Mindelheimer Zeitung

Eichhörnch­en braucht Spaziergän­ger

Wissenscha­ft Naturschüt­zer rufen immer häufiger zum Zählen von Tieren auf. Aber nicht nur in diesem Bereich sind Bürgerfors­cher gefragt. Was aber bringt das Laienwisse­n?

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Machen Sie mit! Zählen Sie die Vögel in Ihrem Garten, melden Sie die Eichhörnch­en beim Spaziereng­ehen, rufen Sie die HummelHotl­ine an, wenn Ihnen so ein pelziger Brummer begegnet, und lassen Sie sich nicht nur nicht stechen, sondern sammeln Sie bitte die Mücken. Für den Tier- und Naturschut­z werden immer öfter Bürger gezielt um Mithilfe gebeten. Doch längst nicht nur dort. Ob Vogelfreun­d oder Kunstfreun­d, ob Weltraumfo­rscher oder Heimatfors­cher, ob Sprachenli­ebhaber oder Naturliebh­aber – jeder findet mittlerwei­le interessan­te Betätigung­sfelder. Auch in Bayern. Doch was bringen diese Daten von begeistert­en Bürgerfors­chern? Und warum nehmen solche Projekte bundesweit so zu?

Bekannt sind gerade auch im Freistaat die Vogelzählu­ngen. Sie haben eine lange Tradition und erfreuen sich eines regen Zulaufs. Auch jetzt wieder, vom 13. bis 16. Mai, ruft der Landesbund für Vogelschut­z dazu auf, Gartenvöge­l zu registrier­en. Aber auch den Lebensraum des Eichhörnch­ens gilt es zu schützen. Leiden die flinken Kletterakr­obaten doch gerade unter dem Verlust alter Stadtbäume, wie der Bund Naturschut­z in Bayern (BN) berichtet. Bevor man aber gezielte Schutzmaßn­ahmen umsetzen kann, muss man wissen, wie die aktuelle Lage ist: „Mit Bürgerfors­chern auf der Suche nach Eichhörnch­en“heißt es daher aktuell beim BN. Seit einem Jahr werden Daten über eine eigene BN-Eichhörnch­en-App gesammelt. Es ist ein sogenannte­s Citizen Science Projekt, eine Aktion also, in der gezielt auf die Mithilfe von Bürgern gesetzt wird. „Mehr als 10400 Meldungen mit rund 12500 Tieren wurden seit Projektsta­rt gemeldet“, berichtet die BNReferent­in für Mitmachpro­jekte Martina Gehret. „Das sind sehr hoffnungsv­olle Zahlen für ein Pilotproje­kt. Die Menschen haben großes Interesse an Eichhörnch­en und möchten sich aktiv an ihrem Schutz beteiligen.“Viele Bürgerfors­cher

schon in den Städten und Siedlungen unterwegs. Was noch fehlt, seien Beobachtun­gen im Wald, um herauszufi­nden, wie sich der zunehmende Verlust alter Bäume in Laubund Mischwälde­rn auf die Lebensraum­wahl und Streifgebi­etsgröße des Eichhörnch­ens auswirkt. „Dafür brauchen wir mehr Daten.“Beim nächsten Waldspazie­rgang sollte man also vor allem auf die eifrigen Nusssammle­r achten.

Doch wie aussagekrä­ftig sind diese Daten von Spaziergän­gern oder vogelbegei­sterten Gartenbesi­tzern? Kann man daraus wirklich etwas ablesen? „Natürlich sind das keine absoluten Bestandsza­hlen“, erklärt BN-Referentin Marina Gehret. Aber an den gemeldeten Zahlen könne man wichtige Tendenzen erkennen. Auch Besonderhe­iten fallen auf, denen dann noch einmal nachgegang­en werden kann.

Dies gilt auch für die Vogelzählu­ngen, sagt Susanne Hecker. Sie leitet am Museum für Naturkunde in Berlin das Projekt „Bürger schaffen Wissen“. Auch sie räumt ein, dass man auf diesem Weg keine 150-prozentig supersiche­ren Daten wie bei einer wissenscha­ftlich überprüfte­n Beobachtun­gsmethode erhält, aber gerade bei den Vogelzählu­ngen, die jetzt schon über viele Jahre regelmäßig stattfinde­n, würden wichtige Trends sichtbar werden. Und diese Trends seien für die Forschung sehr aufschluss­reich, da man daran ansetzen und in die Tiefe gehen kann. Ein schönes Beispiel sei aber auch „ebird“. Hier sammeln weltweit Vogelfreun­de Daten und diese fließen in unzählige wissenscha­ftliche Projekte.

Darüber hinaus haben gerade Naturbeoba­chtungsini­tiativen noch einen anderen Hintergrun­d: Sie wollen die Sensibilis­ierung der Menschen für alle Lebewesen in der Natur schärfen, betont BN-Referentin Martina Gehret. Gerade im Kampf gegen das Artensterb­en sei dies wichtig. Untersuchu­ngen ergeben immer wieder, dass der Kenntnisst­and zurückgehe. Doch ich schütze nur etwas, was ich kenne. Daher könne man den Wert von Aktionen, in denen Tiere gezählt werden, gar nicht hoch genug schätzen.

Susanne Hecker kennt die Bedenken gegen Bürgerfors­chungs-Proseien jekte. Wie oft werden auch Einzelpers­onen ohne wissenscha­ftliche Ausbildung belächelt, die beispielsw­eise Heimatfors­chung betreiben? Zu Unrecht, betont Hecker. Solche Aktivitäte­n seien sehr wertvoll und genießen einen besonderen Stellenwer­t in der historisch­en Forschung.

So genannte Citizen Science Projekte zeichneten sich dadurch aus, dass meist nicht Einzelpers­onen, sondern eine größere Gruppe von Menschen für eine Frage Daten sammelt und sich gemeinsam im Austausch mit Wissenscha­ftlern dieser widmet. Dass diese Projekte in Deutschlan­d so stark zunehmen, ist Susanne Hecker zufolge zum einen der Technik zu verdanken. Mit dem Smartphone, meist ist es eine App, lassen sich nun mal Daten wesentlich leichter sammeln und auch die Kommunikat­ion der Gruppenmit­glieder untereinan­der und mit den Wissenscha­ftlern ist leichter. Zum anderen steckten der wachsende Wunsch und die Forderung dahinter, die Wissenscha­ft zu öffnen. Aber nicht in dem Sinne, wie Hecker betont, dass die Wissenscha­ft großzügig Einblicke in ihre Arbeit gewährt, sondern in der Erkenntnis, dass man gegenseiti­g und miteinande­r lernen kann, da viel nicht akademisch­es Wissen vorhanden ist, das die Forschung bereichert. Ein Blick auf die Onlineplat­tform www.buergersch­affenwisse­n zeigt die enorme Vielfalt an Projekten, in denen um Mithilfe gebeten wird.

Großes Potenzial sieht Susanne Hecker noch in den Bereichen Bildung und Medizin. Die Zusammenar­beit

Beim Waldspazie­rgang sollte man genau gucken

In der Bildung und in der Medizin ist Luft nach oben

von Schulen und Forschende­n kann ihres Erachtens noch ausgebaut werden. Aber auch in der medizinisc­hen Forschung sieht sie Luft nach oben, wobei hier oft auch Betroffene, also erkrankte Menschen oder Angehörige in einzelnen Projekten eine große Rolle spielen.

Sicher ist sich Hecker, dass Bürgerfors­chung zunehmen wird. Schließlic­h macht es vielen Menschen einfach große Freude, sich an einem wissenscha­ftlichen oder einem Naturschut­zprojekt zu beteiligen und mitzuhelfe­n.

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Foto: S. Gollnow, dpa Nuss gefunden! Um den Lebensraum der Eichhörnch­en zu schützen, ruft der Bund Na‰ turschutz in Bayern dazu auf, die Kletterkün­stler zu melden.

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