Mindelheimer Zeitung

Fast wie in einer Großfamili­e

Soziales Die ambulant betreute Wohngemein­schaft von Salgen besteht seit einem halben Jahr. Wie sich die elf Mieter eingelebt haben und was die besondere Atmosphäre ausmacht

- VON JOHANN STOLL

Salgen Karolina Ohneberg wohnt wieder daheim, und das ist für die ältere Dame ein unwahrsche­inliches Geschenk. Sie ist in das Haus in Salgen eingezogen, in dem sie jahrzehnte­lang mit ihrem Mann das Gasthaus zum Löwen bewirtscha­ftet hat. 88 Jahre ist sie inzwischen alt und froh, in einer Hausgemein­schaft leben zu können, wo für sie gewaschen, wo jeden Tag frisch gekocht wird und wo ein Pflegedien­st rund um die Uhr im Einsatz ist für ein lebenswert­es Leben im hohen Alter. Diese ambulant betreute Wohngemein­schaft für Seniorinne­n und Senioren ist eine Einrichtun­g, die es eigentlich überall geben müsste.

Fast jede Gemeinde könnte ein solches Haus gut vertragen, in dem die Älteren sich einmieten können, zugleich aber die Vorteile einer gemeinsame­n Wohnform nutzen können. Die meisten sind noch viel zu fit fürs Seniorenhe­im. Aber fürs selbststän­dige Leben daheim lässt bei vielen die Kraft nach.

Als Roman Ohneberg vor mehr als zehn Jahren die Idee verfolgte, für das 300 Jahre alte Elternhaus in Salgen eine sinnvolle Nutzung zu finden, musste er jede Menge Hürden überwinden. Es waren zeitweise so viele, dass er fürchtete, es werde nie zum Umbau und Start kommen. Irgendwie hat er aber immer die richtigen Leute getroffen, und es ging weiter. Ohneberg formuliert es als tief gläubiger Katholik etwas anders. Für ihn ist klar: Das Projekt konnte nur gelingen, „weil ohne den Herrgott gar nichts geht“.

Dass das auch so bleibt, dafür hat Ohneberg vorgesorgt. 100 Marienbild­er aus Fatima sind in den Zwischenbö­den eingebaut worden. Und auch der Erhalt des Herrgottsw­inkels im Haus war ihm ein Herzenswun­sch.

Die Wirtschaft ist längst Geschichte, und viele Jahre war nicht klar, was aus dem Haus werden kann. Es haben sich aber Mitstreite­r gefunden, die von dem Projekt überzeugt waren. Sie gründeten einen Verein mit dem etwas sperrigen Titel „Freunde neuer Wege zum Wohnen wie Zuhause“. Die Macher der ersten Jahre sind Hannes Weber, Manuela Frei, Roman Ohneberg, Raimund Steber, Anton Götzfried und Markus Riker. Noch im Juli finden Neuwahlen statt und es wird wohl das eine oder andere neue Gesicht dazustoßen.

Eine ganze Reihe von Förderern und Gönnern fand sich und brachte das Projekt ins Laufen. Die Bayerische Landesstif­tung gab Mittel, das Amt für Ländliche Entwicklun­g half, das Bayerische Staatsmini­sterium für Gesundheit und Pflege, die Kartei der Not unserer Zeitung, die Stiftung Antenne Bayern sowie der Landkreis Unterallgä­u und die Gemeinde Salgen steuerten Mittel bei. Dennoch musste ein Kredit über 750.000 Euro aufgenomme­n werden, der nun im Verlauf der nächsten 30 Jahre abgestotte­rt werden muss.

Im Januar ging es los, wegen Corona zuerst mit vier, dann mit sechs Mietern. Inzwischen sind alle elf Einzelzimm­er belegt. Die Bewohner sind zwischen 70 und 88 Jahre alt.

Was sofort auffällt in dem Haus: Obwohl es ja ein altes Gebäude ist, sieht alles wie neu aus und ist picobello sauber. Darauf achtet eine Hauswirtsc­haftshilfe, die jeden Tag sieben Stunden im Haus ist, und auch wäscht und kocht. Es riecht überrasche­nd frisch. Das kommt nicht von ungefähr. Allein die Luftzirkul­ation in allen Zimmern hat sich der Verein 50.000 Euro kosten lassen.

Die Zimmer kann jeder ganz individuel­l einrichten mit eigenen Bett, eigenem Tisch und Stuhl und Schrank. Gemeinsam ist allen ein Waschbecke­n, eine Brandmelde­anlage, ein eigenes Telefon, ein Fernsehans­chluss und ein Notruf. Rund um die Uhr ist auch ein Mitarbeite­r oder eine Mitarbeite­rin des Pflegeteam­s Pfaffenhau­sen im Haus. Die Leistungen des Pflegeteam­s bucht jeder Bewohner individuel­l.

Die Zimmer selbst können Angehörige in Schuss halten und mit diesem Beitrag den Preis senken, sagt Ohneberg. Geplant ist für die Zeit nach Corona, auch Ehrenamtli­che einzubinde­n. Die Wohngemein­Stiftung schaft will offen und nicht vom Dorf abgeschott­et sein.

Die Bewohner kommen meist aus der Region. Einzige Ausnahme ist Anneliese Faßbender. Sie ist aus dem Saarland hergezogen, weil ihr Sohn in Apfeltrach lebt. Sie fühlt sich richtig wohl in der Gruppe, die sich gut versteht. „Ich kriege Essen, die Wäsche gewaschen und habe Unterhaltu­ng“, erzählt sie. Die nachmittäg­liche Kaffeerund­e bei selbst gebackenem Kuchen will keiner missen, auch Elisabeth Glück aus Bad Wörishofen nicht. Und unter den Männern haben sich schon wahre Fußballexp­erten gefunden. Der Mindelheim­er Gerhard Frick gehört zu ihnen. Allerdings hat er aus einem Grund nicht den leichteste­n Stand. Er hält es mit dem BVB – mitten unter Bayern-Fans.

 ?? Foto: Johann Stoll ?? Nachmittag­s treffen sich die Bewohner der ambulant betreuten Wohngemein­schaft in Salgen gerne zu Kaffee und Kuchen. Die meisten von ihnen kommen aus der Region. Für Karolina Ohneberg bedeutete der Einzug sogar die Rückkehr in ihr früheres Zuhauses.
Foto: Johann Stoll Nachmittag­s treffen sich die Bewohner der ambulant betreuten Wohngemein­schaft in Salgen gerne zu Kaffee und Kuchen. Die meisten von ihnen kommen aus der Region. Für Karolina Ohneberg bedeutete der Einzug sogar die Rückkehr in ihr früheres Zuhauses.

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