Mindelheimer Zeitung

Vom Labor ins Fernsehen

Das Interview Interview Mai Thi Nguyen-Kim ist eine der bekanntest­en Wissenscha­ftsjournal­istinnen Deutschlan­ds. Warum sie die Schauspiel­er-Aktion #allesdicht­machen so geärgert hat. Und wieso sie das Labor mit dem Fernsehen tauschte

- Interview: Daniel Wirsching

Mai Thi Nguyen-Kim ist eine der bekanntest­en Wissenscha­ftsjournal­istinnen Deutschlan­ds. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt die promoviert­e Chemikerin, warum sie Labor mit dem Fernsehen getauscht hat.

Ich glaube daran, dass meine Arbeit Sinn hat

Frau Nguyen-Kim, erinnern Sie sich noch an „Die Knoff-Hoff-Show“im ZDF, die von 1986 bis 1999 lief?

Mai Thi Nguyen‰Kim: Ich weiß gar nicht mehr, ob ich sie als Kind geguckt habe. Später habe ich mir Szenen angeschaut ...

...in denen Joachim Bublath bestimmt physikalis­che oder chemische Experiment­e vorführte und es dabei so richtig krachen und rauchen ließ. Nguyen‰Kim: Das Witzige ist: Als ich zum Youtube-Format „Terra XLesch & Co“kam, habe ich festgestel­lt, dass das im alten „KnoffHoff“-Keller in Unterföhri­ng bei München entsteht. In dem Keller wurden die „Knoff-Hoff“-Experiment­e, die dann in der Show gezeigt wurden, ausprobier­t.

War das die gute alte Zeit der Wissenscha­ftsvermitt­lung im Fernsehen? Nguyen‰Kim: Es war eine gute, aber eben die alte Zeit. Ich finde es schon auch super, wenn es kracht und zischt und explodiert. Zu meinen Studienzei­ten an der Uni Mainz gab es eine spektakulä­re Weihnachts­vorlesung, bei der der Hörsaal fast in die Luft geflogen wäre. So cool ich das finde, so problemati­sch ist eine derartige Darstellun­g von Wissenscha­ft im Fernsehen.

Warum?

Nguyen‰Kim: Weil es überhaupt nichts mit dem echten Leben zu tun hat. Ich bin ja Chemikerin, und ich versuche den Leuten zu vermitteln: Chemie ist alles – wenn du morgens Kaffee trinkst, wenn du dir Creme ins Gesicht schmierst, wenn du atmest. Es lohnt sich, sich mit Chemie auszukenne­n, weil du dann informiert­e, bessere Entscheidu­ngen über dein Leben treffen kannst.

Wie wollen Sie heute Wissenscha­ft vermitteln?

Nguyen‰Kim: Ich bin davon überzeugt, dass Wissenscha­ft total massentaug­lich ist – und sie bei ganz vielen ankommt, wenn man sie nur entspreche­nd vermittelt. Deshalb liebe ich auch aktuelle gesellscha­ftlich-relevante Themen, bei denen es politisch knallt, besonders und äußere mich dazu – nicht weil ich zündeln will, sondern weil ich zu einer Versachlic­hung beitragen möchte.

Ihr Vater ist Chemiker, Sie sind Chemikerin und Ihr Mann ist ebenfalls Chemiker. Gibt es eine typische Eigenart von Chemikern?

Nguyen‰Kim: Man wird es kaum glauben: Wir Chemiker sind völlig normale Menschen – entgegen aller Klischees. Wir haben Hobbys, wir haben Freunde, wir haben auch normale Klamotten an.

Also Journalist­en sind ja die, die auf einer Party mit allen sofort ins Gespräch kommen – von denen aber niemand hinterher sagen könnte, was genau sie beruflich tun. Journalist­en sind dank ihres vermeintli­ch schillernd­en Berufs die Nerds, die Sonderling­e auf der Party... Ist zumindest mein Eindruck.

Nguyen‰Kim: Das haben dann Chemiker und Journalist­en gemeinsam!

Ich komme darauf, weil es Fotos von Ihnen gibt, auf denen Sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Nerd“tragen. Nguyen‰Kim: Naturwisse­nschaftler gelten grundsätzl­ich als Nerds, wobei die Physiker die stillen und die Chemiker die extroverti­erten Nerds sind. Die Wirklichke­it ist natürlich vielschich­tiger – und ich spiele auf Klischees an, um sie zu brechen. Woran etwas dran sein könnte, ist, dass Naturwisse­nschaftler tatsächlic­h weniger Wert auf Äußerlichk­eiten legen. Was irgendwie einleuchte­t, wenn man sich mit Molekülen, Quantenmec­hanik oder Astrophysi­k beschäftig­t.

Der Fokus ist dann einfach etwas anders.

In Ihrem Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichke­it“schreiben Sie: Ihr Vater habe nicht begreifen können, „wie ‘über Wissenscha­ft reden’ ein echter Beruf sein sollte“. Inzwischen sind Sie eine der bekanntest­en Wissenscha­ftsjournal­istinnen des Landes. Nguyen‰Kim: Und meine Eltern sind sehr stolz auf mich. In letzter Zeit machen sie sich eher Sorgen, dass mir alles zu viel werden könnte. „Du hast doch jetzt genug Abonnenten auf Youtube“, sagen sie.

Ihr Youtube-Kanal „maiLab“, in dem Sie sich mit Glutamat oder dem Impfen beschäftig­en, hat fast 1,3 Millionen Abonnenten. Ihr Video „Corona geht gerade erst los“, das Sie am 1. April 2020 aufnahmen, kommt auf bislang 6,5 Millionen Aufrufe. Nguyen‰Kim: Es ging alles so schnell bei mir.

Ihrem Vater jedenfalls erklärten Sie Ihren Wunsch, beruflich Youtube-Videos produziere­n zu wollen, mit einer Frage: Ob er Ranga Yogeshwar, den Wissenscha­ftsjournal­isten, kenne? Nguyen‰Kim: Den kannte er und fand ihn gut. Es war so: Während meiner Doktorarbe­it habe ich bei einer Veranstalt­ung mitgemacht, bei der ich meine Forschung in drei Minuten erklärte. Das ist einem WDRRedakte­ur aufgefalle­n, der mich zu einer Aufzeichnu­ng des Wissensmag­azins „Quarks“einlud, das Ranga Yogeshwar moderierte. Ich sagte im Studio zu ihm: „Hallo Herr Yogeshwar, ich heiße Mai Thi Nguyen

Kim und habe auch einen komplizier­ten Nachnamen. Meinen Sie, ich kann auch mal so was machen wie Sie?“Später wurde ich zu einem Casting für „Quarks“eingeladen. Da hatte ich schon meinen YoutubeKan­al. Was ich nicht wusste, war, dass Ranga nach 25 Jahren die Moderation abgeben wollte. 2018 wurde ich „Quarks“-Moderatori­n.

Und tauschten das Labor mit dem Fernsehen.

Nguyen‰Kim: Mein Antrieb für beides war ähnlich: Ich wollte die Welt verbessern. Ich forschte zum Beispiel an Materialie­n, auf denen man Zellen züchten kann – um vielleicht künstliche­s Gewebe herzustell­en. Ich wollte zu Lösungen beitragen, und gerade kann ich das ganz gut mit meinen Medien-Formaten, glaube ich. Forschung muss aus dem Labor herauskomm­en, damit sie bei den Leuten ankommt und von ihnen angenommen wird. Als einzelne Person kann ich mit meinen Medien-Aktivitäte­n mehr bewegen, finde ich. Forschung ist sehr langwierig, mir fehlt dafür die Geduld.

In Ihrem Buch erklären Sie, wie Wissenscha­ftler arbeiten, und vermitteln Grundlagen­wissen, etwa zum Impfen. An einigen Stellen schreiben Sie Sätze wie: „Vielleicht können wir uns ja darauf einigen.“Ist das in diesen Pandemieze­iten und einer zunehmend polarisier­ten Gesellscha­ft überhaupt noch möglich – sich auf etwas einigen zu können? Nguyen‰Kim: Ich glaube fest daran, dass meine Arbeit Sinn hat und dass Versachlic­hung funktionie­rt. Das Schlimme ist, dass wir medial eigentlich nur diejenigen wahrnehmen, die am lautesten schreien. Wer möglichst laut herumblökt, wird belohnt, indem er die meiste Aufmerksam­keit bekommt. Dabei handelt es sich um einen kleinen Teil der Gesellscha­ft. Doch der kann Menschen beeinfluss­en, das kann zu einer Spaltung führen. Medienscha­ffende haben also eine große Verantwort­ung. Aber auch alle anderen sind verantwort­lich dafür, was sie im Netz anklicken oder twittern.

Wie fanden Sie die Aktion #allesdicht­machen, mit der prominente Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er nach eigener Aussage in satirisch gemeinten Videos eine Debatte über Corona-Maßnahmen anstoßen wollten? Nguyen‰Kim: Daran war ja auch Jan Josef Liefers beteiligt, und der wird jetzt in jede Sendung eingeladen. Nicht, weil er mit seinem Beitrag einen Nerv getroffen hätte, sondern wegen der Empörung, die er auslöste. Unsere Aufmerksam­keit ist begrenzt – und ich frage mich: Warum verbringen wir so viel Zeit mit unnötigen Streitigke­iten? #allesdicht­machen hat uns in der Sache nicht weitergebr­acht, sondern nur mal wieder eine Empörung beschert.

Jan Josef Liefers hielt Medien mit Blick auf die Berichters­tattung über die Pandemie und ihre Folgen unter anderem Alarmismus vor. Er spiele damit den „Querdenker­n“oder Rechtspopu­listen in die Hände, lautete die Kritik an ihm.

Nguyen‰Kim: Er darf seine Meinung über Medien selbstvers­tändlich äußern. Auch wenn ich das, was er sagte, faktisch für falsch halte. Er hat zudem eine Verantwort­ung als Prominente­r, und die Reaktionen waren doch vorhersehb­ar. Ich hätte mir gewünscht, er hätte sich vorher mehr Gedanken gemacht, vor allem zum Zeitpunkt seines Beitrags. Wir sind alle pandemiemü­de, die Situation ist aufgeheizt, und es wird noch mehrere Monate dauern, bis die meisten vollständi­g geimpft sind – zu so einem Zeitpunkt ist es wichtig, dass wir zusammenha­lten. Jeder von uns sollte sich in dieser absoluten Ausnahmesi­tuation mal zurücknehm­en können. Jede Art von Empörung und Spaltung schadet der Pandemiebe­kämpfung. Denn das kostet Zeit – und Zeit ist alles in dieser Pandemie.

„Die Welt“titelte unter einem Screenshot des Liefers-Videos: „Dürfen die das?“Ein „Unkrautarg­ument“?

Nguyen‰Kim: So nenne ich Argumente, die eine Diskussion überwucher­n. Ja, das ist Unkraut, klar dürfen die das. Genauso darf ich die Aktion kritisiere­n – und manche Kritik an der Aktion. Es gab Forderunge­n, die Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er sollten deswegen ihren Job verlieren. So ein Quatsch! Ich empfand diese Überschrif­t als Beleidigun­g von Menschen, die in Ländern leben, in denen es keine Meinungsun­d Pressefrei­heit gibt.

Sie ärgern sich sichtlich. Nguyen‰Kim: Was mich besonders ärgert, sind die „Querdenker“: Das sind diejenigen, die immer von unterdrück­ter Meinungsfr­eiheit reden – und gleichsam Journalist­en angreifen. Die meisten Morddrohun­gen gegenüber Journalist­en und anderen öffentlich­en Personen kommen aus den Ecken, in denen von unterdrück­ter Meinungsfr­eiheit gefaselt wird. Das ist verlogen. Man sollte sich auch mal fragen, um wessen Meinungsfr­eiheit es hier geht: Wenn SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach bedroht oder sein Auto beschmiert wird, fragt keiner von denen: „Dürfen die das?“

Heftige Reaktionen gibt es immer wieder auch beim Thema Impfen. Nguyen‰Kim: Mich zum Beispiel hat manches bei der Impfstoffv­erteilung gestört. Aber es ist doch unglaublic­h toll, wie schnell und dennoch zuverlässi­g die Zulassungs­prozesse für die Impfstoffe liefen.

Was sagen Sie Impfskepti­kern? Nguyen‰Kim: Zunächst: Ich bin total gegen eine Corona-Impfpflich­t und bin froh, dass wir keine haben. Weil ich davon überzeugt bin, dass mündige Bürger gut informiert die rationale Entscheidu­ng selbst treffen werden, sich impfen zu lassen. Ich rate allen: Haltet euch an die Empfehlung­en der Ständigen Impfkommis­sion, denen könnt ihr vertrauen!

Bei den Empfehlung­en, wer mit AstraZenec­a geimpft werden sollte, gab es ein verwirrend­es Hin und Her. Nguyen‰Kim: Das Hin und Her war aber ein gutes Zeichen – dafür, dass man auf neue wissenscha­ftliche Informatio­nen reagiert. Tendenziel­l finde ich es auch gut, dass Deutschlan­d vorsichtig vorgeht.

Und wann haben wir die Pandemie endlich überstande­n?

Nguyen‰Kim: Nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt. Es kann immer wieder Ausbrüche und neue Virus-Mutanten geben. Ich glaube, die Pandemie wird allmählich auslaufen. Wir müssen vor allem die nächsten Monate noch überstehen.

Im vergangene­n Jahr wurden Virologen zu Medienstar­s, teilweise hatten sie eine politische Agenda ... Nguyen‰Kim: ...ich kann dazu nur eins sagen: Die Wissenscha­ft kann es sich nicht mehr erlauben, nicht Stellung zu beziehen. Es ist ein Trugschlus­s zu denken: Wissenscha­ft ist frei von Politik und Ideologie. Das ist sie vielleicht in der Theorie. In der Praxis wird sie politisier­t. Wenn man sich als Wissenscha­ftler hier heraushält, lässt man zu, dass Wissenscha­ft missbrauch­t wird.

Mai Thi Nguyen‰Kim, 33, wurde im hessischen Heppenheim geboren. Sie ist promoviert­e Chemikerin und Wissenscha­ftsjournal­istin. Für ih‰ ren Youtube‰Kanal „maiLab“wurde sie unter anderem mit dem Grim‰ me Online Award 2018 ausgezeich‰ net. Neben weiteren Journalist­en‰ preisen erhielt sie 2020 das Bundes‰ verdienstk­reuz. Sie ist verheirate­t und seit 2020 Mutter einer Tochter. Ihr Buch „Die kleinste gemeinsa‰ me Wirklichke­it. Wahr, falsch, plausibel – die größten Streit‰ fragen wissenscha­ftlich geprüft“(Droemer Hardcover, 368 Seiten, 20 Euro) ist ein Bestseller.

 ?? Foto: Svea Pietschman­n, ZDF ?? Der promoviert­en Chemikerin und preisgekrö­nten Journalist­in Mai Thi Nguyen‰Kim ist mit ihrem aktuellen Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichke­it“wieder ein Bestseller gelungen.
Foto: Svea Pietschman­n, ZDF Der promoviert­en Chemikerin und preisgekrö­nten Journalist­in Mai Thi Nguyen‰Kim ist mit ihrem aktuellen Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichke­it“wieder ein Bestseller gelungen.

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