Mindelheimer Zeitung

Die SPD vor der Wahl: Keine Spur von Aufbruch

Olaf Scholz ist ein erfahrener, seriöser Kanzlerkan­didat. Dass er trotzdem einen schweren Stand hat, liegt nicht nur an seiner etwas spröden Art

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Die SPD hat vieles richtig gemacht. Sie kürte Olaf Scholz vor Monaten schon zu ihrem Kanzlerkan­didaten. Sie vermeidet schädliche Machtkämpf­e auf offener Bühne, ihr Wahlprogra­mm ist fertig und der Wahlkampf in Ruhe vorbereite­t. Die Welt könnte schön sein für die SPD, da jetzt auch der neue US-Präsident Joe Biden sozialdemo­kratische Politik macht. Die Welt ist für die Genossen aber nicht schön, sie ist sogar bedrohlich.

Trotz Geschlosse­nheit und solider Vorbereitu­ng liegt die SPD in den Umfragen bleiern in der toten Zone zwischen 14 und 16 Prozent. Von Aufbruch ist nichts zu spüren.

Scholz will das jetzt ändern, er hat auf dem Parteitag den großen Wandel beschworen und sich als Mann inszeniert, der diesen Wandel weitgehend schmerzfre­i gestalten wird. Ob das reicht, um Zuversicht und Begeisteru­ng zu wecken, ist unklar. Bislang blieb er blass und drang nicht durch, was auch am offenen Machtkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder bei der Union lag. Und am stillen, aber spannenden Duell bei den Grünen, in dem sich Annalena Baerbock durchsetzt­e.

Scholz will die Wähler als seriöser und verlässlic­her Finanzmini­ster in schweren Zeiten überzeugen. Er rüttelt nicht wie Gerhard Schröder kraftvoll am Zaun des Kanzleramt­es, sondern gibt sich als eine Art Merkel in Männergest­alt. Motto: Sie kennen mich. Angela Merkel ist mit ihrer kontrollie­rten Art nach 16 Jahren an der Macht immer noch äußerst beliebt, aber sie hört jetzt auf, und in der Pandemie sind auch die Schwächen ihres Politiksti­ls deutlich geworden.

Olaf Scholz wird in seinem Leben kein großer Menschenfi­scher mehr werden wie Barack Obama. Aber wenn er die Herzen nicht stärker anrührt, bleibt die SPD im Keller. Die Partei könnte diesen Makel ausgleiche­n, indem sie dem Kanzlerkan­didaten bekannte Genossen an die Seite stellt, die die Menschen bewegen. Doch die SPD hat nicht viele davon in der ersten Reihe. Familienmi­nisterin Franziska Giffey will Berliner Bürgermeis­terin werden, Manuela Schwesig und Malu Dreyer wollen Ministerpr­äsidentinn­en bleiben. Sie werden in der nächsten Bundesregi­erung keine Rolle spielen. Kevin Kühnert könnte diese Lücke füllen. Die beiden Parteivors­itzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dagegen haben es bislang noch nicht einmal geschafft, überhaupt nur bekannt zu werden – und im Willy-Brandt-Haus ist man froh, dass sie sich zurückhalt­en.

Verhängnis­voller als der fehlende Empathiefa­ktor in der Person des Kanzlerkan­didaten ist seine fehlende Machtpersp­ektive. Selbst wenn die SPD die Grünen überholte, drohte Rot-Rot-Grün verlässlic­h an der Linken zu scheitern, deren orthodoxer Flügel die Nato für ein Kriegsbünd­nis hält. Die Ampel mit Grünen und FDP wäre sowohl für die SPD als auch für die FDP eine emotionale Herausford­erung.

Aber wahrschein­lich wird es gar nicht die SPD sein, die über die Bündnisse nach der Wahl entscheide­t. Die stärkste Partei hat das Initiativr­echt – und das werden entweder die Union oder die Grünen haben. Wenn sich die Stimmung nicht komplett dreht, werden sich potenziell­e SPD-Wähler fragen, was ihre Stimme wert ist. Derzeit sieht es danach aus, dass es höchstens für die Rolle des Juniorpart­ners reicht. Attraktiv ist das nicht.

Fünf Monate vor der Wahl hat Olaf Scholz einen schweren Stand. Die Hoffnung ist, dass der Zank zwischen Söder und Laschet die Union schwer beschädigt und die Wähler am Ende der ganzen Erfahrung des amtierende­n Finanzmini­sters mehr vertrauen als Annalena Baerbock mit ihren 40 Jahren. Das kann so kommen, die Chance dafür ist jedoch gering.

Kevin Kühnert könnte eine Lücke füllen

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