfen staatlich mit gefördert werden.
Was sagen die Gegner?
Neben Union und SPD unterstützen auch die Grünen die Bundes-Notbremse. Heftiger Widerstand kommt dagegen von Linkspartei, AfD und Liberalen. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sagte unserer Redaktion: „Der Regierungsentwurf weist gravierende Mängel auf und ist geeignet, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger sowohl in die Pandemiebekämpfung der Politik als auch in die Integrität der Verfassungsorgane, insbesondere des Deutschen Bundestages, nachhaltig und massiv zu schädigen.“Es sei unverständlich, dass sich die Pandemiebekämpfung der Bundesregierung mehr als ein Jahr nach Ausbruch noch immer nur in der Repression erschöpfe. Damit würden „weitere soziale und wirtschaftliche Kollateralschäden“offenbar hingenommen.
Wie lange wird es dauern, bis das geänderte Gesetz angewandt werden kann?
Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes muss nun den Bundestag passieren. Geht alles nach dem Plan der schwarz-roten Koalition, könnte dies bis zum Mittwoch, 21. April, gelingen. Anschließend muss das Gesetz auch den Bundesrat passieren. Doch es gibt Streit, ob es sich um ein sogenanntes Einspruchsgesetz handelt, das automatisch in Kraft tritt, wenn die Länderkammer innerhalb einer Frist keinen Einspruch erhebt. Das sieht etwa die bayerische Landesregierung so. Die FDP im Bundestag ist dagegen der Meinung, dass der Bundesrat aktiv zustimmen muss. Laut Fraktionsvize Thomae greife das Gesetz nämlich in die Bund-Länder-Finanzen ein, wenn etwa Eltern bei den Ländern Entschädigung für Kinderbetreuung forderten wegen Schulschließungen, die der Bund angeordnet hat. Die Angelegenheit könnte bis vors Bundesverfassungsgericht gehen, glaubt er. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dagegen auf eine zügige Verabschiedung der Bundes-Notbremse gegen die dritte Coronavirus-Welle gedrängt. „Je schneller es geht, umso besser ist das natürlich – sowohl im Bundestag als auch dann im Bundesrat“, sagte sie nach der Kabinettssitzung in Berlin.
Was passiert in der Zwischenzeit, vor allem, wenn die Infektionszahlen weiter steigen?
Bis das Infektionsschutzgesetz in Kraft tritt, bleibt es dabei, dass die Länder wie bisher über die jeweiligen Corona-Maßnahmen bestimmen. Diese können auch künftig strenger sein als die vom Bund verlangten. Bayern etwa schließt Schulen bereits ab einer Inzidenz von 100 für den Präsenzunterricht. Berlin dagegen hält sie auch bei Werten über 200 offen. Das wäre nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr möglich. Bayern aber dürfte die strengeren Maßnahmen beibehalten.