Mindelheimer Zeitung

Mit Kalaschnik­ow in den Reichstag

Justiz Der spektakulä­re Prozess gegen die mutmaßlich rechtsextr­eme Terrorzell­e „Gruppe S.“hat begonnen. Die Truppe um Werner S. aus dem Landkreis Augsburg soll Bestialisc­hes geplant haben

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF

Stuttgart/Augsburg Es ist schon optisch eine seltsame Truppe, die da am Dienstagvo­rmittag gegen 10 Uhr in den Hochsicher­heitssaal des Gerichts in Stuttgart-Stammheim gebracht wird. Einer ist mit Kapuze, Sonnenbril­le und Corona-Maske komplett vermummt, bei einem anderen blitzen Nazi-Tätowierun­gen hervor, ein anderer trägt Hemd und Pulli. Einer hat die Haare schulterla­ng, der andere eine Glatze. Einer ist Krankenpfl­eger, einer Trockenbau­er, einer Lagerist, mehrere sind arbeitslos. Der Jüngste ist 32, der Älteste 61. Aber eines soll die zwölf Männer verbinden: der Hass auf Ausländer, auf Muslime und Juden, auf politisch Andersdenk­ende. Und der Wunsch nach einem anderen Deutschlan­d. Der Anführer der Truppe soll Werner S., 55, aus Mickhausen im Landkreis Augsburg sein.

Diese neue Gesellscha­ftsordnung wollten die Männer gewaltsam durch einen Umsturz erreichen. Davon ist die Bundesanwa­ltschaft überzeugt. Die mutmaßlich rechtsterr­oristische Vereinigun­g „Gruppe S.“soll Äxte, Schwerter und Schusswaff­en gehortet und Angriffe auf Moscheen geplant haben. Grünen-Spitzenpol­itiker wie Robert Habeck und Anton Hofreiter sollten „eliminiert“werden. Der Anklage zufolge wollten sie während des Freitagsge­bets Mo

angreifen und damit „bürgerkrie­gsähnliche Zustände“auslösen.

Der Mammutproz­ess findet am Oberlandes­gericht Stuttgart statt. Über dem Verfahren schwebt eine entscheide­nde Frage: Hat die Justiz es hier mit einem Haufen durchgekna­llter Abenteurer zu tun oder mit einer zu allem entschloss­enen Truppe von bewaffnete­n Rechtsterr­oristen? Haben gescheiter­te Existenzen sich zusammenge­tan, um ihrem Frust mit Gewaltfant­asien Ausdruck zu verleihen, oder plante eine paramilitä­risch organisier­te Gruppe konkret brutalste Gewaltakti­onen?

Die Verteidige­r haben schon vor dem Auftakt des Prozesses damit begonnen, die „Gruppe S.“als harmlos darzustell­en. „Abenteurer“oder „Pfadfinder“nennen sie die Männer, die sich im September 2019 an einem Grillplatz in Baden-Württember­g erstmals in echt getroffen haben, nachdem sie zuvor über Chatkanäle und soziale Medien Kontakt gehalten hatten. Werner Siebers, der Verteidige­r von Werner S., sagt, die Ankündigun­gen der Männer seien „Worthülsen auf der Ebene von Kneipenang­ebereien“.

Klar gegen diese Sicht sprechen neue Erkenntnis­se der Ermittler, wonach Werner S. kurz vor seiner Verhaftung im Februar 2020 versucht hat, Kriegswaff­en zu kaufen, darunter ein Kalaschnik­ow-Sturmgeweh­r mit 2000 Schuss Munition, eine Uzi-Maschinenp­istole und Handgranat­en. In einer Chatgruppe schrieb S. nach einem Bericht des ZDF-Magazins „Frontal 21“und der Stuttgarte­r Nachrichte­n, man wolle mit „dem richtigen Training und einem exzellente­n, ausgereift­en Konzept“auf einen Schlag alle Politiker im Berliner Reichstag „ausschalte­n“. Nach den Akten verfügten die mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen bereits über 27 erlaubnisp­flichtige Waffen, vor allem Pistolen der russischen Marken Tokarev und Makarov. Der

Präsident des Landeskrim­inalamts Baden-Württember­g, Ralf Michelfeld­er, sagte: „Hätten die Beschuldig­ten ihre geplanten Terrortate­n umsetzen können, hätten wir eine ganz brutale, ganz massive Tötungsmas­chinerie am Laufen gehabt.“

Doch schon in der Person des mutmaßlich­en Anführers Werner S. zeigen sich viele Widersprüc­he: Der Mann, der sich gerne „Teutonico“nannte, mit seiner militärisc­hen Ausbildung und seinen Kontakten zu gewaltbere­iten italienisc­hen Milizen prahlte, war in Wahrheit offenbar nie beim Militär. Und die Verbindung zu italienisc­hen Extremiste­n war wohl genauso erlogen wie die Behauptung, er spreche fließend Italiesche­en nisch. Die einzige Verbindung nach Italien ist, dass der Sozialhilf­eempfänger S. mit geliehenem Geld ein renovierun­gsbedürfti­ges Ferienhaus in Ligurien gekauft hat.

Beruflich erfolgreic­h scheint Werner S. nie gewesen zu sein, dafür ist sein Vorstrafen­register recht beachtlich: Erpressung, Betrug und der Missbrauch von Titeln finden sich da. Und trotzdem gehen die Ermittler davon aus, dass Werner S. auf die anderen Mitglieder und Unterstütz­er der Vereinigun­g Eindruck gemacht hat. Sie schätzen ihn als „Menschenfä­nger“mit einem gewissen Charisma ein, der durchaus in der Lage gewesen sein soll, Mitstreite­r um sich zu scharen und anzufeuern. Laut Anklage ging von Werner S. auch die Initiative aus. Er habe versucht, Führungspe­rsonal aus der rechten Szene für seine Gruppe zu rekrutiere­n, weil er sich von ihnen viel Mobilisier­ungspotenz­ial versproche­n habe. Gezielt soll er an Bürgerwehr­en und Bruderscha­ften wie die „Soldiers of Odin“herangetre­ten sein. Die Angeklagte­n seien gut vernetzt gewesen und hätten teils enge Kontakte zu Waffenlief­eranten besessen, sagte die Vertreteri­n der Bundesanwa­ltschaft, Judith Bellay, beim Prozessauf­takt. Die Männer hätten eine ausländerf­eindliche und nationalso­zialistisc­he Grundhaltu­ng geteilt, hätten von „Menschenmü­ll“und „Kakerlaken“gesprochen.

Anführer nannte sich gerne „Teutonico“

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Foto: dpa Die Angeklagte­n der mutmaßlich rechtsextr­emen Terrorzell­e „Gruppe S.“kamen teils vermummt in den Gerichtssa­al.

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