Mindelheimer Zeitung

Futter für schottisch­en Traum

Hintergrun­d Wie geht es weiter auf der Insel? Der Wahlerfolg der Nationalis­ten könnte den Wunsch nach Unabhängig­keit verstärken. Doch die absolute Mehrheit blieb den Separatist­en verwehrt

- VON KATRIN PRIBYL

London Boris Johnson erteilte den Schotten bereits eine Absage, da waren noch nicht einmal alle Stimmen dieser Regionalwa­hl ausgezählt. Durch seine Hauszeitun­g Daily Telegraph ließ der britische Premiermin­ister am Samstag verlauten, dass ein erneutes Unabhängig­keitsrefer­endum „unverantwo­rtlich und rücksichts­los“sei. Doch in der Downing Street scheint Panik zu herrschen, nachdem die Schottisch­e Nationalpa­rtei SNP im nördlichen Landesteil abermals deutlich gewonnen hat. Nicht anders ist zu erklären, dass Johnson nach Bekanntgab­e der Ergebnisse in einem Brief an die Erste Ministerin Nicola Sturgeon versöhnlic­he Worte anschlug. Den Interessen der Menschen im Vereinigte­n Königreich und besonders der Menschen in Schottland wäre am besten geholfen, „wenn wir zusammenar­beiten“. Der Nutzen dieser Kooperatio­n habe sich besonders in der Corona-Pandemie gezeigt. „Das ist Team Vereinigte­s Königreich in Aktion“, schrieb der konservati­ve Regierungs­chef. Doch Sturgeon zeigt wenig Interesse an Teamarbeit. Im Gegenteil. Die SNP-Vorsitzend­e dürfte kaum abzubringe­n sein von ihrem Plan, Schottland mit einem Scexit als eigenständ­iges Land aus der 314 Jahre währenden Union zu führen. Zwar verpasste die SNP mit 64 der insgesamt 129 Sitze die absolute Mehrheit um nur einen Sitz. Gemeinsam mit den Grünen aber, die ebenfalls die Loslösung vom Königreich fordern und eine Rückkehr in die EU wünschen, bilden die Separatist­en eine Mehrheit im Parlament in Edinburgh. In ihrer Siegesrede warnte Sturgeon den britischen Premier davor, den „Willen des schottisch­en Volks“zu ignorieren. „Angesichts dieses Ergebnisse­s gibt es keine demokratis­che Rechtferti­gung für Boris Johnson oder irgendjema­nd anderen, das Recht der schottisch­en Bevölkerun­g, unsere Zukunft selbst zu wählen, zu blockieren.“

Die Erste Ministerin ist beflügelt vom Erfolg, steht jedoch vor hohen Hürden. Denn ein Referendum zu verlangen ist nicht dasselbe, wie eines zu bekommen. Ohne Zustimmung aus London, so Experten, wäre ein Votum nicht rechtens. Könnte die SNP notfalls vor den Obersten Gerichtsho­f ziehen? Sollte London ein Referendum ablehnen, wäre das der Beweis dafür, dass die Regierung in Westminste­r das Königreich „erstaunlic­herweise nicht mehr als freiwillig­e Union der Nationen betrachtet“, sagte die SNPVorsitz­ende, die kaum eine Gelegenhei­t verpasst, sich als Gegenentwu­rf zum in Schottland unbeliebte­n Johnson zu präsentier­en. Tatsächlic­h wächst der Druck auf den Premiermin­ister, denn ein bloßes Nein wird sich nicht ewig aufrechter­halten lassen. Es würde vielmehr den Unabhängig­keitstraum zahlreiche­r Schotten weiter befeuern.

Der Brexit hat das Thema zurück auf den Tisch gebracht, nachdem beim ersten Referendum 2014 noch eine Mehrheit der Schotten gegen die Abspaltung vom Königreich gestimmt hat. Bei der Abstimmung um Großbritan­niens Mitgliedsc­haft in der EU 2016 votierten die meisten Menschen in dem nördlichen Landesteil

dann für den Verbleib in der Staatengem­einschaft – und wurden „gegen ihren Willen aus der EU gezerrt“, wie Sturgeon es gebetsmühl­enhaft betont. Auf ein Neues also. Die Angelegenh­eit wird keineswegs so schnell wieder aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g verschwind­en, das weiß auch Johnson. Zwar kann er derzeit noch auf die Corona-Pandemie verweisen und deren Folgen, mit denen sowohl die Politiker als auch die Bürger beschäftig­t sind.

Aber diese Hinhalteta­ktik wird nicht ewig aufgehen.

Dabei hat Johnson an anderer Front gerade viel zu feiern. Bei den Kommunalwa­hlen in England schnitten die Tories historisch stark ab, Labour erlitt bittere Niederlage­n. So schlugen die Konservati­ven die opposition­ellen Sozialdemo­kraten ausgerechn­et in mehreren Labour-Hochburgen, darunter bei der Nachwahl im traditione­ll von der Labour-Partei geführten Wahlkreis Hartlepool im Nordosten Englands. Opposition­schef Keir Starmer musste heftige Kritik einstecken. Immerhin, in Manchester wie auch in London wurden die Labour-Politiker Andy Burnham und Sadiq Khan als Bürgermeis­ter wiedergewä­hlt. Auch in Wales dominiert weiterhin Labour.

Dagegen triumphier­ten die Konservati­ven in England. Die Skandale der jüngsten Vergangenh­eit um Boris Johnson konnten dem Premier zumindest in England nichts anhaben. Hier halten sie ihm zugute, dass er den Brexit durchgeset­zt und das Impfprogra­mm schneller auf den Weg gebracht hat, als dies in vielen Ländern auf dem Kontinent der Fall war. Der Donnerstag war ein Stimmungst­est, der eines offenbarte: Das tief gespaltene Großbritan­nien zeigt Auflösungs­erscheinun­gen.

2014 war die Mehrheit gegen den Brexit

 ?? Foto: Jeff J. Mitchell, dpa ?? Triumph? Obwohl die schottisch­e Nationalpa­rtei die absolute Mehrheit bei den Regionalwa­hlen knapp verfehlt hat, bleibt die Unabhängig­keit wohl auf der Tagesordnu­ng. Al‰ lerdings zeigt der britische Premier Boris Johnson keine Bereitscha­ft, auf die Separatist­en zuzugehen.
Foto: Jeff J. Mitchell, dpa Triumph? Obwohl die schottisch­e Nationalpa­rtei die absolute Mehrheit bei den Regionalwa­hlen knapp verfehlt hat, bleibt die Unabhängig­keit wohl auf der Tagesordnu­ng. Al‰ lerdings zeigt der britische Premier Boris Johnson keine Bereitscha­ft, auf die Separatist­en zuzugehen.

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