Eichhörnchen braucht Spaziergänger
Wissenschaft Naturschützer rufen immer häufiger zum Zählen von Tieren auf. Aber nicht nur in diesem Bereich sind Bürgerforscher gefragt. Was aber bringt das Laienwissen?
Augsburg Machen Sie mit! Zählen Sie die Vögel in Ihrem Garten, melden Sie die Eichhörnchen beim Spazierengehen, rufen Sie die HummelHotline an, wenn Ihnen so ein pelziger Brummer begegnet, und lassen Sie sich nicht nur nicht stechen, sondern sammeln Sie bitte die Mücken. Für den Tier- und Naturschutz werden immer öfter Bürger gezielt um Mithilfe gebeten. Doch längst nicht nur dort. Ob Vogelfreund oder Kunstfreund, ob Weltraumforscher oder Heimatforscher, ob Sprachenliebhaber oder Naturliebhaber – jeder findet mittlerweile interessante Betätigungsfelder. Auch in Bayern. Doch was bringen diese Daten von begeisterten Bürgerforschern? Und warum nehmen solche Projekte bundesweit so zu?
Bekannt sind gerade auch im Freistaat die Vogelzählungen. Sie haben eine lange Tradition und erfreuen sich eines regen Zulaufs. Auch jetzt wieder, vom 13. bis 16. Mai, ruft der Landesbund für Vogelschutz dazu auf, Gartenvögel zu registrieren. Aber auch den Lebensraum des Eichhörnchens gilt es zu schützen. Leiden die flinken Kletterakrobaten doch gerade unter dem Verlust alter Stadtbäume, wie der Bund Naturschutz in Bayern (BN) berichtet. Bevor man aber gezielte Schutzmaßnahmen umsetzen kann, muss man wissen, wie die aktuelle Lage ist: „Mit Bürgerforschern auf der Suche nach Eichhörnchen“heißt es daher aktuell beim BN. Seit einem Jahr werden Daten über eine eigene BN-Eichhörnchen-App gesammelt. Es ist ein sogenanntes Citizen Science Projekt, eine Aktion also, in der gezielt auf die Mithilfe von Bürgern gesetzt wird. „Mehr als 10400 Meldungen mit rund 12500 Tieren wurden seit Projektstart gemeldet“, berichtet die BNReferentin für Mitmachprojekte Martina Gehret. „Das sind sehr hoffnungsvolle Zahlen für ein Pilotprojekt. Die Menschen haben großes Interesse an Eichhörnchen und möchten sich aktiv an ihrem Schutz beteiligen.“Viele Bürgerforscher
schon in den Städten und Siedlungen unterwegs. Was noch fehlt, seien Beobachtungen im Wald, um herauszufinden, wie sich der zunehmende Verlust alter Bäume in Laubund Mischwäldern auf die Lebensraumwahl und Streifgebietsgröße des Eichhörnchens auswirkt. „Dafür brauchen wir mehr Daten.“Beim nächsten Waldspaziergang sollte man also vor allem auf die eifrigen Nusssammler achten.
Doch wie aussagekräftig sind diese Daten von Spaziergängern oder vogelbegeisterten Gartenbesitzern? Kann man daraus wirklich etwas ablesen? „Natürlich sind das keine absoluten Bestandszahlen“, erklärt BN-Referentin Marina Gehret. Aber an den gemeldeten Zahlen könne man wichtige Tendenzen erkennen. Auch Besonderheiten fallen auf, denen dann noch einmal nachgegangen werden kann.
Dies gilt auch für die Vogelzählungen, sagt Susanne Hecker. Sie leitet am Museum für Naturkunde in Berlin das Projekt „Bürger schaffen Wissen“. Auch sie räumt ein, dass man auf diesem Weg keine 150-prozentig supersicheren Daten wie bei einer wissenschaftlich überprüften Beobachtungsmethode erhält, aber gerade bei den Vogelzählungen, die jetzt schon über viele Jahre regelmäßig stattfinden, würden wichtige Trends sichtbar werden. Und diese Trends seien für die Forschung sehr aufschlussreich, da man daran ansetzen und in die Tiefe gehen kann. Ein schönes Beispiel sei aber auch „ebird“. Hier sammeln weltweit Vogelfreunde Daten und diese fließen in unzählige wissenschaftliche Projekte.
Darüber hinaus haben gerade Naturbeobachtungsinitiativen noch einen anderen Hintergrund: Sie wollen die Sensibilisierung der Menschen für alle Lebewesen in der Natur schärfen, betont BN-Referentin Martina Gehret. Gerade im Kampf gegen das Artensterben sei dies wichtig. Untersuchungen ergeben immer wieder, dass der Kenntnisstand zurückgehe. Doch ich schütze nur etwas, was ich kenne. Daher könne man den Wert von Aktionen, in denen Tiere gezählt werden, gar nicht hoch genug schätzen.
Susanne Hecker kennt die Bedenken gegen Bürgerforschungs-Proseien jekte. Wie oft werden auch Einzelpersonen ohne wissenschaftliche Ausbildung belächelt, die beispielsweise Heimatforschung betreiben? Zu Unrecht, betont Hecker. Solche Aktivitäten seien sehr wertvoll und genießen einen besonderen Stellenwert in der historischen Forschung.
So genannte Citizen Science Projekte zeichneten sich dadurch aus, dass meist nicht Einzelpersonen, sondern eine größere Gruppe von Menschen für eine Frage Daten sammelt und sich gemeinsam im Austausch mit Wissenschaftlern dieser widmet. Dass diese Projekte in Deutschland so stark zunehmen, ist Susanne Hecker zufolge zum einen der Technik zu verdanken. Mit dem Smartphone, meist ist es eine App, lassen sich nun mal Daten wesentlich leichter sammeln und auch die Kommunikation der Gruppenmitglieder untereinander und mit den Wissenschaftlern ist leichter. Zum anderen steckten der wachsende Wunsch und die Forderung dahinter, die Wissenschaft zu öffnen. Aber nicht in dem Sinne, wie Hecker betont, dass die Wissenschaft großzügig Einblicke in ihre Arbeit gewährt, sondern in der Erkenntnis, dass man gegenseitig und miteinander lernen kann, da viel nicht akademisches Wissen vorhanden ist, das die Forschung bereichert. Ein Blick auf die Onlineplattform www.buergerschaffenwissen zeigt die enorme Vielfalt an Projekten, in denen um Mithilfe gebeten wird.
Großes Potenzial sieht Susanne Hecker noch in den Bereichen Bildung und Medizin. Die Zusammenarbeit
Beim Waldspaziergang sollte man genau gucken
In der Bildung und in der Medizin ist Luft nach oben
von Schulen und Forschenden kann ihres Erachtens noch ausgebaut werden. Aber auch in der medizinischen Forschung sieht sie Luft nach oben, wobei hier oft auch Betroffene, also erkrankte Menschen oder Angehörige in einzelnen Projekten eine große Rolle spielen.
Sicher ist sich Hecker, dass Bürgerforschung zunehmen wird. Schließlich macht es vielen Menschen einfach große Freude, sich an einem wissenschaftlichen oder einem Naturschutzprojekt zu beteiligen und mitzuhelfen.