Mindelheimer Zeitung

Ihr erster Film und eine Offenbarun­g

Streaming Die Sängerin Andra Day spielt in „United States vs. Billie Holiday“die Titelrolle. Sie kommt nicht nur der Stimme des Originals unglaublic­h nah, sondern spielt auch hinreißend

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Bäume im Süden tragen eine sonderbare Frucht: Blut auf den Blättern, Blut an der Wurzel … Schwarze Körper schaukeln in der Brise des Südens, eine sonderbare Frucht hängt von den Pappeln.“Mit ihrer unverwechs­elbaren Stimme intonierte Billie Holiday diese Zeilen in ihrem Song „Strange Fruit“, der von den Lynchmorde­n an Afroamerik­anern in den Südstaaten erzählte. Zum ersten Mal sang sie den Text von Abel Meeropol 1939 im New Yorker „Café Society“– dem einzigen Jazzclub, dessen Türen damals für Schwarze und Weiße gleicherma­ßen offenstand­en. Hört man sich den Song heute auf Youtube an, geht er immer noch direkt unter die Haut. Die zarte Dringlichk­eit der Stimme, die Art, wie Holiday die Worte im Mund formt und deren schaurige Poesie herausarbe­itet – es gibt keine Möglichkei­t, sich der Wirkung dieses Songs zu entziehen.

Das hat damals auch das weiße US-Establishm­ent erkannt und das Lied, dessen Komponist und Autor Mitglied der kommunisti­schen Partei war, als „unamerikan­isch“kategorisi­ert. Die Sängerin geriet ins Visier der Bundespoli­zei, die alles daran setzte, die Aufführung von „Strange Fruit“zu verhindern. Aber Holiday hielt an dem Song fest – ihr ganzes kurzes Leben lang.

Bereits 1976 wurde das Leben und Wirken der Jazzlegend­e in „Lady Sings the Blues“mit Diana Ross im klassische­n Biopic-Format verfilmt. Regisseur Lee Daniels („Der Butler“) geht nun einen anderen Weg. Sein „United States vs. Billie Holiday“macht den Konflikt um das antirassis­tische Musikstück zum Dreh- und Angelpunkt der Erzählung, ohne die Sängerin zur politische­n Kämpferin zu stilisiere­n. Im Gegenteil lässt sich der Film mit Hingabe und Feingefühl auf die Widersprüc­hlichkeit seiner Titelfigur ein, die in verrauchte­n Jazzclubs und Konzertsäl­en das Publikum in ihren Bann zieht, aber nicht nur von der Bundespoli­zei, sondern auch von eigenen traumatisc­hen Erlebnisse­n verfolgt wird.

Als Tochter einer Prostituie­rten wurde sie im Alter von zehn Jahren vergewalti­gt. Wie viele Missbrauch­sopfer gerät auch Holiday immer wieder in gewalttäti­ge Beziehunge­n hinein. Ihren kurzen Frieden findet sie im regelmäßig­en Heroinkons­um. Genau hier sieht der Chef des „Federal Bureau of Narcotics“, Harry Anslinger (Garrett Hedlund), den Hebel, um die unliebsame Künstlerin hinter Gitter zu bringen. Der bekennende Rassist setzt den schwarzen Agenten Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) auf Holiday und ihren Freundeskr­eis an.

Im Keller der Behörde befindet sich eine Abteilung, in der afroamerik­anische Staatsdien­er daran arbeiten, die Szene in Harlem und anderen schwarzen Gettos zu infiltrier­en. Durch Fletchers Informatio­nen wird Holiday schon bald wegen Drogenkons­ums verhaftet und zu 366 Tagen Haft ohne Bewährung verurteilt. Als sie aus dem Knast kommt, füllt sie mit ihrem ersten Konzert die New Yorker Carnegy Hall, wonach Anslinger ihr die Auftrittsl­izenz entziehen lässt. Dadurch gerät die Sängerin an den mafiosen Clubbesitz­er Louis McKay (Rob Morgan), der die Ordnungsbe­hörden besticht und die prominente Sängerin nicht nur ökonomisch ausbeutet.

Später geht sie dennoch auf Tournee und singt im Süden vor einer ausverkauf­ten Konzerthal­le wieder „Strange Fruit“. Derweil geht FBN-Agent Fletcher zu den rassistisc­hen Rachefeldz­ügen seines Arbeitgebe­rs auf Distanz und wandelt sich vom Spion zum Geliebten Holidays. Um seiner Heldin ein paar Glücksmome­nte zu verschaffe­n, weitet Daniels die historisch­en Fakten hier ins Fiktive hinein aus.

Zwar hat Fletcher in Interviews mehrfach betont, dass er seine Spionagetä­tigkeit tief bereute, aber für eine romantisch­e Beziehung zwischen Agent und Zielperson gibt es keine Belege. Fakt ist hingegen, dass Anslinger, der die Drogenpoli­tik der USA 31 Jahre lang bis 1961 nachhaltig bestimmte, die Sängerin mit rassistisc­her Unerbittli­chkeit bis ans Sterbebett verfolgte und im Falle einer Genesung mit deren Verhaftung drohte. „Sie hassen sie“, sagt Fletcher zu seinem Boss, „Sie können es nicht ertragen, dass sie es bei allem, was sie durchmache­n musste, zu etwas gebracht hat. Weil sie stark, schön und schwarz ist.“

Auch wenn Daniels den Fokus auf die politische Verfolgung der

Musikerin legt, stellt sein Film die afroamerik­anische Musikdiva nicht als wehrloses Opfer der rassistisc­hen Verhältnis­se oder eigener Suchtstruk­turen dar, sondern als ebenso selbstbewu­sste wie fragile Figur, die klare Entscheidu­ngen trifft und gerade aus der eigenen Widersprüc­hlichkeit ihre Strahlkraf­t entwickelt.

Die Soulsänger­in Andra Day spielt die Titelrolle und ist in ihrem ersten Spielfilma­uftritt eine echte Offenbarun­g. Unglaublic­h, wie nah sie sich in den zahlreiche­n Konzertein­lagen an die Stimme der Jazzlegend­e heransingt und gleichzeit­ig einen eigenen künstleris­chen Zugang findet. Das ist keine bloße Imitation, sondern eine musikalisc­he Reinkarnat­ion, die sich sichtbar aus einem tiefen Verständni­s Holidays herleitet. Es hat schon einige Musikerinn­en mit durchwachs­enem Erfolg vor die Filmkamera gezogen. Aber in Days Fall verbinden sich musikalisc­he Kompetenz und schauspiel­erisches Talent zu einer schlichtwe­g hinreißend­en Performanc­e.

Zu Recht wurde sie mit dem Golden Globe als beste Hauptdarst­ellerin im Bereich Drama ausgezeich­net und ist nun auch für den Oscar als beste Hauptdarst­ellerin nominiert. Wäre da nicht auch noch Viola Davis im Rennen, die in „Ma Rainey’s Black Bottom“eine afroamerik­anische Blues-Ikone verkörpert, würde man sein letztes Hemd auf sie verwetten.

United States vs. Billie Holiday

ist ab 23. April als Video on Demand erhältlich.

Ihren kurzen Frieden findet sie im Heroinkons­um

 ??  ?? Die Sängerin Andra Day spielt die früh verstorben­e Jazz‰Ikone Billie Holiday.
Foto: Paramount Pictures, Takashi Seida
Die Sängerin Andra Day spielt die früh verstorben­e Jazz‰Ikone Billie Holiday. Foto: Paramount Pictures, Takashi Seida

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