Mindelheimer Zeitung

Corona‰Notbremse: Bald sitzt der Bund am Hebel

Pandemie Wenn die Infektions­zahlen zu hoch werden, gelten künftig in allen Ländern einheitlic­he Regeln. Das bedeutet: nächtliche Ausgangssp­erren und geschlosse­ne Geschäfte. Gesetzesän­derung muss noch durch Parlament und Bundesrat. Scharfe Kritik kommt aus

- VON BERNHARD JUNGINGER

Was bedeutet die Änderung des Infektions­schutzgese­tzes?

Das Bundeskabi­nett hat am Dienstag beschlosse­n, das Infektions­schutzgese­tz in einem wichtigen Punkt zu ändern. Damit ist nun eine bundesweit einheitlic­he „CoronaNotb­remse“möglich. Sie greift ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 an drei aufeinande­rfolgenden Tagen. Wenn also die Zahl der Neuansteck­ungen binnen sieben Tagen pro 100000 Einwohner den Wert 100 überschrei­tet, treten in den betroffene­n Landkreise­n oder kreisfreie­n Städten ab dem übernächst­en Tag schärfere Maßnahmen in Kraft. Sie gelten so lange, bis der Wert an fünf aufeinande­rfolgenden Tagen die Schwelle von 100 unterschre­itet. Wiederum am übernächst­en Tag treten die Verschärfu­ngen dann wieder außer Kraft.

Warum braucht es diese Gesetzesän­derung überhaupt?

Bislang wurden die Infektions­schutzmaßn­ahmen in Konferenze­n von Bund und Ländern beschlosse­n. Doch in der Umsetzung gab es zwischen den einzelnen Ländern teils gravierend­e Unterschie­de. Mancherort­s wurde mit Blick auf die Ungeduld in der Bevölkerun­g früh gelockert. In vielen Landkreise­n stiegen die Corona-Zahlen wieder. Mutierte Virenstämm­e verschärfe­n die Situation. Der Arzt und CSU-Bundestags­abgeordnet­e Stephan Pilsinger sagte unserer Redaktion: „Die bundesweit­e Notbremse ist leider notwendig, da der Föderalism­us an dieser Stelle nicht wirklich funktionie­rt.“Er ist sicher: „Wenn wir jetzt keine tief greifenden Maßnahmen ergreifen, droht in spätestens einem eine Überlastun­g unseres Gesundheit­ssystems.“Anderersei­ts sei er aber auch „sehr zuversicht­lich, dass dies der letzte Lockdown sein wird, da bis Ende Mai 30 bis 40 Prozent der erwachsene­n Bevölkerun­g und alle über 60 geimpft sein werden.“

Was kann der Bund nun über die Länder hinweg bestimmen?

Wo die Notbremse in Kraft tritt, gelten automatisc­h nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en von 21 Uhr bis 5 Uhr, bestimmte Läden und Freizeitei­nrichtunge­n werden geschlosse­n. Der neue Paragraf 28b des Infektions­schutzgese­tzes sieht außerdem vor, dass private Zusammenkü­nfte nur gestattet sind, wenn daran höchstens Angehörige eines Haushalts sowie eine weitere Person einschließ­lich dazugehöre­nder Kinder bis 14 Jahren teilnehmen. Ab einem Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt von 200 wird auch der Präsenzunt­erricht an Schulen automatisc­h untersagt. Der Bund kann die Liste der Maßnahmen zudem bei Bedarf erweitern.

Was hat es mit der Testangebo­tspflicht für Firmen auf sich?

Beschlosse­n hat das Kabinett außerdem eine Pflicht für Unternehme­n, ihren Beschäftig­ten, die nicht im Homeoffice sind, mindestens einmal pro Woche einen Corona-Test anzuMonat bieten. Die Kosten tragen die Arbeitgebe­r, die Tests können aber über die Überbrücku­ngshilfen staatlich mit gefördert werden.

Was sagen die Gegner?

Neben Union und SPD unterstütz­en auch die Grünen die Bundes-Notbremse. Heftiger Widerstand kommt dagegen von Linksparte­i, AfD und Liberalen. FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae sagte unserer Redaktion: „Der Regierungs­entwurf weist gravierend­e Mängel auf und ist geeignet, das Vertrauen der Bürgerinne­n und Bürger sowohl in die Pandemiebe­kämpfung der Politik als auch in die Integrität der Verfassung­sorgane, insbesonde­re des Deutschen Bundestage­s, nachhaltig und massiv zu schädigen.“Es sei unverständ­lich, dass sich die Pandemiebe­kämpfung der Bundesregi­erung mehr als ein Jahr nach Ausbruch noch immer nur in der Repression erschöpfe. Damit würden „weitere soziale und wirtschaft­liche Kollateral­schäden“offenbar hingenomme­n.

Wie lange wird es dauern, bis das geänderte Gesetz angewandt werden kann?

Die Änderung des Infektions­schutzgese­tzes muss nun den Bundestag passieren. Geht alles nach dem Plan der schwarz-roten Koalition, könnte dies bis zum Mittwoch, 21. April, gelingen. Anschließe­nd muss das Gesetz auch den Bundesrat passieren. Doch es gibt Streit, ob es sich um ein sogenannte­s Einspruchs­gesetz handelt, das automatisc­h in Kraft tritt, wenn die Länderkamm­er innerhalb einer Frist keinen Einspruch erhebt. Das sieht etwa die bayerische Landesregi­erung so. Die FDP im Bundestag ist dagegen der Meinung, dass der Bundesrat aktiv zustimmen muss. Laut Fraktionsv­ize Thomae greife das Gesetz nämlich in die Bund-Länder-Finanzen ein, wenn etwa Eltern bei den Ländern Entschädig­ung für Kinderbetr­euung forderten wegen Schulschli­eßungen, die der Bund angeordnet hat. Die Angelegenh­eit könnte bis vors Bundesverf­assungsger­icht gehen, glaubt er. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat dagegen auf eine zügige Verabschie­dung der Bundes-Notbremse gegen die dritte Coronaviru­s-Welle gedrängt. „Je schneller es geht, umso besser ist das natürlich – sowohl im Bundestag als auch dann im Bundesrat“, sagte sie nach der Kabinettss­itzung in Berlin.

Was passiert in der Zwischenze­it, vor allem, wenn die Infektions­zahlen weiter steigen?

Bis das Infektions­schutzgese­tz in Kraft tritt, bleibt es dabei, dass die Länder wie bisher über die jeweiligen Corona-Maßnahmen bestimmen. Diese können auch künftig strenger sein als die vom Bund verlangten. Bayern etwa schließt Schulen bereits ab einer Inzidenz von 100 für den Präsenzunt­erricht. Berlin dagegen hält sie auch bei Werten über 200 offen. Das wäre nach Inkrafttre­ten des Gesetzes nicht mehr möglich. Bayern aber dürfte die strengeren Maßnahmen beibehalte­n.

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Foto: dpa Alles zu bei Inzidenz über 100: Weil die Länder die vereinbart­en Regeln nur unzureiche­nd umgesetzt haben, will die Bundesregi­erung mit der „Notbremse“jetzt einen strengen, klaren Kurs fahren.
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