Wenn InternetBewertungen gekauft sind
Konsum Eine Frau hat sich Waren für rund 500 Euro bei Amazon bestellt, dafür aber keinen Cent gezahlt. Rechtlich gesehen ist das nicht ganz unproblematisch. Wie Verbraucher sich schützen können
Augsburg Etwa eine Woche hat es gedauert, bis sich Emilia Klarhofer Sorgen machte. „Normalerweise sind meine Bewertungen nach drei, vier Tagen online“, sagt die Studentin, aber irgendwann kam der Verdacht auf, Amazon könnte sie als Betrügerin identifiziert haben. Diese Bewertungen, von denen die 25-Jährige spricht, sollten sich eigentlich unter den Amazon-Produkten befinden. Denn Klarhofer, die in Wirklichkeit anders heißt, bewertet die Produkte und bekommt dafür den vollen Preis rückerstattet. Ob Messerschleifer, Yogamatte oder Fitnessbänder – die Frau hat sich schon einiges bestellt. Rechtlich gesehen ist das jedoch nicht ganz unproblematisch.
Angefangen hat alles, als sie mit einer Freundin sprach. Diese berichtete von mehreren Anschaffungen über Amazon, die sie alle nichts gekostet hätten. „Und ich drehe wirklich jeden Cent dreimal um“, sagt Klarhofer, die als Studentin BAföG bezieht und sonst von Erspartem lebt. Mittlerweile seien bereits Waren im Wert von etwa 500 Euro zusammengekommen, schätzt sie.
Klarhofer sitzt an ihrem Rechner, als eine Facebook-Nachricht aufploppt. Den Namen der Verfasserin, nennen wir sie Wendy, kennt sie mittlerweile. Auch wenn er frei erfunden ist, steckt dahinter eine Unterhändlerin. „Can I send you my new products?“, fragt sie in ihrer Nachricht, ob sie Klarhofer ihre neuesten Angebote zeigen dürfe. Klar darf sie. Denn die Studentin hat schon häufiger bei Wendy bestellt, stets kam die Ware an und funktionierte einwandfrei.
Auch jetzt klickt sie sich durch die Angebote, ein Selfiestick für 25 Euro, ein Moskitonetz für 30 Euro, ein Gamingheadset für 50 Euro. „I like to order the Headset“, schreibt sie Wendy und fügt ein Bild bei. „Manchmal haben sie fünf verschiedene Headsets, mit Foto ist es eindeutiger zu bestimmen.“
Immer wieder gebe es interessante Produkte, sagt Klarhofer. Diese wählt sie dann bei dem Unterhändler aus und er oder sie schickt einen Link oder ein Stichwort zum jeweiligen Amazon-Artikel. „Den kaufe ich dann – wie jeder andere auch über Amazon“, sagt Klarhofer. Den Screenshot der Bestellung inklusive Bestellnummer muss sie dann wiean Wendy schicken – als Beweis. Die Lieferung kommt in der Regel nach drei, vier Tagen und wiederum ein paar Tage später schreibt Klarhofer die Rezension. „Wenn man die zu früh schreibt, merkt Amazon das über Algorithmen und könnte das Konto sperren“, sagt die Studentin. Dann geht alles recht schnell. Nach zwei Tagen sind die
Pakete in der Regel da, nach vier Tagen schreibt Klarhofer ihre Bewertung. Und die muss natürlich gut sein, denn so rutschen die Produkte in der Suchliste nach vorne. Das hat die Frau vor dem Geschäft mitgeteilt. „Nie unter fünf Sternen“, räumt die Studentin ein, betont jedoch auch, dass sie dabei noch nie gelogen habe. „Die Produkte sind immer gut, nur ein Kleidungsstück hat mir mal nicht gepasst.“
Kaum Beanstandungen also. Für die Händler ist das Gold wert, lassen gute und vor allem viele Bewertungen die eigenen Produkte doch deutlich weiter oben auf der Amaauftauchen. Das wiederum bringt mehr Aufmerksamkeit und mehr Käufe ohne Geldrückgabe. Die Win-Win-Win-Situation ergibt sich daraus, dass Klarhofer, nachdem sie einen Screenshot der Bewertung an Wendy zurückgeschickt hat, den vollen Kaufpreis zurückerhält.
Doch die Sache hat einen Haken: Das Ganze könnte unter Umständen nicht ganz legal sein. Das gibt zumindest Bernd Scharinger zu bedenken. Der Augsburger Anwalt beschäftigt sich unter anderem mit dem Schadensersatzrecht und geht von zwei möglichen Straftatbeständen aus – einem Betrug und einem Eingriff in den Wettbewerb. Ersterer setzt eine Täuschung voraus. Diese wäre laut Scharinger gegeben, wenn die Bewertungen wissentlich falsch sind und der Käufer dadurch nicht das Produkt erhält, das er sich durch die Bewertungen erhofft hatte. Trifft Klarhofers Aussage, sie reiche keine falschen Bewertungen ein, zu, ist dieser Straftatbestand allerdings nicht gegeben.
Aber greift die Geschäftsmasche in den Wettbewerb ein? Bernd Scharinger sagt Ja: „Wenn das abder sichtlich falsch bewertete Produkt besser zu finden ist, hat sich dessen Verkäufer durch unlautere Mittel einen Vorteil verschafft“, sagt der Anwalt. In der Praxis sei dies jedoch schwer nachzuweisen, immerhin müsse ein Gutachter bewerten, ob Produkt A tatsächlich entgegen der Bewertung besser ist als Produkt B. Praktisch ist das nach Einschätzung von Scharinger kaum möglich. Es gebe offensichtlichere Fälle.
Nicht nur gegen die setzt Amazon die Technik des maschinellen Lernens ein. Dabei werden dank Algorithmen Verdachtsfälle erkannt und Mitarbeiter darüber informiert. Sie prüfen die pro Woche etwa zehn Millionen eingehenden Bewertungen zum Beispiel auf Frequenz und Häufigkeit, auch in Zusammenarbeit mit sozialen Medien. Die Konsequenz ist zum Beispiel der Entzug des Schreiberechts oder das Blockieren eines Händlers.
Auch Kunden können bei dem Prozess behilflich sein, denn direkt unter dem Produkt steht ein Button mit der Aufschrift „Missbrauch melden“. Bislang habe Amazon, wie ein Sprecher sagt, weltweit Tausende verklagt, „weil sie versucht hazonseite ben, unser Bewertungssystem zu missbrauchen“. Der Konzern werde weiterhin mit den Strafverfolgungsbehörden und Branchenführern zusammenarbeiten, um die Konsequenzen zu verschärfen für Akteure, die versuchen, Kunden irrezuführen.
Auch die bayerische Verbraucherzentrale (BVZ) warnt vor gekauften Rezensionen. „Verbraucher sollten sich nicht blind auf OnlineBewertungen verlassen“, sagt Julia Zeller. Die Referentin für Verbraucherrecht der BVZ nennt im Wesentlichen vier Kriterien, wie eine gefälschte Bewertung zu erkennen ist. Misstrauisch werden solle man bei auffällig vielen Bewertungen, gerade wenn das Produkt erst seit kurzem erhältlich ist. „Sind die Rezensionen auch noch übertrieben positiv formuliert“, sagt die Juristin, „können sie ein Fake sein, ebenso bei sich wiederholenden Formulierungen.“Vorsicht sei auch bei Produkttestern geboten: „Diese bekommen zum Teil Waren im Wert von tausenden Euro im Monat geschenkt“, sagt Zeller. Das könne zu überdurchschnittlich positiven Bewertungen führen.
Die Referentin für Verbraucherrecht nimmt auch die Verkaufsplattformen in die Pflicht. „Anbieter sollten alle Nutzerbewertungen, egal ob positiv oder negativ, gleichwertig und objektiv ranken“, sagt die Juristin und fordert, gesponserte Bewertungen als solche zu kennzeichnen. Diese dürften zudem „keinen Einfluss auf die Gesamtbewertung eines Produktes haben“. Sie empfiehlt daher, auf professionelle und unabhängige Tester zu setzen, zum Beispiel die Stiftung Warentest.
Dass sie etwas nicht ganz Unproblematisches tut, weiß Klarhofer natürlich. Nicht zuletzt, weil die Gruppen, in denen die Händler ihre Ware anbieten, immer wieder nach kurzer Zeit von Facebook gelöscht werden. Wirklich schuldig fühlt sich die Studentin nicht, immerhin lüge sie nie in den Bewertungen. Neue Gruppen sind ohnehin schnell gegründet, oft mit nur leicht abgeänderten Namen. So kann aus „Amazon Tester“schnell ein „Product Tester Germany“werden. Das passiert immer wieder. Denn wirklich aufhalten kann auch Facebook den Trend nicht. So schätzt zumindest Klarhofer die Situation ein. Bald hat der Bruder der Studentin Geburtstag. Ein Geschenk hat sie schon.
Nie unter fünf Sternen