Ganz normal anders
Soziales Stefanie Brei und Roland Götzfried aus Mindelheim wollen trotz ihrer Schwerbehinderung ein möglichst normales Leben führen. Das klappt in vielen Bereichen schon ganz gut, doch manches ließe sich noch verbessern
Stefanie Brei und Roland Götzfried aus Mindelheim wollen trotz ihrer Behinderung ein normales Leben führen. Das klappt meist ganz gut, aber eben nicht immer.
Mindelheim Stefanie Brei und Roland Götzfried sind ein Paar wie viele andere. Sie leben in Mindelheim in einer Wohnung, beide sind berufstätig – und beide sind schwerbehindert. Trotzdem führen sie ein ganz normales Leben, wie man so schön sagt. Oder besser: Sie versuchen es. Denn manchmal ist das gar nicht so leicht: In der UN-Menschenrechtskonvention hat zwar auch Deutschland unterschrieben, dass alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollen. In der Praxis aber gäbe es schon noch das eine oder andere zu tun, findet das Paar.
Auf einer Skala von eins bis zehn geben sie dem Stand der Inklusion nach langem Überlegen jedenfalls eine fünf, was in Schulnoten wohl „befriedigend“entsprechen würde. „Wir sind schon weit, aber am Ziel sind wir glaub’ noch nicht“, sagt Stefanie Brei zögernd. Sie ist von Geburt an sehbehindert und inzwischen beinahe blind. Den gelben Anstecker mit den drei schwarzen Punkten, der das auch für andere gleich sichtbar macht, trägt sie trotzdem erst seit Kurzem. „Ich hab’ die Plakette lange nicht getragen, weil ich nicht als ,die Blinde‘ abgestempelt und in eine Schublade gesteckt werden wollte so nach dem Motto: Die kann das ja eh nicht“, erzählt sie.
Inzwischen bereut sie fast, dass sie sich nicht schon früher „geoutet“hat und offener mit ihrer Behinderung umgegangen ist. Denn wenn andere wissen, dass sich kaum etwas sieht, birgt das nicht nur die Gefahr von Vorurteilen, sondern auch manche Vorteile. „Wenn ich früher nach der Streichwurst gefragt habe’, hat die Verkäuferin mir erklärt, wo die liegt und manchmal hab’ ich sie trotzdem nicht gefunden. Heute sieht sie meine Plakette und bringt mir die Wurst“, nennt Stefanie Brei ein praktisches Beispiel. „Die Leute können mir ja nicht helfen, wenn sie nicht wissen, dass ich nichts sehe“, sagt sie – und würde sich diese Offenheit umgekehrt auch von NichtBehinderten wünschen. „Dann kann man unverkrampft miteinander umgehen. Das ist was Gegenseitiges“, findet sie.
Allerdings habe sich in dieser
Hinsicht auch schon etwas getan. „Ich glaube, die Leute sind schon offener als früher.“Und auch im Alltag gebe es viele Verbesserungen. Die Ampeln zum Beispiel, die Sehbehinderten mit Geräuschen zeigen, ob sie die Straße überqueren können, oder auch die Rampen für Roll
stuhlfahrer. „Da hat sich schon was getan in den vergangenen 20 Jahren“, sagt Stefanie Brei und ihr Mann nickt.
Seit einem schweren Unfall im Kleinkindalter ist der 47-Jährige gehbehindert, außerdem hat er Probleme beim Sprechen und ist kein
Freund von Fremdwörtern. Gremium zum Beispiel: Was bitteschön, soll das sein? Seine Frau hat es ihm erklärt, und nun gehört er sogar einem an: Nämlich dem Wahlgremium für den geplanten Inklusionsbeirat des Landkreises.
Zusammen mit seiner Frau, die sich als Kandidatin zur Verfügung stellt, hat er schon im vorbereitenden Projektteam mitgearbeitet. „Ich hoffe, dass der Beirat möglichst viel anstoßen und bewegen kann“, erklärt Stefanie Brei ihre Motivation. Sie würde sich freuen, wenn Menschen mit möglichst vielen unterschiedlichen Behinderungen darin vertreten wären. Denn dass bei Festen ein Geländer an der Treppe zum Toilettenwagen hilfreich sein könnte, fällt ihr zum Beispiel auch nicht auf, ihrem Mann, der darauf angewiesen ist, dagegen schon. Die 38-Jährige wiederum wäre froh, wenn die Waren im Supermarkt wie früher mit einem Preisschild ausgezeichnet wären und nicht unter einer spiegelnden Folie nur am Regal. Die Klebeetiketten konnte sie mit ihrer Lupe gut entziffern, beim Schild am Regal funktioniert das meistens nicht und sie muss jemanden um Hilfe bitten.
Dabei ist den beiden ihre Selbstständigkeit wichtig. „Im Großen und Ganzen machen wir alles selber“, sagt Stefanie Brei. Gleichzeitig ist sie froh, dass sie und ihr Mann über das Ambulant betreute Wohnen des Dominikus-Ringeisenwerks fünf Stunden pro Woche Unterstützung von einer Betreuerin bekommen – ein Angebot, das es so vor einigen Jahren noch nicht gegeben hat und das auch zur Inklusion beiträgt: Früher hätten die beiden entweder bei ihrer Familie oder in einem Heim leben müssen, weil es ganz ohne Hilfe eben doch nicht geht. Doch mit der Betreuerin an ihrer Seite kommen die beiden in ihrer Wohnung gut zurecht. Sie ist Ansprechpartnerin und hilft ihnen zum Beispiel mit Schreiben von Behörden. „Weil bei manchem Schriftkram verstehe ich gar nicht, was die wollen“, gibt Stefanie Brei zu. Sie würde sich wünschen, dass noch mehr Texte in leichte Sprache übersetzt werden. Davon würden schließlich nicht nur Behinderte profitieren, sondern alle, die sich in langen Sätzen hoffnungslos verheddern.
Alles in allem sind sie und ihr Mann aber zufrieden: Weder beim Fanclub der Zaisonarria noch bei den Bayernfreunden 95 Unterallgäu, mit denen sie vor Corona oft zu den Spielen gefahren sind, spielt ihre Behinderung eine Rolle. „Das interessiert niemanden. Das ist kein Thema. Das ist einfach ein gutes Miteinander.“Und das ist Stefanie Brei beinahe wichtiger als die Spiele selbst: einfach dazuzugehören, dabeizusein und ein ganz normales Leben zu führen.
Sie möchte nicht einfach als Blinde abgestempelt werden