So bleiben Schulen offen
Krise In einer Messehalle in Salzburg entsteht gerade Österreichs größtes Corona-Testlabor. Ein Besuch bei Molekularbiologen, die eine Lösung gegen einen weiteren Lockdown und für offene Schulen erarbeiten – und sich dabei auch immer wieder wundern müssen
In einer Messehalle in Salzburg entsteht gerade Österreichs größtes Testlabor. Molekularbiologen arbeiten dort an einer Lösung gegen einen weiteren Lockdown und für offene Schulen.
Eugendorf/Wien Das globale Problem und sogar auch ein Teil seiner Lösung wird im Kleinen an der Grenze kurz vor Salzburg sichtbar. Wo in normalen Zeiten täglich zigtausende Autos unkontrolliert durchrollen, ist die Fahrbahn nun auf eine Spur verengt und ein österreichischer Grenzbeamter hält jeden an. Einen Pass will er nicht sehen. Welcher Mensch da im Wagen sitzt, interessiert ihn also nicht, er kontrolliert nur, ob da nicht auch Coronaviren nach Österreich einreisen. Wer passieren will, muss sagen, wohin die Fahrt geht und einen Nachweis für einen negativen CoronaTest zeigen. Mindestens einmal hört der Grenzbeamte diesen Morgen „Salzburg“als Antwort, genauer wäre gewesen: das Unternehmen, das im großen Stil dem Coronavirus auf die Spur kommen und einen weiteren Lockdown verhindern möchte. Aber für Klein-Klein ist an der Grenze keine Zeit.
Um eine Pandemie bekämpfen zu wollen, muss man ganz groß und auch ganz klein denken können. Schließlich handelt es sich dabei um ein weltumspannendes Problem, das von einem winzigen Erreger ausgelöst wird. Der Mann, der nun im weißen Rollkragenpullover die Treppe herunterkommt und in den Konferenzraum lädt, denkt schon lange in XXL und XXXXXXS.
Als Vierjähriger träumte Daniel Wallerstorfer davon, DinosaurierForscher zu werden. Als er dann als Elfjähriger den Film Jurassic Park sah, war für ihn klar: Ich will Dinos klonen. So schreibt er es in seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Macht der Gene“(Lübbe Life). Er studierte also in England Molekularbiologie und promovierte mit 25 Jahren in Biotechnologie. 2009 gründete er in seinem 7000-Einwohner-Heimatort Eugendorf die Novogenia GmbH. Statt mit Dinosaurier-Genen befasste er sich in dem Gewerbebau mit dem magentaroten Dach aber mit den menschlichen Bausteinen. Mithilfe der PCRAnalyse kam er Gendefekten auf die Spur. Seine Geräte schafften 2019 schon 18000 Tests am Tag.
Dann kam die Corona-Krise und die PCR-Kapazitäten waren knapp. Also stellte Wallerstorfer die Arbeitsabläufe auf die Analyse von Viren-Erbgut um und verdoppelte die Test-Kapazitäten. Bis dato hat die Novogenia schon 2,5 Millionen Corona-Tests durchgeführt. Wenn alles gut geht, könnte das Unternehmen bald diese Menge an Analysen in zweieinhalb Tagen abwickeln – und auch Tests bis aus Mitteldeutschland bearbeiten.
„Alles wegen der Dinos“, sagt der Molekularbiologe nun lächelnd mit österreichischem Schmäh und breitet auf dem Tisch vor ihm die DINA3-Pläne für sein XXL-Projekt aus. Darauf zu sehen: die Grundrisse einer Halle, Arbeitsplätze und Detailzeichnungen von Gestellen und Abläufen. Das alles soll noch im Mai in einer 2000 Quadratmeter großen Messehalle in Salzburg aufgebaut werden. Dort soll Österreichs größte Teststation entstehen. Ziel: eine Million PCR-Tests pro Tag. Zum Vergleich: Alle deutschen PCR-Labors würden aktuell zusammen pro Tag knapp zwei Millionen PCRTests schaffen. Sechs Millionen Euro investiere die Novogenia gerade in das Projekt, an dem ein Team aus 20 Experten seit zwei Monaten intensiv arbeitet. Und es baut auf einen Trick, der am Vienna BioCenter genauer erforscht wurde.
Rund 300 Kilometer weiter östlich von Eugendorf befindet sich in Wien eine weitere Corona-Front. Dort sitzt Johannes Zuber in seinem Büro am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) und genießt die Normalität zwischen den Campuswänden. Die Maskenpflicht ist gelockert, die Cafeteria ist geöffnet, nur wenige sind im Homeoffice. Diese Freiheit haben sie einem großen Selbstexperiment zu verdanken. „Seit April 2020 testen wir uns hier regelmäßig alle zwei bis drei Tage mit PCR-Tests, und wir finden infizierte Personen meist schon, bevor sie ansteckend werden“, erklärt Zuber, der auch in der „Vienna Covid-19 Detection Initiative“aktiv ist. Über 100 coronapositive Tests habe es unter den rund 2000 Kollegen gegeben – aber keine einzige Übertragung am Campus.
Was im Kleinen funktioniert, muss doch auch in XXL möglich sein, dachten sich Zuber und Co. und tüftelten an einer Lösung, die ein Konzept für die Zukunft, auch bei neuen Pandemien ist. „Es hat uns fasziniert, mit molekularbiologischen Tests größer zu denken“, sagt der Mediziner und Molekularbiologe. Die Massenformel lautet als Textaufgabe ungefähr so: Wenn 70 Prozent der ungeimpften Bevölkerung sich zwei- bis dreimal pro Woche PCR-testen lassen, dann ist die Pandemie auch ohne Lockdown in den Griff zu bekommen. Das hat Zuber zusammen mit seinen Kollegen Julius Brennecke und dem Simulationsforscher Niki Popper ausführlich evaluiert. Sie kommen sozu dem Schluss: Beteiligen sich alle Haushalte mit Schulkindern, dann müssten nur 50 Prozent der ungeimpften Menschen teilnehmen.
Eine wichtige Variable in der Gleichung ist die Testkapazität. Auch dafür haben die Wissenschaftler eine Lösung parat: Statt pro Testplatz auf einer Labor-Analyseplatte die Probe einer Person zu analysieren, könnte ein Mix aus 30 oder gar mehr Proben maschinell ausgewertet werden. Ein Gerät, das dann pro Platte normalerweise 96 oder 384 Einzeltests macht, könnte mit diesem sogenannten Poolverfahren in der gleichen Zeit ein vielfaches an Tests schaffen. Obwohl in dem Pool die Probe eines Einzelnen wesentlich kleiner ausfällt als bei einem Einzeltest, reiche das immer noch für eine sichere Analyse.
„PCR-Tests sind 1000 Mal sensitiver, als sie sein müssten“, sagt Zuber. Diese hohe Empfindlichkeit nutzen die Wissenschaftler also aus – und können damit auch die Kosten pro Test senken. Aktuell zahlt die Krankenkasse rund 40 Euro pro PCR-Einzeltest. Im Poolverfahren könnte der Test pro Kopf dann weit unter zehn Euro liegen. Dann ist er nicht nur sicherer als ein Antigentest, sondern auch billiger – und auch eine Option, um Schulen und Kindergärten zu testen und zu öffnen. „Wenn pro Testfeld also nicht nur ein Mensch, sondern eine ganze Schulklasse untergebracht und zudem die Analysefrequenz erhöht wird, dann reicht ein Gerät, um an einem Tag alle Schulen und Kindergärten Augsburgs sicher durchtesten zu können“, rechnet Zuber vor. „Es gibt genug Testkapazitäten und genug Geräte, man muss nur die Logistik ändern und zwar schnell“, sagt er und widerspricht damit Politikern aus Deutschland, die immer wieder mangelnde PCR-Testkapazitäten anführen.
Zurück also nach Eugendorf, wo Daniel Wallerstorfer diese LogistikHerausforderung als Open-SourceProjekt angeht. Heißt: nachmachen erwünscht. „Ich war lange gegen Pooling, weil es so aufwendig ist. Aber nur so bekommen wir die Massen getestet. Wenn wir’s machen, dann also gleich groß.“Der grobe Plan sieht so aus: Wer sich testen lassen möchte, braucht kein Stäbchen oder Testzentrum. Die Person gurgelt daheim mit Wasser, füllt die Probe in zwei Röhrchen ab, beschriftet diese mit QR-Codes, steckt sie in einen Beutel und wirft diesen dann an einer Abgabestelle ein, etwa bei einer Drogerie oder an einer Schule. Dort werden alle Progar ben gesammelt und ins Labor gefahren. „Durch die Gurgeltests braucht man kein medizinisches Personal, das die Probe nimmt. Gurgeln kann jeder. Und die flüssigen Proben können schnell zu Pools gemischt werden“, sagt Wallerstorfer.
Das erste Problem ließ aber nicht lange auf sich warten: Plastikengpässe. Weil die Nachfrage der weltweiten Labors so groß sei, habe die Qualität der in Asien gegossenen Teströhrchen abgenommen. „Die waren plötzlich nicht mehr dicht verschließbar“, sagt Wallerstorfer. Weil in den Proben aber künftig infektiöses Material verschickt werden soll, fand Wallerstorfer eine Lösung „made in Austria“: Ein Hersteller für PET-Flaschen liefert ihm unaufgeblasene PET-Rohlinge, die aussehen wie ein kurzes Reagenzglas mit Flaschenverschluss. Garantiert dicht. „Und noch dazu voll recyclebar“, sagt Wallerstorfer.
Das zweite Problem bei einer Million Pool-Tests pro Tag: Zu jeder Probe in einem Pool gibt es eine Rückstellprobe, die dann analysiert wird, wenn ein Pool positiv war. Um diese eine Million Röhrchen zu lagern, braucht es Platz. Und um die Referenzproben aus einem positiven Pool schnell aus der Masse herausfischen zu können, ein perfekt funktionierendes Logistiksystem. Auch hier fand Wallerstorfer mit seinem Team eine Lösung: Pooling-Stationen, an denen angelernte Mitarbeiter die Proben entgegennehmen, auf Edelstahl-Reagenzglashalter sortieren und aus Röhrchen einer Reihe Pools für die Laboranten mischen. Das Fachpersonal kann sich dann ausschließlich auf die Analyse fokussieren. Per Handy oder Mail werden die Getesteten aus dem Pool später über das Ergebnis informiert.
Die Geräte, die diese Analysen durchführen werden, stehen schon in den Räumen der Novogenia in Eugendorf. Sie sehen aus wie Brotbackmaschinen, in die statt Teig eine Plastikplatte mit 96 oder 384 Löchern geschoben wird, und die darin befindlichen Proben werden über Stunden hinweg aufgeheizt und abgekühlt. Sollte in einer Probe Corona-Erbgut vorhanden sein, vervielfältigt sich dieses nun und wird im Analysegerät sichtbar. „Das hier könnten von der Virenlast her Superspreader sein“, sagt Wallerstorfer über Ergebnisse aus Einzeltests symptomatischer Personen und zeigt auf die Kurven im vorderen Bereich eines Bildschirms. Die Menschen dahinter werden nun von ihrer Infektion erfahren, können sich isolieren und verhindern, dass sie andere anstecken und das Virus sich weiter exponentiell ausbreitet.
„Impfen allein wird nicht reichen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen “, ist sich Wallerstorfer sicher, und befände er sich in dem Moment, als er das sagt, in einer Videokonferenz mit Johannes Zuber, würde dieser ihm wohl zustimmen. Der Wissenschaftler sagt jedenfalls einen Tag später: „Für Kinder gibt es noch keinen Impfstoff,
Im Grunde genommen fing’s mit den Dinosauriern an
Die Politik zögert, auf XXL umzuschwenken
manche Menschen wollen sich auch nicht impfen lassen. Und was ist, wenn es eine Virusvariante geben wird, gegen die die Impfung nicht wirkt?“Er appelliert an die Politiker: „Wir müssen endlich eine Lösung finden, damit wir anders als in 2020 agieren können, wenn die nächste Welle oder eine ganz neue Pandemie kommt. Wir haben 2020 das erste Mal eine Krise durchlebt, die uns und unsere Kinder ein Leben lang bedrohen wird.“MassenPCR-Tests seien eine Lösung, um schnell die Kontrolle über das Virus zu bekommen, meinen er und ein Pool aus internationalen Wissenschaftlern, mit denen er in regelmäßigem Kontakt steht. Die Tests seien genau und können im Gegensatz zu Antigentests oder gar Impfstoffen binnen weniger Tage auf neue Virenvarianten angepasst werden.
Zuber ist sich sicher, dass viele Menschen mitmachen werden, sofern das Massentesten einfach und freiwillig ist. Der Staat müsse den Bürgern mehr vertrauen: „Wenn die Menschen sehen, dass sie nur ein bisschen gurgeln müssen, um andere zu schützen und wiederkehrende Lockdowns zu verhindern, dann machen sie mit.“Das weiß er auch aus dem Pilotprojekt „Alles gurgelt“, bei dem sich die gesamte Wiener Stadtbevölkerung und Pendler regelmäßig und kostenlos PCR-testen lassen können.
In Deutschland gibt es bereits funktionierende Pilotprojekte, die Pool-Tests an Schulen durchführen, auch in Bayern. Aber die Politik in Berlin wie in München zögert noch vor XXL. Zuber und seine Mitstreiter können das nicht nachvollziehen. „Was ist nur aus der Logistik-Nation Deutschland geworden?“, sagt der Deutsche, der sich von seinem Heimatland mehr Innovation erhofft hätte. Nun übernimmt der kleinere Nachbar Österreich die XXL-Vorreiterrolle. Dass in Deutschland das Problem und die Lösung zumindest bekannt sind, ist im Kleinen schon zu sehen. Auf einem Schild, das Einreisende kurz nach der Grenze erinnert: Bitte sofort testen lassen!