Beton, Glas, Stahl: Die etwas anderen Denkmäler
Architektur Ab 1960 wurden Wohnungen mit neuen Materialien und viel Experimentierfreude gebaut. Denkmalschützer werben für die Wertschätzung dieser Bauten und fordern ein Ende der Abrissmentalität
Es war die Zeit des Wirtschaftswunders und des Fortschrittsglaubens. Wenn ab den 1960er Jahren Wohnungen gebaut wurden (und es wurden viele gebaut, weil nach Kriegsschäden und Flüchtlingszuwanderung Wohnraum fehlte), dann tat man das im großen Stil, mit neuen Materialien und viel Experimentierfreude. Was damals entstand – Wohnblocks, Hoch- und Reihenhäuser, Trabantenstädte – das wird heute wenig geschätzt und vielfach wieder abgerissen.
Gleichwohl sind die Wohnbauten von 1960 bis 1990 prägende Objekte einer Epoche, und die besten von ihnen haben inzwischen Denkmalwert. Die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger rührt jetzt die Werbetrommel für diese „jungen Denkmäler“, die in den beiden deutschen Staaten jener Zeit entstanden, und hofft darauf, Vorurteile gegen eine „vielfältige, widersprüchliche und innovative Architektur“abzubauen, so ihr Vorsitzender, Prof. Markus Harzenetter.
Die Ablehnung richtet sich etwa gegen den neuen und viel verwendeten Baustoff Beton, der beim Massenwohnungsbau ebenso eingesetzt wurde wie beim Einfamilienhaus. „Brutalismus“(von „beton brut“, roher Beton) schimpft man daraus geformte Bauwerke und übersieht dabei, dass mit Beton ganz neue Formen kreiert werden konnten – etwa die dynamisch geformten Hochhäuser „Orpheus und Eurydike“in München-Schwabing (in der Ungererstraße, 1971–73, von den Architekten von Gagern, Ludwig, von der Mühlen), die „Dancing Queens“in Stuttgart, die mit kessem Schwung in den Himmel wachsen (Paul Stohrer, 1971–74), das Appartementhaus mit „Hängenden Gärten“in München-Oberföhring (Walter Ebert, 1966–69) oder auch die weiträumige, gelassen hingelagerte Villa des Architekten Hubert Michel in Pähl am Ammersee (1964–68).
Zum Beton kamen Glas und Stahl, und damit war eine ganz neue Transparenz und Leichtigkeit möglich . Als alles überstrahlende Architektur-Ikone dieser Zeit gilt bis heute Sep Rufs 1963/64 im Auftrag Ludwig Erhards errichteter Kanzlerbungalow in Bonn. Mit der bescheidenen Ausstattung, den fließenden Räumen und offenen Glasflächen kann er als gebauter Ausdruck des neuen demokratischen
verstanden werden. Auch Wohnblocks wie das Leipziger Wintergarten-Hochhaus (Eichhorn und Gebhard 1970–72) oder die Kölner Anlage Riphahnstraße von Gottfried Böhm und Adolf Schmitt (1969–74) versprachen unbeschwertes Wohnen in Licht, Luft und Sonne.
Freilich richtet sich erhebliche Ablehnung gegen solche Großsiedlungen, vor allem gegen Trabantenstädte wie München-Neuperlach, Neue Vahr in Bremen, Märkisches Viertel in Berlin. Deren Unwirtlichkeit versuchten Architekten wie Alvar Aalto im Wolfsburger Stadtteil Detmerode (1961–70) mit einer Mischung großer und kleiner Bauformen zu vermeiden. Enorme Masse entstand dagegen – natürlich mit viel Plattenbau – in der DDR-Prestige-Siedlung Ernst-ThälmannPark in Berlin (1983–86). Auch die Autobahn-Überbauung mit einer gigantischen Betonburg in BerlinWilmersdorf (Haus-Rucker-Co und andere, 1973–81) ist heute kaum noch akzeptabel.
Kein Wunder, dass Gegenbewegungen entstanden, schon ab 1968, als gesellschaftliche Innovation anstand: die documenta urbana in Kassel feierte 1980–82 eine geradezu dörfliche Kleinteiligkeit. Im Westen wie im Osten entdeckte man die Altstadt als Maßstab wieder – Frankfurts Saalgasse mit ihren postmodernen Stadthäuschen (1979–86 mit u. a. Christoph Mäckler) spricht ebenso davon wie die bunten Backsteintürme des Geschäftshauses in Rostocks Breiter Straße (Baumbach und Kaufmann 1977–79). Und Otto Steidle beschritt mit seiner Wohnanlage in der Münchner Genterstraße nicht nur konstruktiv experimentelle Wege: Die Architektur wirkt durch bunte Kunststoff-Würfel in einer frei sichtbaren Stahlkonstruktion, die Bauherren waren seit Beginn an der Planung beteiligt, die Anlage öffnet sich vertrauensvoll zu ihrer Umgebung.
So anregend und spannend die „jungen Denkmäler“sich darstellen, so sehr benötigen sie auch heute noch Vermittlung und Unterstützung. Das wissen die Landesdenkmalpfleger, das weiß auch Ulrike Wendland, die neue Geschäftsführerin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. Das KomiDeutschlands tee hat die Corona-Zeit, in der keine öffentlichen Veranstaltungen möglich waren, genutzt, um sich neu aufzustellen. Schwerpunkte liegen auf dem Klimawandel und seinen Folgen für die Denkmäler, auf der Veränderung in der Kirchen-Landschaft und in den Dörfern, auf den wegen Kolonialismus-Verdacht umstrittenen Denkmälern – und eben auf dem „Bestand“.
Ulrike Wendland wirbt wie ihre Denkmalpfleger-Kollegen in den Ländern dafür, das Gebaute zu erhalten und weiterzuverwenden. „Abreißen und neu bauen passt nicht mehr in die Zeit des Klimawandels, Bestandserhaltung ist Klimaschutz.“Dem Thema will sich das Nationalkomitee stärker als bisher widmen und dabei auch neue, digitale Wege der Vermittlung nutzen.
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Mehr zum Thema Über junge Denk mäler in Deutschland informiert unter dem Titel „Wohnen 60 70 80“ein Buch der Vereinigung der Landesdenkmal pfleger (Deutscher Kunstverlag, 224 Sei ten, viele Abbildungen, 39,90 Euro). Die Schwerpunkte des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz präsentiert die neu und übersichtlich gestaltete Homepage www.dnk.de
Die „jungen Denkmäler“benötigen Vermittlung