Fast wie in einer Großfamilie
Soziales Die ambulant betreute Wohngemeinschaft von Salgen besteht seit einem halben Jahr. Wie sich die elf Mieter eingelebt haben und was die besondere Atmosphäre ausmacht
Salgen Karolina Ohneberg wohnt wieder daheim, und das ist für die ältere Dame ein unwahrscheinliches Geschenk. Sie ist in das Haus in Salgen eingezogen, in dem sie jahrzehntelang mit ihrem Mann das Gasthaus zum Löwen bewirtschaftet hat. 88 Jahre ist sie inzwischen alt und froh, in einer Hausgemeinschaft leben zu können, wo für sie gewaschen, wo jeden Tag frisch gekocht wird und wo ein Pflegedienst rund um die Uhr im Einsatz ist für ein lebenswertes Leben im hohen Alter. Diese ambulant betreute Wohngemeinschaft für Seniorinnen und Senioren ist eine Einrichtung, die es eigentlich überall geben müsste.
Fast jede Gemeinde könnte ein solches Haus gut vertragen, in dem die Älteren sich einmieten können, zugleich aber die Vorteile einer gemeinsamen Wohnform nutzen können. Die meisten sind noch viel zu fit fürs Seniorenheim. Aber fürs selbstständige Leben daheim lässt bei vielen die Kraft nach.
Als Roman Ohneberg vor mehr als zehn Jahren die Idee verfolgte, für das 300 Jahre alte Elternhaus in Salgen eine sinnvolle Nutzung zu finden, musste er jede Menge Hürden überwinden. Es waren zeitweise so viele, dass er fürchtete, es werde nie zum Umbau und Start kommen. Irgendwie hat er aber immer die richtigen Leute getroffen, und es ging weiter. Ohneberg formuliert es als tief gläubiger Katholik etwas anders. Für ihn ist klar: Das Projekt konnte nur gelingen, „weil ohne den Herrgott gar nichts geht“.
Dass das auch so bleibt, dafür hat Ohneberg vorgesorgt. 100 Marienbilder aus Fatima sind in den Zwischenböden eingebaut worden. Und auch der Erhalt des Herrgottswinkels im Haus war ihm ein Herzenswunsch.
Die Wirtschaft ist längst Geschichte, und viele Jahre war nicht klar, was aus dem Haus werden kann. Es haben sich aber Mitstreiter gefunden, die von dem Projekt überzeugt waren. Sie gründeten einen Verein mit dem etwas sperrigen Titel „Freunde neuer Wege zum Wohnen wie Zuhause“. Die Macher der ersten Jahre sind Hannes Weber, Manuela Frei, Roman Ohneberg, Raimund Steber, Anton Götzfried und Markus Riker. Noch im Juli finden Neuwahlen statt und es wird wohl das eine oder andere neue Gesicht dazustoßen.
Eine ganze Reihe von Förderern und Gönnern fand sich und brachte das Projekt ins Laufen. Die Bayerische Landesstiftung gab Mittel, das Amt für Ländliche Entwicklung half, das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, die Kartei der Not unserer Zeitung, die Stiftung Antenne Bayern sowie der Landkreis Unterallgäu und die Gemeinde Salgen steuerten Mittel bei. Dennoch musste ein Kredit über 750.000 Euro aufgenommen werden, der nun im Verlauf der nächsten 30 Jahre abgestottert werden muss.
Im Januar ging es los, wegen Corona zuerst mit vier, dann mit sechs Mietern. Inzwischen sind alle elf Einzelzimmer belegt. Die Bewohner sind zwischen 70 und 88 Jahre alt.
Was sofort auffällt in dem Haus: Obwohl es ja ein altes Gebäude ist, sieht alles wie neu aus und ist picobello sauber. Darauf achtet eine Hauswirtschaftshilfe, die jeden Tag sieben Stunden im Haus ist, und auch wäscht und kocht. Es riecht überraschend frisch. Das kommt nicht von ungefähr. Allein die Luftzirkulation in allen Zimmern hat sich der Verein 50.000 Euro kosten lassen.
Die Zimmer kann jeder ganz individuell einrichten mit eigenen Bett, eigenem Tisch und Stuhl und Schrank. Gemeinsam ist allen ein Waschbecken, eine Brandmeldeanlage, ein eigenes Telefon, ein Fernsehanschluss und ein Notruf. Rund um die Uhr ist auch ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Pflegeteams Pfaffenhausen im Haus. Die Leistungen des Pflegeteams bucht jeder Bewohner individuell.
Die Zimmer selbst können Angehörige in Schuss halten und mit diesem Beitrag den Preis senken, sagt Ohneberg. Geplant ist für die Zeit nach Corona, auch Ehrenamtliche einzubinden. Die WohngemeinStiftung schaft will offen und nicht vom Dorf abgeschottet sein.
Die Bewohner kommen meist aus der Region. Einzige Ausnahme ist Anneliese Faßbender. Sie ist aus dem Saarland hergezogen, weil ihr Sohn in Apfeltrach lebt. Sie fühlt sich richtig wohl in der Gruppe, die sich gut versteht. „Ich kriege Essen, die Wäsche gewaschen und habe Unterhaltung“, erzählt sie. Die nachmittägliche Kaffeerunde bei selbst gebackenem Kuchen will keiner missen, auch Elisabeth Glück aus Bad Wörishofen nicht. Und unter den Männern haben sich schon wahre Fußballexperten gefunden. Der Mindelheimer Gerhard Frick gehört zu ihnen. Allerdings hat er aus einem Grund nicht den leichtesten Stand. Er hält es mit dem BVB – mitten unter Bayern-Fans.