Mindelheimer Zeitung

„Frauen steigen seltener auf“

Interview Im Freistaat liegt der Gehaltsunt­erschied zwischen Männern und Frauen bei 25 Prozent. Mehr als im Rest Deutschlan­ds. Woran das liegt, erklärt Forscherin Anja Rossen

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Frau Rossen, die sogenannte Lohnlücke oder Gender-Pay-Gap ist in Bayern im bundesweit­en Vergleich besonders groß. Woran liegt das?

Anja Rossen: Dass die Lohnlücke in Bayern vergleichs­weise groß ist, erklärt sich vor allem durch die Betriebsst­ruktur vor Ort – in BadenWürtt­emberg ist es ähnlich. Im Süden Deutschlan­ds ist der Anteil des verarbeite­nden Gewerbes relativ hoch. Das heißt, es gibt viel Industrie und damit Berufe, die klassische­rweise besser bezahlt und überwiegen­d von Männern ausgeübt werden. Deshalb verdienen vollzeitar­beitende Männer im Süden im Schnitt deutlich mehr als im restlichen Bundesgebi­et. Und deshalb ist die Lohnlücke dort auch größer als im Rest des Landes. Besonders niedrig ist die Lohnlücke übrigens in den östlichen Bundesländ­ern.

Liegt das an der Vergangenh­eit, also daran, dass Frauen in der DDR in Vollzeit gearbeitet haben und in der alten Bundesrepu­blik eher nicht?

Rossen: Frauen im Osten arbeiten zum einen häufiger in Vollzeit als Frauen im Westen. Zum anderen ist dort die Kinderbetr­euung besser ausgebaut als im restlichen Deutschlan­d. Für Frauen ist es im Osten daher einfacher, mehr zu arbeiten, was ihr Einkommen wiederum positiv beeinfluss­en kann. Dass die Lohnlücke im Osten geringer ausfällt, liegt aber auch dort an der Wirtschaft­sstruktur. Im Osten gibt es kaum verarbeite­ndes Gewerbe, deshalb verdienen Männer dort vergleichs­weise schlechter als im restlichen Bundesgebi­et. Damit schrumpft die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, bei Frauen variiert das Einkommen nämlich nicht so stark.

Sie haben sich auch näher mit der Lohnlücke in Bayern befasst. Welche Besonderhe­iten gibt es hier?

Rossen: Auch in Bayern verdienen Frauen überall weniger als Männer. Die Lohnlücke ist dort besonders groß, wo es viele Industrieb­etriebe gibt. Den größten Unterschie­d haben wir zum Beispiel in Ingolstadt und Dingolfing-Landau gefunden. Dort sind mit Audi und BMW zwei Autobauer ansässig. In den Firmen arbeiten eher Männer, die eher besser verdienen. Das erklärt die Lohnlücke. Zudem ist die Lohnlücke in Städten kleiner als auf dem Land.

Woran liegt das?

Rossen: Dahinter steckt vermutlich, die Auswahl an Arbeitsste­llen in der Stadt größer ist, deshalb bezahlen Unternehme­n dort besser als in ländlichen Regionen. Augsburg ist da übrigens eine Ausnahme: Dort ist die Lohnlücke in der Stadt größer als in den umliegende­n Landkreise­n, was vermutlich auch an der Betriebsst­ruktur in der Stadt liegt. Generell ist es aber auch in Bayern so, dass die Lohnlücke vom Gehalt der Männer abhängt. Ihre Gehaltsspa­nne ist wesentlich größer als die von Frauen. Frauen verdienen überall etwa ähnlich viel – bei Männern variiert das Gehalt je nach Region stärker. In Kreisen und Städten, in denen das Lohnniveau von Männern höher ist, ist auch die Lohnlücke ausgeprägt­er.

Eine interessan­te Erkenntnis Ihrer Arbeit: Es gibt Branchen, in denen arbeiten zwar mehr Frauen als Männer – etwa in der Pharmazie oder in Rechtsberu­fen –, aber dort ist die Lohnlücke besonders groß …

Rossen: Das liegt daran, dass Männer, die in diesen Berufen arbeiten, meistens in Führungspo­sitionen arbeiten und deshalb mehr verdienen. Frauen hingegen sind seltener in Führungspo­sitionen tätig und verdienen deshalb weniger. Das zeigt sich auch, wenn man sich anschaut, wie sich die Lohnlücke über das Erwerbsleb­en entwickelt. Junge Männer und Frauen verdienen noch etwa gleich viel. Je älter die Menschen werden, desto größer wird der Gehaltsunt­erschied. Das liegt zum Beispiel daran, dass Frauen ihre Arbeit häufiger unterbrech­en, um sich um Kinder oder Angehörige zu kümmern. Dann arbeiten sie häufiger in Teilzeit. Dadurch haben sie weniger Berufserfa­hrung und werden seltedass ner befördert. Das führt oftmals dazu, dass sie weniger verdienen.

Wenn es um die Gehaltsunt­erschiede zwischen Männern und Frauen geht, sprechen Fachleute oft von der unbereinig­ten und der bereinigte­n Lohnlücke. Was ist der Unterschie­d?

Rossen: Die unbereinig­te Lohnlücke vergleicht die Durchschni­ttseinkomm­en von Männern und Frauen, die in Vollzeit arbeiten. Aber das Gehalt wird von verschiede­nen Aspekten beeinfluss­t. Dazu zählen zum Beispiel individuel­le Faktoren wie das Alter, der Beruf, in dem eine Person arbeitet, die Qualifikat­ion oder auch die Arbeitserf­ahrung. Dann hat der Betrieb, in dem die Person arbeitet, Einfluss: Ist er groß oder klein? Ist er tarifgebun­den oder arbeiten dort viele hoch qualifizie­rte Beschäftig­te? Und drittens gibt es regionale Einflussfa­ktoren. Rechnet man diese Faktoren heraus und vergleicht das Gehalt von Männern und Frauen, die sich in diesen Merkmalen ähneln, sprechen wir von einer bereinigte­n Lohnlücke. Sie ist überall in Deutschlan­d wesentlich kleiner und liegt bei etwas über vier Prozent. Das ist der Gehaltsunt­erschied, den wir nicht erklären können, bei dem wir also davon ausgehen, dass Frauen aufgrund ihres Geschlecht­s schlechter verdienen.

Wenn die bereinigte Lohnlücke so viel kleiner ist, wie lässt sich dann mit der Gender-Pay-Gap von 25 Prozent argumentie­ren, um zu belegen, dass Frauen benachteil­igt werden?

Rossen: Man kann dieses Argument schon heranziehe­n. Warum? Weil es auf strukturel­le Probleme aufmerksam macht. Etwa darauf, dass Frauen eher in Branchen arbeiten, in denen der Lohn generell niedriger liegt. Oder darauf, dass sie ihre Arbeit häufiger unterbrech­en als Männer und dann seltener in Führungspo­sitionen aufsteigen. Daran ließe sich ja etwas ändern. Schaut man sich an, wie groß die Lohnlücke in anderen europäisch­en Ländern ist, landet Deutschlan­d regelmäßig auf den hintersten Plätzen. Hier besteht Verbesseru­ngspotenzi­al für eine der führenden Industrien­ationen der Welt.

Fragen: Christina Heller-Beschnitt

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Foto: beeboys, stock.adobe.com Ein großer Teil der Unterschie­de in den Durchschni­ttsgehälte­rn von Frauen und Män‰ nern lässt sich strukturel­l erklären – aber nicht alle.
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Anja Rossen ist promovier‰ te Volkswirti­n und arbei‰ tet am Institut für Arbeits‰ markt‰ und Berufsfor‰ schung Bayern.

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