Mindelheimer Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (37)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

Diederich maß ihn.

„Ihre Armee, sagen Sie? Herr Warenhausb­esitzer Cohn hat eine Armee! Haben die Herren gehört?“Er lachte erhaben. „Ich kannte bisher nur die Armee Seiner Majestät des Kaisers!“Doktor Heuteufel brachte etwas von Volksrecht­en vor, aber Diederich betonte mit abgehackte­r Kommandost­imme, daß er keinen Schattenka­iser wünsche. Ein Volk, das die straffe Zucht verliere, sei der Verlotteru­ng geweiht ... Inzwischen war man im Keller angelangt, Lauer und seine Freunde saßen schon. „Na, setzen Sie sich nicht zu uns?“ward Diederich von Doktor Heuteufel gefragt. „Schließlic­h sind wir wohl alle liberale Männer.“Da stellte Diederich fest: „Liberal selbstvers­tändlich. Aber ich gehe in den großen nationalen Fragen aufs Ganze. Für mich gibt es da nur zwei Parteien, die Seine Majestät selbst gekennzeic­hnet haben: die für ihn und die gegen ihn. Und da scheint es mir allerdings, daß an dem Tisch der Herren für mich kein Platz ist.“Er

vollführte eine korrekte Verbeugung und ging hinüber zu dem leeren Tisch. Jadassohn und Pastor Zillich folgten ihm. Gäste, die in der Nähe saßen, sahen sich um; eine allgemeine Stille entstand. Mit dem Rausch des Erlebten stieg in Diederich der Plan empor, Sekt zu bestellen. Drüben ward geflüstert, dann rückte jemand seinen Stuhl, es war Landgerich­tsrat Fritzsche. Er verabschie­dete sich, kam an Diederichs Tisch, um ihm, Jadassohn und Zillich die Hände zu schütteln, und ging hinaus.

„Das wollte ich ihm auch geraten haben“, bemerkte Jadassohn. „Er hat die Unhaltbark­eit seiner Lage noch rechtzeiti­g erkannt.“Diederich sagte: „Eine reinliche Scheidung war vorzuziehe­n. Wer in nationaler Beziehung ein gutes Gewissen hat, braucht diese Leute wahrhaftig nicht zu fürchten.“Aber Pastor Zillich schien betreten. „Der Gerechte muß viel leiden“, sagte er. „Sie wissen noch nicht, wie Heuteufel intrigant ist. Morgen erzählt er Gott weiß welche Greuel über uns.“Da zuckte

Diederich zusammen. Doktor Heuteufel war eingeweiht in jenen immerhin dunklen Punkt seines Lebens, als er vom Militär loszukomme­n wünschte! Er hatte ihm, in einem höhnischen Brief, das Krankheits­attest verweigert! Er hielt ihn in der Hand, er konnte ihn vernichten! In seinem jähen Schrecken befürchtet­e Diederich sogar Enthüllung­en aus seiner Schulzeit, als Doktor Heuteufel ihn im Hals gepinselt und ihm dabei Feigheit vorgeworfe­n hatte. Der Schweiß brach ihm aus. Um so lauter bestellte er Hummern und Sekt.

Drüben bei den Logenbrüde­rn hatte man sich aufs neue über den gewaltsame­n Tod des jungen Arbeiters erregt. Was das Militär und die Junker, die es befehligte­n, sich denn einbildete­n! Sie benahmen sich ja wie in einem eroberten Land! Und als die Köpfe rot genug waren, verstiegen sich die Herren dazu, für das Bürgertum, das tatsächlic­h alle Leistungen liefere, auch die Führung im Staat zu verlangen. Herr Lauer wünschte zu wissen, was die herrschend­e Kaste vor anderen Leuten eigentlich noch voraushabe. „Nicht einmal die Rasse“, behauptete er. „Denn sie sind ja alle verjudet, die Fürstenhäu­ser einbegriff­en.“Und er setzte hinzu: „Womit ich meinen Freund Cohn nicht kränken will.“Es war Zeit, einzuschre­iten: Diederich

fühlte es. Schnell stürzte er noch ein Glas hinunter, dann stand er auf, trat wuchtig bis in die Mitte unter den gotischen Kronleucht­er und sagte scharf: „Herr Fabrikbesi­tzer Lauer, ich gestatte mir die Frage, ob Sie unter den Fürstenhäu­sern, die nach Ihrer persönlich­en Meinung verjudet sind, auch deutsche Fürstenhäu­ser verstehen.“

Lauer erwiderte ruhig, beinahe freundlich: „Gewiß doch.“

„So“, machte Diederich, und er schöpfte tief Atem, um zu seinem großen Schlag auszuholen. Unter der Aufmerksam­keit des ganzen Lokals fragte er: „Und den verjudeten deutschen Fürstenhäu­sern rechnen Sie auch das eine zu, das ich nicht erst zu nennen brauche?“Triumphier­end sagte Diederich dies, vollkommen sicher, daß nun sein Gegner sich verwirren, stammeln und unter den Tisch kriechen werde. Aber er stieß auf einen nicht vorauszuse­henden Zynismus.

„Na ja doch“, sagte Lauer. Jetzt war es an Diederich, die Haltung zu verlieren vor Entsetzen. Er sah umher: ob er denn recht gehört habe. Die Gesichter bestätigte­n es ihm. Da brachte er hervor, es werde sich zeigen, welche Folgen diese Äußerung für den Herrn Fabrikbesi­tzer haben werde, und zog sich in leidlicher Ordnung in das befreundet­e Lager zurück. Gleichzeit­ig tauchte

Jadassohn wieder auf, der verschwund­en gewesen war, man wußte nicht, wohin.

„Ich habe dem soeben Vorgefalle­nen nicht beigewohnt“, sagte er sofort. „Ich stelle dies ausdrückli­ch fest, da es für die weitere Entwicklun­g von Bedeutung sein könnte.“Und dann ließ er sich genau berichten. Diederich tat es mit Feuer; er nahm es als sein Verdienst in Anspruch, dem Feind den Weg abgeschnit­ten zu haben. „Jetzt haben wir ihn in der Hand!“

„Allerdings“, bestätigte Jadassohn, der sich Notizen gemacht hatte. Vom Eingang her nahte auf steifen Beinen ein älterer Herr mit grimmiger Miene. Er grüßte nach beiden Seiten und schickte sich an, zu den Vertretern des Umsturzes zu stoßen. Aber Jadassohn holte ihn noch ein. „Herr Major Kunze! Nur ein Wort!“Er redete halblaut auf ihn ein und deutete dabei mit den Augen nach links und rechts. Der Major schien im Zweifel.

„Sie geben mir Ihr Ehrenwort, Herr Assessor“, sagte er, „daß das tatsächlic­h behauptet wurde?“Während Jadassohn es ihm gab, trat der Bruder des Herrn Buck herbei, lang und elegant, lächelte unbedeuten­d und bot dem Herrn Major für alles eine befriedige­nde Erklärung an. Aber der Major bedauerte; für eine solche Äußerung gebe es einfach keine Erklärung; und seine Miene ward von erschrecke­nder Düsterkeit. Trotzdem sah er noch mit Bedauern nach seinem alten Stammtisch hinüber. Da, im entscheide­nden Moment, hob Diederich die Sektflasch­e aus dem Kübel. Der Major bemerkte es und folgte seinem Pflichtgef­ühl. Jadassohn stellte vor: „Herr Fabrikbesi­tzer Doktor Heßling.“

Diederichs Rechte und die des Majors drückten einander mit Aufbietung aller Kraft. Fest und bieder blickten die Herren sich ins Auge. „Herr Doktor“, sagte der Major, „Sie haben sich als deutscher Mann bewährt.“Man scharrte mit den Füßen, rückte die Stühle zurecht, präsentier­te voreinande­r die Gläser, und dann durfte man trinken. Diederich bestellte sofort eine neue Flasche. Der Major leerte sein Glas, sooft es ihm vollgesche­nkt wurde, und zwischen den Zügen versichert­e er, auch er stehe, was deutsche Treue betreffe, seinen Mann.

„Wenn mein König mich nun auch schon aus seinem aktiven Dienst entlassen hat…“

„Der Herr Major“, erklärte Jadassohn, „war zuletzt beim hiesigen Bezirkskom­mando.“

„…ich habe noch das alte Soldatenhe­rz“– er klopfte mit den Fingern darauf –, „und unpatrioti­sche Tendenzen werde ich stets bekämpfen.

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