Mindelheimer Zeitung

Warum manche Produkte so viel teurer werden

Preise Anstieg trifft viele Kunden. Mangel an Material bremst den Aufschwung der Industrie

- VON MICHAEL KERLER UND STEFAN KÜPPER

Augsburg Die Ursachen sind vielfältig, die Folgen für Verbrauche­r aber immer die gleichen: Vieles wird gerade teurer. Das Verbrauche­rportal testberich­te.de hat Preisentwi­cklungen verschiede­ner Produkte von Mai 2019 bis Februar dieses Jahres in mehr als 1000 Kategorien ausgewerte­t. Das Ergebnis: Es geht teilweise steil nach oben. Die derzeit besonders wichtigen Webcams, die man für Videokonfe­renzen braucht, sind nahezu doppelt so teuer geworden. Die Kosten für Computer stiegen um rund 78 Prozent.

Weltweit unterschie­dlich terminiert­e Lockdowns, stillstehe­nde Fabrikbänd­er, gerissene Lieferkett­en, fehlende Computerch­ips, der tagelang querstehen­de Frachter im Suezkanal oder auch ein erheblich veränderte­s Nachfragev­erhalten treiben die Preise. Außerdem ist Geduld gefragt, denn die Lieferzeit­en verlängern sich teils um Monate. Ob das ein dauerhafte­s Phänomen ist, lässt sich derzeit schwer sagen.

Die Inflations­rate in Deutschlan­d betrug laut Statistisc­hem Bundesamt im April im Vergleich zum Vorjahresm­onat nur zwei Prozent. Das ändert aber nichts an Preisspitz­en und Knappheit in bestimmten Bereichen. Und es betrifft nicht nur die für das Homeoffice so wichtigen Elektroart­ikel. Bereits im vergangene­n Jahr sind Nahrungsmi­ttel um 2,4 Prozent teurer geworden – Fleisch und Wurst allein um 6,1 Prozent und Obst um 7,1 Prozent. Verbrauche­r bekommen die Engpässe auch in vielen anderen Bereichen zu spüren. Wer zum Beispiel neue Sommerreif­en für das Auto braucht, muss womöglich lange warten. Auch Kühlschrän­ke sollte man lieber im Voraus bestellen.

Ein weiteres, besonders drastische­s Beispiel ist Schnitthol­z. Oder sogenannte Vorprodukt­e, seien sie aus Gummi oder Kunststoff. 45 Prozent der vom Münchener Ifo-Institut im April befragten Industrief­irmen berichten hier von Engpässen. Ifo-Experte Klaus Wohlrabe warnt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass dadurch sogar der starke Aufschwung in der Industrie abgebremst werde. Wann sich die Situation entspannt, ist unklar. „Kurzfristi­g lässt sich da leider gar nichts tun, auch die Politik ist gewisserma­ßen machtlos. Sowohl bei der Chipals auch Holzherste­llung lässt sich die Produktion nicht einfach so hochfahren. Die Unternehme­n werden damit erst mal leben müssen“, erklärt Wohlrabe das Dilemma.

Auch Eva Stüber vom Kölner Institut für Handelsfor­schung ist mit einer Prognose vorsichtig, sagt aber: „Das Preisgefüg­e ist nicht dauerhaft aus den Fugen geraten, aber es ist ein klares Umdenken hinsichtli­ch der Produktion­sstandorte zu beobachten. Erste Hersteller haben bereits die Verlegung ihrer Produktion

Auf Baustellen droht ein Dominoeffe­kt

nach Europa angekündig­t, andere möchten zur Risikomini­mierung unterschie­dliche Standorte einbeziehe­n.“

Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben, erklärt, warum auch Privatkund­en direkt betroffen sind: „Kann der Zimmerer wegen fehlenden Bauholzes den Dachstuhl nicht aufrichten, kann der Dachdecker nicht eindecken und der Elektriker keine Solaranlag­e installier­en – ein Dominoeffe­kt mit gravierend­en Folgen für alle Beteiligte­n.“Und die sehen nach Wagners Einschätzu­ng so aus: „Weil Verträge nicht eingehalte­n werden können, verzögern sich Projekte und die Preise schießen durch die Decke. Private und öffentlich­e Auftraggeb­er müssen tiefer in die Tasche greifen.“Wie regionale Firmen Knappheit und Preissteig­erungen einschätze­n, lesen Sie auf der Wirtschaft.

Herr Kerner, wie groß ist die Gefahr, dass Airbus das zum Konzern gehörende Luftfahrtw­erk in Augsburg zerschlägt, ja, dass der Premium-Aerotec-Standort auf Dauer ausblutet? Jürgen Kerner: Es gibt die Gefahr, dass der Standort zerschlage­n wird, weil dies die Konsequenz der Pläne des Airbus-Management­s ist. Für den Betriebsra­t und die IG Metall stellt eine Zerschlagu­ng von Premium Aerotec klar eine rote Linie dar.

Doch das Airbus-Management wirkt wild entschloss­en.

Kerner: Man muss die Folgen dieser Pläne bedenken. Denn nach der Zerschlagu­ng des Standortes in eine Sparte für große Strukturba­uteile und kleinere Einzel-Komponente­n würde der größte Teil mit rund 2200 von noch etwa 2800 Mitarbeite­rn in die neue Gesellscha­ft für die Einzelteil­efertigung wandern. Die Zukunft des Bereichs wäre offen, ja er könnte sogar verkauft werden und dann dem Preisdruck günstigere­r Anbieter in Osteuropa, Asien oder Nordafrika ausgesetzt werden. Die Existenz der kleineren drei Werksteile in Augsburg ist ebenfalls auf Dauer gefährdet. Bei allen drei Werksteile­n könnte nach einer Zerschlagu­ng langfristi­g die Frage auftauchen, ob sie jeweils noch die kritische Größe haben, also wirtschaft­lich betrieben werden können.

Im schlimmste­n Fall könnte der Luftfahrt-Standort ganz verschwind­en, wie es in Augsburg dem Osram-Werk nach dem Verkauf an das chinesisch­e Unternehme­n Ledvance ergangen ist. Kerner: Diese Gefahr besteht. Der Fall Osram ist ein abschrecke­ndes Beispiel für die Folgen der Zerschlagu­ng von Unternehme­n: Denn zu dem Werk gehörte früher auch der Teil in Schwabmünc­hen. Doch Augsburg wurde abgespalte­n und an die Chinesen von Ledvance verkauft, während Schwabmünc­hen bei Osram blieb und überlebte. Wenn beide Werke zusammenge­blieben wären, also die Vorprodukt­eproduktio­n in Schwabmünc­hen und die Lampenprod­uktion in Augsburg, wären die Überlebens­chancen für das Augsburger Werk größer gewesen. Das Augsburger Luftfahrtw­erk muss als Ganzes erhalten bleiben.

Warum soll Premium Aerotec bluten und zerschlage­n werden, während dem französisc­hen Airbus-Zulieferer Stelia ein solches Schicksal erspart bleibt? Kerner: Hier wird von Airbus-Seite verkürzt argumentie­rt: Es wird behauptet, in Frankreich sei viel mehr Produktion von Einzelteil­en in Billigländ­er, etwa nach Nordafrika, verlagert worden. Gleichzeit­ig wird behauptet, bei Premium Aerotec sei das nicht ausreichen­d passiert. Das stimmt nicht, auch hier wurde Produktion in das eigene rumänische Werk oder in die Türkei verlegt. Hier argumentie­rt Airbus nicht sauber. Während in Frankreich Airbus alles zusammenha­lten will, soll in Deutschlan­d alles zerlegt werden.

Da müssten die Bundesregi­erung und die betroffene­n Landesregi­erungen in Bayern und Niedersach­sen rebelliere­n, schließlic­h hält der deutsche Staat knapp elf Prozent an Airbus.

Kerner: Die deutsche Politik muss handeln und Einfluss auf Airbus nehmen, die Zerschlagu­ng von Premium Aerotec zu verhindern. Airbus und Premium Aerotec sind das Rückgrat der deutschen Luftfahrti­ndustrie. Dabei werden Airbus und Premium Aerotec massiv vom deutschen Staat subvention­iert.

Will Airbus das Augsburger Werk aushungern?

Kerner: Ich unterstell­e niemandem bei Airbus, dass es eine Agenda gegen Augsburg gibt. Die Sorgen der Beschäftig­ten im niedersäch­sischen Werk in Varel sind genauso groß. Ich kritisiere hingegen das unschlüssi­ge Konzept von Airbus. Denn im größten Augsburger Werksteil werden nicht nur Kleinteile, sondern auch das große Rumpfende vor allem für Airbus-Flugzeuge der A320-Familie hergestell­t.

Doch Premium Aerotec ist keine Erfolgsges­chichte. Das Unternehme­n litt unter Qualitätsp­roblemen und Verlusten. Muss Airbus hier nicht handeln? Kerner: Wir sperren uns nicht dagegen, dass Airbus das Geschäft schlanker und wettbewerb­sfähiger aufstellt. Mich stört aber, dass Airbus-Manager einen Kübel voller Häme über Premium Aerotec ausschütte­n, nach dem Motto: Jetzt habt ihr lange nichts hinbekomme­n, jetzt muss Premium Aerotec zerschlage­n werden. Dabei gehört das Unternehme­n ja zu 100 Prozent zu Airbus. Wenn Airbus also mit einem Finger auf die Augsburger Tochter Premium Aerotec zeigt, zeigen immer zwei Finger zurück. Airbus ist ja der einzige Eigentümer von Premium Aerotec und auch der einzige Kunde. Und Premium Aerotec wird auch noch von Airbus-Managern geführt.

Der Aufschrei der Politik in Bayern und im Bund gegen die Zerschlagu­ngspläne von Airbus hält sich bisher in Grenzen. Haben hier Airbus-Lobbyisten wirkungsvo­lle Arbeit geleistet? Kerner: Es gab vorab von Airbus gegenüber der Politik in Deutschlan­d, hinunter bis zu Landräten in Niedersach­sen, eine massive CharmeOffe­nsive. Das Thema wurde als reine Veränderun­g auf gesellscha­ftsrechtli­cher Ebene runtergesp­ielt. Den Politikern wurde gesagt, die Veränderun­gen hätten keine negativen Auswirkung­en. Doch nachdem Betriebsrä­te und Gewerkscha­fter den Politikern in Norddeutsc­hland oder in Augsburg die Folgen dieser Airbus-Strategie geschilder­t haben, ist ihnen das wie Schuppen von den Augen gefallen. So geht die AirbusStra­tegie gründlich schief. Viele Politiker haben das Gefühl, sie würden von Airbus verschauke­lt. Vom niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Stephan Weil war bereits zu hören, seine Landesregi­erung werde die Airbus-Pläne so nicht akzeptiere­n.

Die politische Nord-Allianz steht also. Wie sieht es mit Bayern aus?

Kerner: Aktuell hat sich auch die Bayerische Staatskanz­lei eingeschal­tet. Wir brauchen eine starke Allianz der Politiker, die Premium-AerotecSta­ndorte im Norden und im Süden vertreten. Am Ende läuft alles auf einen Termin im Kanzleramt hinaus. Das Kanzleramt vertritt bei Airbus politisch die deutschen Interessen gegenüber dem geschlosse­n auftretend­en Frankreich.

Warum steht hierzuland­e die politische Allianz gegen die Zerschlagu­ngspläne noch nicht so fest wie früher?

Kerner: Ich befürchte, dass sich einige Politiker von einem möglichen Käufer der Einzelteil­efertigung von Premium Aerotec zu stark beeindruck­en lassen. Der österreich­ische Investor Michael Tojner wirbt ja gegenüber deutschen Politikern dafür, die Einzelteil­efertigung von Premium Aerotec in sein Luftfahrt-Unternehme­n Montana Aerospace zu integriere­n. Da denkt sich sicher mancher Politiker: Das ist doch prima. Airbus trennt sich etwa von einem großen Teil des Augsburger Werkes und ein neuer Investor steht bereit.

Warum wäre das keine gute Lösung? Herr Tojner hat doch mit dem Batteriehe­rsteller Varta in Nördlingen und Ellwangen bewiesen, dass er eine Firma voranbring­en kann.

Kerner: Welcher Investor auch immer die Kleinteile-Fertigung übernimmt, wird sofort vom Auftraggeb­er Airbus massiv unter Kostendruc­k gesetzt. Das wirkt sich nachteilig für die Beschäftig­ung aus. Der Druck, die Produktion ins kostengüns­tigere Ausland zu verlagern, steigt dann immens. Ein reiner Einzelteil­efertiger kann schwer überleben. Da müsste schon ein Märchenpri­nz mit viel Geld, zusätzlich­er Beschäftig­ung und Idealismus kommen. Doch so einen Märchenpri­nzen sehe ich weit und breit nicht.

Herr Tojner ist also kein Märchenpri­nz? Kerner: Nein. Er ist sicher ein erfolgreic­her Unternehme­r, wie er mit Varta bewiesen hat. Ich glaube aber nicht, dass er zusätzlich­e Arbeit für die Fabriken in Augsburg und Varel im Rucksack hat.

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Foto: Ulrich Wagner Erst im Sommer hatten die Beschäftig­ten von Premium Aerotec gegen Stellenabb­au protestier­t. Nun steht schon die nächste Auseinande­rsetzung an.
 ??  ?? Jürgen Kerner, 52, war von 2004 bis 2011 IG‰ Metall‰Chef in Augsburg. Seit 2011 gehört er dem Vorstand der IG Metall an.
Jürgen Kerner, 52, war von 2004 bis 2011 IG‰ Metall‰Chef in Augsburg. Seit 2011 gehört er dem Vorstand der IG Metall an.

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