Mindelheimer Zeitung

Wenn Internet‰Bewertunge­n gekauft sind

Konsum Eine Frau hat sich Waren für rund 500 Euro bei Amazon bestellt, dafür aber keinen Cent gezahlt. Rechtlich gesehen ist das nicht ganz unproblema­tisch. Wie Verbrauche­r sich schützen können

- VON MICHAEL POSTL

Augsburg Etwa eine Woche hat es gedauert, bis sich Emilia Klarhofer Sorgen machte. „Normalerwe­ise sind meine Bewertunge­n nach drei, vier Tagen online“, sagt die Studentin, aber irgendwann kam der Verdacht auf, Amazon könnte sie als Betrügerin identifizi­ert haben. Diese Bewertunge­n, von denen die 25-Jährige spricht, sollten sich eigentlich unter den Amazon-Produkten befinden. Denn Klarhofer, die in Wirklichke­it anders heißt, bewertet die Produkte und bekommt dafür den vollen Preis rückerstat­tet. Ob Messerschl­eifer, Yogamatte oder Fitnessbän­der – die Frau hat sich schon einiges bestellt. Rechtlich gesehen ist das jedoch nicht ganz unproblema­tisch.

Angefangen hat alles, als sie mit einer Freundin sprach. Diese berichtete von mehreren Anschaffun­gen über Amazon, die sie alle nichts gekostet hätten. „Und ich drehe wirklich jeden Cent dreimal um“, sagt Klarhofer, die als Studentin BAföG bezieht und sonst von Erspartem lebt. Mittlerwei­le seien bereits Waren im Wert von etwa 500 Euro zusammenge­kommen, schätzt sie.

Klarhofer sitzt an ihrem Rechner, als eine Facebook-Nachricht aufploppt. Den Namen der Verfasseri­n, nennen wir sie Wendy, kennt sie mittlerwei­le. Auch wenn er frei erfunden ist, steckt dahinter eine Unterhändl­erin. „Can I send you my new products?“, fragt sie in ihrer Nachricht, ob sie Klarhofer ihre neuesten Angebote zeigen dürfe. Klar darf sie. Denn die Studentin hat schon häufiger bei Wendy bestellt, stets kam die Ware an und funktionie­rte einwandfre­i.

Auch jetzt klickt sie sich durch die Angebote, ein Selfiestic­k für 25 Euro, ein Moskitonet­z für 30 Euro, ein Gaminghead­set für 50 Euro. „I like to order the Headset“, schreibt sie Wendy und fügt ein Bild bei. „Manchmal haben sie fünf verschiede­ne Headsets, mit Foto ist es eindeutige­r zu bestimmen.“

Immer wieder gebe es interessan­te Produkte, sagt Klarhofer. Diese wählt sie dann bei dem Unterhändl­er aus und er oder sie schickt einen Link oder ein Stichwort zum jeweiligen Amazon-Artikel. „Den kaufe ich dann – wie jeder andere auch über Amazon“, sagt Klarhofer. Den Screenshot der Bestellung inklusive Bestellnum­mer muss sie dann wiean Wendy schicken – als Beweis. Die Lieferung kommt in der Regel nach drei, vier Tagen und wiederum ein paar Tage später schreibt Klarhofer die Rezension. „Wenn man die zu früh schreibt, merkt Amazon das über Algorithme­n und könnte das Konto sperren“, sagt die Studentin. Dann geht alles recht schnell. Nach zwei Tagen sind die

Pakete in der Regel da, nach vier Tagen schreibt Klarhofer ihre Bewertung. Und die muss natürlich gut sein, denn so rutschen die Produkte in der Suchliste nach vorne. Das hat die Frau vor dem Geschäft mitgeteilt. „Nie unter fünf Sternen“, räumt die Studentin ein, betont jedoch auch, dass sie dabei noch nie gelogen habe. „Die Produkte sind immer gut, nur ein Kleidungss­tück hat mir mal nicht gepasst.“

Kaum Beanstandu­ngen also. Für die Händler ist das Gold wert, lassen gute und vor allem viele Bewertunge­n die eigenen Produkte doch deutlich weiter oben auf der Amaauftauc­hen. Das wiederum bringt mehr Aufmerksam­keit und mehr Käufe ohne Geldrückga­be. Die Win-Win-Win-Situation ergibt sich daraus, dass Klarhofer, nachdem sie einen Screenshot der Bewertung an Wendy zurückgesc­hickt hat, den vollen Kaufpreis zurückerhä­lt.

Doch die Sache hat einen Haken: Das Ganze könnte unter Umständen nicht ganz legal sein. Das gibt zumindest Bernd Scharinger zu bedenken. Der Augsburger Anwalt beschäftig­t sich unter anderem mit dem Schadenser­satzrecht und geht von zwei möglichen Straftatbe­ständen aus – einem Betrug und einem Eingriff in den Wettbewerb. Ersterer setzt eine Täuschung voraus. Diese wäre laut Scharinger gegeben, wenn die Bewertunge­n wissentlic­h falsch sind und der Käufer dadurch nicht das Produkt erhält, das er sich durch die Bewertunge­n erhofft hatte. Trifft Klarhofers Aussage, sie reiche keine falschen Bewertunge­n ein, zu, ist dieser Straftatbe­stand allerdings nicht gegeben.

Aber greift die Geschäftsm­asche in den Wettbewerb ein? Bernd Scharinger sagt Ja: „Wenn das abder sichtlich falsch bewertete Produkt besser zu finden ist, hat sich dessen Verkäufer durch unlautere Mittel einen Vorteil verschafft“, sagt der Anwalt. In der Praxis sei dies jedoch schwer nachzuweis­en, immerhin müsse ein Gutachter bewerten, ob Produkt A tatsächlic­h entgegen der Bewertung besser ist als Produkt B. Praktisch ist das nach Einschätzu­ng von Scharinger kaum möglich. Es gebe offensicht­lichere Fälle.

Nicht nur gegen die setzt Amazon die Technik des maschinell­en Lernens ein. Dabei werden dank Algorithme­n Verdachtsf­älle erkannt und Mitarbeite­r darüber informiert. Sie prüfen die pro Woche etwa zehn Millionen eingehende­n Bewertunge­n zum Beispiel auf Frequenz und Häufigkeit, auch in Zusammenar­beit mit sozialen Medien. Die Konsequenz ist zum Beispiel der Entzug des Schreibere­chts oder das Blockieren eines Händlers.

Auch Kunden können bei dem Prozess behilflich sein, denn direkt unter dem Produkt steht ein Button mit der Aufschrift „Missbrauch melden“. Bislang habe Amazon, wie ein Sprecher sagt, weltweit Tausende verklagt, „weil sie versucht hazonseite ben, unser Bewertungs­system zu missbrauch­en“. Der Konzern werde weiterhin mit den Strafverfo­lgungsbehö­rden und Branchenfü­hrern zusammenar­beiten, um die Konsequenz­en zu verschärfe­n für Akteure, die versuchen, Kunden irrezuführ­en.

Auch die bayerische Verbrauche­rzentrale (BVZ) warnt vor gekauften Rezensione­n. „Verbrauche­r sollten sich nicht blind auf OnlineBewe­rtungen verlassen“, sagt Julia Zeller. Die Referentin für Verbrauche­rrecht der BVZ nennt im Wesentlich­en vier Kriterien, wie eine gefälschte Bewertung zu erkennen ist. Misstrauis­ch werden solle man bei auffällig vielen Bewertunge­n, gerade wenn das Produkt erst seit kurzem erhältlich ist. „Sind die Rezensione­n auch noch übertriebe­n positiv formuliert“, sagt die Juristin, „können sie ein Fake sein, ebenso bei sich wiederhole­nden Formulieru­ngen.“Vorsicht sei auch bei Produkttes­tern geboten: „Diese bekommen zum Teil Waren im Wert von tausenden Euro im Monat geschenkt“, sagt Zeller. Das könne zu überdurchs­chnittlich positiven Bewertunge­n führen.

Die Referentin für Verbrauche­rrecht nimmt auch die Verkaufspl­attformen in die Pflicht. „Anbieter sollten alle Nutzerbewe­rtungen, egal ob positiv oder negativ, gleichwert­ig und objektiv ranken“, sagt die Juristin und fordert, gesponsert­e Bewertunge­n als solche zu kennzeichn­en. Diese dürften zudem „keinen Einfluss auf die Gesamtbewe­rtung eines Produktes haben“. Sie empfiehlt daher, auf profession­elle und unabhängig­e Tester zu setzen, zum Beispiel die Stiftung Warentest.

Dass sie etwas nicht ganz Unproblema­tisches tut, weiß Klarhofer natürlich. Nicht zuletzt, weil die Gruppen, in denen die Händler ihre Ware anbieten, immer wieder nach kurzer Zeit von Facebook gelöscht werden. Wirklich schuldig fühlt sich die Studentin nicht, immerhin lüge sie nie in den Bewertunge­n. Neue Gruppen sind ohnehin schnell gegründet, oft mit nur leicht abgeändert­en Namen. So kann aus „Amazon Tester“schnell ein „Product Tester Germany“werden. Das passiert immer wieder. Denn wirklich aufhalten kann auch Facebook den Trend nicht. So schätzt zumindest Klarhofer die Situation ein. Bald hat der Bruder der Studentin Geburtstag. Ein Geschenk hat sie schon.

Nie unter fünf Sternen

 ?? Foto: Sebastian Kahnert, dpa ?? Internethä­ndler wie Amazon versuchen selbst Fälle aufzudecke­n, bei denen Produktbew­ertungen geschönt und gekauft sind. Ver‰ braucher können dadurch in die Irre geführt werden.
Foto: Sebastian Kahnert, dpa Internethä­ndler wie Amazon versuchen selbst Fälle aufzudecke­n, bei denen Produktbew­ertungen geschönt und gekauft sind. Ver‰ braucher können dadurch in die Irre geführt werden.

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