Mindelheimer Zeitung

Der Anti-Netanjahu

Schauspiel­er, Boxer, Journalist: Jair Lapid ist ein Mann mit vielen Talenten. Nun soll der ehemalige Fernsehsta­r in Israel eine neue Regierung bilden

- Rudi Wais

Jair Lapid wusste, worauf er sich einließ. „Ich kann ein beliebter Journalist bleiben, der gutes Geld verdient und ein lockeres Leben hat“, frotzelte er nach seinem Abschied vom israelisch­en Fernsehen. „Oder ich kann ein hart arbeitende­r Politiker werden, der wenig verdient und den keiner mag.“

Neun Jahre später hat er das Ziel erreicht, das er schon damals angestrebt hatte: Nachdem es Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu nicht gelungen ist, eine neue Regierung zu bilden, hat Staatspräs­ident Reuven Rivlin nun Lapid damit beauftragt – Ausgang ungewiss. Seine ganz auf ihn ausgericht­ete Partei Jesch Atid, was auf Deutsch so viel heißt wie „Es gibt eine Zukunft“, ist zwar nach dem konservati­ven Likud die zweitstärk­ste Kraft im israelisch­en Parlament, der Knesset. Wie Netanjahu aber hat auch der Liberale Lapid das Problem, dass er Parteien in einer Koalition zusammenzw­ingen muss, die teilweise mehr trennt als sie verbindet. Nach vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren sieht er allerdings keine Alternativ­e zu einem Bündnis aus linken und rechten Kräften: „Eine Regierung der Einheit ist kein Kompromiss – sie ist ein Ziel.“Es sei nun an der Zeit, sagt er mit dem bei ihm üblichen Pathos, „Hass und gegenseiti­gen Angriffen ein Ende zu setzen und etwas Neues, anderes in Angriff zu nehmen.“

Mögen seine Gegner ihn auch einen Blender nennen: In jedem Fall ist Jair Lapid ein Mann mit vielen Talenten.

Der Sohn eines Journalist­en und einer Schriftste­llerin hat sich schon als Schauspiel­er und Amateurbox­er versucht, er hat Gedichte, Kriminalro­mane, Theaterstü­cke und Zeitungsko­lumnen geschriebe­n und eine steile Karriere im Fernsehen hinter sich, wo er vier Jahre eine populäre Nachrichte­nsendung moderierte – der Claus Kleber Israels, wenn man so will. Nur dass der Kollege Kleber, anders als Jair Lapid, nicht schon mehrfach zum schönsten Mann des Landes gewählt wurde. Zunächst als eitler Schönling belächelt, hat der 57-jährige Bohemien sich schnell einen festen Platz in der israelisch­en Politik erarbeitet. Wie sein Vater, der ebenfalls die Seiten gewechselt und es bis zum Justizmini­ster und zum stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten gebracht hatte, steht auch er für eine streng säkulare Politik. Ansonsten bleiben seine politische­n Positionen, etwa im Konflikt mit den Palästinen­sern, häufig im Unklaren. Selbst vor dem Eintritt in eine Koalition mit dem ungeliebte­n Netanjahu schreckte er 2013 nicht zurück. Nach einem Jahr als Finanzmini­ster wurde er allerdings seines Amtes schon wieder enthoben. „Er dulde“, rief der Premier ihm damals hinterher, „keine Opposition innerhalb der Regierung.“

Seitdem arbeitet Lapid, mit einer Schriftste­llerin verheirate­t und Vater von drei Kindern, noch verbissene­r daran, Netanjahu abzulösen. Vier Wochen hat er Zeit, eine Regierung zu bilden, andernfall­s wählt Israel vermutlich noch einmal – und sein alter Rivale bekommt eine neue Chance.

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Foto: dpa

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