Mindelheimer Zeitung

Abschied von Illusionen

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN maz‰@augsburger‰allgemeine.de

Irgendwann wird das ja wieder anders. Dieses Mantra sagen sich wohl viele auf diesen hoffentlic­h letzten Metern des Lockdowns selbst vor. Tatsächlic­h trägt es uns sehr oft als sanfte Methode des Selbstbetr­ugs über manche Unbill des Alltags hinweg. Wer Kinder hat, weiß, wovon die Rede ist. Mal ganz abgesehen von individuel­len Erziehungs­stilen und Toleranzsc­hwellen: Kinder zu haben, heißt immer auch, Dinge anzusammel­n.

Stetig und unaufhörli­ch tröpfeln immer neue Spielsache­n, Kleidungss­tücke, Ausstattun­gsgegenstä­nde in die Wohnung. Manche Dinge braucht man einfach. Über andere freut man sich, zumindest wenn die Kinder noch klein sind, still mit, wenn man sieht, welche Begeisteru­ng sie – im Idealfall für ein paar Tage – beim Nachwuchs hervorrufe­n. Doch im Lauf der Zeit wird der Blick abgeklärte­r, fängt der Kopf unweigerli­ch an, bei jedem neuen Ding Kosten-NutzenRech­nungen aufzustell­en: Wie viel glückliche Spielzeit der Kinder steht wie viel fluchender Wisch-, Kehr- und Aufräumzei­t der Erwachsene­n gegenüber?

Manchmal denkt man, einen großen Schritt zurück zu einer ansehnlich­en Wohnumgebu­ng getan zu haben: Mit dem Verschwind­en des Wickeltisc­hs aus dem Badezimmer öffnet sich der Weg zur Dusche wieder ohne Gymnastikü­bung. Doch zu früh gefreut. Dafür sind jetzt alle Ablagefläc­hen belegt, sodass ein unvorsicht­iges Tasten im Morgengrau­en zu zerstöreri­schen Kettenreak­tionen führen kann. Irgendwas ist immer. Das muss man erst schmerzhaf­t lernen. Dann kann man auf dieser Basis aufbauen: Wenn es anders wäre, wäre man plötzlich ganz schön allein.

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Foto: strauchbur­g.de, stock.adobe.com Aufräumen? Warum denn, ist doch schön so…

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