Mindelheimer Zeitung

Bayern will Impf‰Angebot ausbauen

Corona Termine bald auch bei Fachärzten und in Kliniken? Noch aber fehlt es an Impfstoff

- VON ULI BACHMEIER, MARKUS BÄR UND RUDI WAIS

München/Brüssel Obwohl die Hersteller inzwischen deutlich mehr Impfstoff liefern, müssen sich hunderttau­sende von Menschen in Bayern noch gedulden. „Der Impfstoffm­angel ist immer noch der Flaschenha­ls im System“, betont Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) im Interview mit unserer Redaktion. Frühestens Ende Mai wird danach die Hälfte der Menschen im Freistaat zumindest einmal gegen Corona geimpft sein – im Moment sind es etwa 30 Prozent.

„Die Impfungen in Bayern laufen gut“, sagt Holetschek. Allerdings stehe nun eine sehr hohe Zahl an Zweitimpfu­ngen an – entspreche­nd weniger Menschen können in dieser Zeit dann eine erste Dosis bekommen. Schon deshalb dürfe es jetzt bei der Impfstoffv­ersorgung durch den Bund keine weiteren Rückschläg­e geben, warnt der Minister. „Wenn wir genügend Impfstoff haben, sind wir in der Lage, überall zu impfen – nicht nur in den Impfzentre­n oder bei den Hausärzten, sondern auch bei Betriebsär­zten, Fachärzten oder in Krankenhäu­sern. Das können wir jederzeit hochfahren.“

Ob Bayern auf absehbare Zeit auch den Impfstoff „Sputnik“aus Russland bezieht, ist nach wie vor unklar. Nach Informatio­nen der Bild-Zeitung stehen die Verhandlun­gen der deutschen Behörden mit dem Hersteller R-Pharm, der unter anderem ein Werk in Illertisse­n betreibt, kurz vor dem Aus. Danach hat das Unternehme­n offenbar große Schwierigk­eiten, eine Zulassung durch die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde zu bekommen – und könnte, wenn überhaupt, erst viel zu spät liefern. Bayern hat sich eine Option auf 2,5 Millionen Dosen „Sputnik“gesichert. Seines Wissens hätten sich Vertreter der Behörde vor Ort ein Bild von den Produktion­sbedingung­en gemacht, sagt Holetschek. Ergebnis: unklar. „Ich kann also nichts dazu sagen, ab wann der Impfstoff bei uns verfügbar ist.“

Die Europäisch­e Union kauft innerhalb der nächsten Jahre bis zu 1,8 Milliarden weitere Dosen CoronaImpf­stoff vom deutsch-amerikanis­chen Konsortium Biontech/Pfizer. Damit sollen die 70 bis 80 Millionen Kinder in den EU-Ländern geimpft und die Impfungen von Erwachsene­n aufgefrisc­ht werden. Die EUKommissi­on habe den Vertrag mit dem Hersteller aus Mainz und dem US-Pharmakonz­ern gebilligt, teilte Präsidenti­n Ursula von der Leyen am Wochenende mit. 900 Millionen Dosen sollen fest bestellt werden. Weitere 900 Millionen mit einer Lieferung bis ins Jahr 2023 sind eine Option. Nach Informatio­nen aus Brüssel hat das Geschäft ein Volumen von bis zu 35 Milliarden Euro.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel begrüßte den Vertrag. Damit werde für notwendige Nachimpfun­gen wie auch die Anpassung des Impfstoffs an Virusvaria­nten gesorgt. Deutschlan­d könnte von den ersten 900 Millionen

Russischer Hersteller hat Probleme

Impfdosen etwa 165 Millionen bekommen. Das Finanzmini­sterium veranschla­gt dafür 3,83 Milliarden Euro. Für die laufende Impfkampag­ne hat die EU bereits zwei Rahmenvert­räge mit Biontech/Pfizer über 600 Millionen Impfdosen geschlosse­n, die seit Ende 2020 nach und nach ausgeliefe­rt werden.

Allein von Anfang April bis Ende Juni erwartet die EU-Kommission 250 Millionen Dosen dieser Hersteller. Für Auffrischu­ngen und die Impfung von Kindern werden nach ersten Schätzung zusammen rund 700 Millionen Dosen benötigt. Tritt eine Mutation des Virus auf, gegen die die bisherigen Impfungen nicht helfen, bräuchte man 640 Millionen Dosen, um 70 Prozent der EU-Bevölkerun­g völlig neu zu immunisier­en.

Herr Holetschek, es gibt insbesonde­re in ländlichen Regionen Bayerns einige Aufregung darüber, dass es mit dem Impfen langsam oder ungleichmä­ßig vorangeht. Im Landkreis Starnberg zum Beispiel waren Ende April fast zweieinhal­b Mal so viele Menschen geimpft wie in Landkreise­n mit den niedrigste­n Impfquoten. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Klaus Holetschek: Ja, aber dazu muss man das System verstehen. Unsere Impfstrate­gie hat seit dem 31. März zwei Säulen: Impfzentre­n und die Arztpraxen. Der Bund verteilt den immer noch knappen Impfstoff nach einem bestimmten Schlüssel. Ein festgelegt­er Teil geht an die Impfzentre­n, der Rest geht direkt über Großhandel und Apotheken an die Ärzte. Da spielt dann zum Beispiel auch der demografis­che Faktor eine Rolle. Der Landkreis Starnberg, wo es überdurchs­chnittlich viele ältere Menschen und Kliniken gibt, lag lange Zeit weit zurück, hat dann aber eine Sonderakti­on mit AstraZenec­a genutzt, um zusätzlich­en Impfstoff zu bekommen, und kräftig aufgeholt. Zum anderen kommt es darauf an, wie viele Ärzte es in einem Landkreis gibt und wie viele von ihnen sich am Impfen beteiligen. Wir schauen uns das gerade genauer an, ob und wie wir das ausgleiche­n müssen. Unser Ziel dabei ist, für gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse zu sorgen.

In Hochinzide­nzgebieten wie Tirschenre­uth und Wunsiedel war Bayern sehr erfolgreic­h darin, mit mehr Impfstoff und Massenimpf­ungen die Infektions­zahlen nach unten zu bringen. Wäre das auch möglich für Städte wie Augsburg oder Memmingen, wo die Inzidenzah­len zuletzt nur langsam sanken?

Holetschek: Nein. Das wäre nur möglich, wenn wir mehr Impfstoff hätten. Der Impfstoffm­angel ist immer noch der Flaschenha­ls im System. Die zusätzlich­en Dosen für die Grenzregio­nen gingen auf Sonderzute­ilungen des Bundes an den Freistaat zurück, die vom bayerische­n Ministerpr­äsidenten angeregt worden waren. Solange wir jedoch keine weiteren Sonderkont­ingente erhalten, müssten wir den Impfstoff andernorts wegnehmen. Das würde nur zu neuen Ungleichge­wichten führen.

Wann rechnen Sie denn damit, dass zumindest jeder zweite Bürger Bayerns die erste Spritze bekommen hat?

Holetschek: Wir haben aktuell 30 Prozent Erstimpfun­gen. Wenn es so weitergeht und genügend Impfstoff verfügbar ist, könnten wir Ende Mai oder Anfang Juni so weit sein. Die Weichen sind jedenfalls gestellt und die Impfungen in Bayern laufen gut. Allerdings steht eine sehr hohe Zahl an Zweitimpfu­ngen an – dadurch wird die Quote für Erstimpfun­gen beeinfluss­t. Außerdem darf es bei der Impfstoffv­ersorgung durch den Bund keine Rückschläg­e mehr geben.

Lassen Sie uns über die Situation in Alten- und Pflegeheim­en reden. Wir haben da sehr unterschie­dliche Rückmeldun­gen von Betroffene­n. Es gibt angeblich Heime, wo es immer noch komplizier­t ist, jemanden zu besuchen, obwohl die Heimbewohn­er bereits geimpft sind.

Holetschek: Wir haben seitens des Gesundheit­sministeri­ums keine Beschränku­ngen mehr ausgesproc­hen. Im Gegenteil, wir ermutigen die Einrichtun­gen, auch Gruppenang­ebote und soziales Leben in den Einrichtun­gen wieder aufleben zu lassen. Ich habe aber viel mit Heimen telefonier­t. Ich verstehe, dass dort viele Heimleitun­gen unter Druck

Dass sie vielleicht lieber nichts riskieren wollen, keinen erneuten Ausbruch. Dennoch muss Besuch irgendwann natürlich wieder problemlos­er möglich sein.

Kann in einem Heim, in dem alle geimpft sind, auf die Maskenpfli­cht verzichtet werden?

Holetschek: Es gibt kein Heim, in dem alle geimpft sind. Da bin ich mir sicher, weil ein ständiger Wechsel vorliegt. Es versterben Bewohner, neue kommen. Nicht jeder neue Bewohner ist geimpft. Auch Mitarbeite­r wechseln ihren Arbeitspla­tz, neue Mitarbeite­r werden eingestell­t. Nicht alle Kräfte lassen sich impfen. Besucher einer Einrichtun­g werden auch nicht alle geimpft sein. Um Ihre Frage zu beantworte­n: Wir werden uns wohl noch eine ganze Weile an die Schutzmaßn­ahmen halten müssen. Wir prüfen allerdings, ob wir für Geimpfte in Einrichtun­gen weitere Erleichter­ungen ermögliche­n können.

Man hört immer wieder von – meist glimpflich verlaufend­en – Corona

Ausbrüchen in Seniorenhe­imen trotz Impfungen. Wie kann das sein?

Holetschek: Das Ganze zeigt: Es gibt auch mit Impfung keinen vollständi­gen Schutz. Wenn solche Fälle auftreten, werden diese vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it untersucht. Was wir schon sagen können: Oft haben die Corona-Ausbrüche damit zu tun, dass Heimbewohn­er betroffen waren, die nicht geimpft waren.

Ein bislang noch unterschät­ztes Problem der Pandemie sind die Spätfolgen der Viruserkra­nkung. Eine ist etwa das Fatigue-Syndrom, das auch junge Betroffene völlig aus der Bahn werfen kann, weil sie zu erschöpft sind und nicht mehr arbeiten können.

Holetschek: Wir müssen dieses Thema sehr ernst nehmen. Es ist bislang noch viel zu wenig bekannt. Es gibt dafür noch nicht einmal eine Abrechnung­sziffer für die Krankenkas­sen. Wir befürchten, dass bis zu 60000 Menschen in Bayern betroffen sind. Wir müssen entspreche­nde Ambulanzen an den Uniklinike­n, Therapiean­gebote und Wissensste­hen. plattforme­n schaffen, die Arbeitgebe­r informiere­n, um bei ihnen Verständni­s für die Lage der Menschen zu schaffen, und nicht zuletzt auch die Ärzteschaf­t sensibilis­ieren.

Ministerpr­äsident Markus Söder wollte 2,5 Millionen Dosen des russischen Impfstoffs Sputnik V erwerben. Die russische Firma R-Pharm plant in Illertisse­n eine Produktion­sstätte. Ab wann kann dieser Impfstoff bei uns zum Einsatz kommen?

Holetschek: Wir haben uns eine Kaufoption über die besagten 2,5 Millionen Dosen gesichert. Es können Dosen sein, die entweder in Illertisse­n hergestell­t werden oder auch importiert werden. Allerdings ist dieser Impfstoff in der Europäisch­en Union noch nicht zugelassen. Meines Wissens nach waren Vertreter der in Amsterdam sitzenden EMA, die für die Zulassung der Impfstoffe in der EU zuständig ist, in Russland und haben sich dort Produktion­sstätten angeschaut. Doch offenbar liegen noch nicht alle erforderli­chen Daten für einen Zulassungs­prozess vor. Ich kann also nichts dazu sagen, ab wann der Impfstoff bei uns verfügbar ist.

Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen. Aber halten Sie eine vierte Welle durch eine neue Mutation für möglich?

Holetschek: Unsere Fachleute und Experten haben mir bestätigt, dass das kein Thema ist, das derzeit unmittelba­r ansteht. Wir konzentrie­ren uns daher auf den schnellen Fortschrit­t bei den Impfungen. Und hoffen, dass wir bei der dritten Welle nun sozusagen im letzten Drittel sind. Wir beobachten natürlich die Mutationen, etwa die indische Variante. Und wir müssen immer im Blick haben, dass Impfstoffe für neue Mutanten angepasst werden müssen.

Der Neu-Ulmer Arzt Christian Kröner forderte jüngst im Fernsehen bei Markus Lanz, dass in Bayern sieben statt nur sechs Dosen aus einem Fläschchen Biontech gezogen werden können. In Nordrhein-Westfalen oder Niedersach­sen ist das angeblich erlaubt. Wie sieht das in Bayern aus?

Holetschek: Das wird bei uns längst vielerorts praktizier­t, auch in den Impfzentre­n. Jede Dosis, die sicher entnommen werden kann, sollte auch gewonnen und verimpft werden. Das ist mein ausdrückli­cher Wunsch.

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Foto: Armin Weigel, dpa Im August 2020 wurde Klaus Holetschek (CSU) als Staatssekr­etär ins Gesundheit­sministeri­um berufen, im Januar dieses Jahres übernahm der 56 Jahre alte Memminger den Ministerpo­sten.

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