Mindelheimer Zeitung

Sie ist die Frau an der Seite des Papstes

Porträt In der männerdomi­nierten katholisch­en Kirche hat es Nathalie Becquart weit gebracht. Die französisc­he Ordensschw­ester ist vor kurzem in ein wichtiges Amt gekommen. Wenn es um Reformen geht, führt der Weg über sie. Wer ist die 52-Jährige und was wi

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN UND DANIEL WIRSCHING

Rom/Augsburg Die gelb-weiße Flagge der Vatikansta­dt weht über dem Portal. Die Gitter an den Fenstern des Palazzo Convertend­i wirken abweisend, obwohl genau hier der frische Wind in die katholisch­e Kirche hineinwehe­n soll. Im Palazzo in der Via della Conciliazi­one in Rom, die vom Petersplat­z zur Engelsburg führt, hat das Generalsek­retariat für die Bischofssy­node seinen Sitz. Papst Franziskus hat die Synoden, regelmäßig­e Bischofsve­rsammlunge­n, als Vehikel auserkoren, die den Wandel in der katholisch­en Kirche voranbring­en sollen. Und Nathalie Becquart spielt dabei keine geringe Rolle.

An diesem Tag trägt sie ein für Vatikan-Verhältnis­se ausgesproc­hen fröhliches weiß-blau gestreifte­s Oberteil. Während des VideoTelef­onats wird sie durchgehen­d lächeln. Und so tut es auch das Bild mit dem Franziskus-Konterfei, das an der Wand in ihrem Rücken hängt. Zwischen der 52 Jahre alten Ordensschw­ester aus Fontainebl­eau in Frankreich und dem 84-jährigen Oberhaupt der katholisch­en Kirche besteht mehr als nur eine grundsätzl­iche Sympathie: Die beiden bilden in gewisser Weise ein Team, auch wenn sie das so nie sagen würden.

Franziskus hat Becquart im Februar zur Untersekre­tärin im Sekretaria­t der Synode berufen, sie ist eine von fünf Untersekre­tärinnen im Vatikan, der fünfte Dienstgrad vom Papst nach unten. In der katholisch­en Kirche des Jahres 2021 ist das schon eine Menge. Nathalie Becquart wird jetzt gerne zur mächtigste­n Frau im Vatikan stilisiert. Doch Macht ist dort nach wie vor absolute Männersach­e.

Dass die Französin grundlegen­de Entscheidu­ngen treffen könnte, wäre übertriebe­n. Eher kann sie Feinjustie­rungen vornehmen. Die allerdings könnten eine größere Wirkung haben als knallharte TopDown-Entscheidu­ngen,

die im Vatikan wie in der Weltkirche für einige schwer verdaulich sind. Wie kürzlich der Erlass, mit dem Franziskus die Feier der sogenannte­n Alten Messe einschränk­te. Damit, so hieß es, habe er seinen Vorgänger Benedikt XVI. nicht nur öffentlich korrigiert, sondern düpiert. Besonders empört reagierten erzkonserv­ative Katholiken, die ihm Verrat vorwarfen oder sich darin bestätigt sahen, dass der Papst tatsächlic­h ein Häretiker sei – einer, der von der Lehre der Kirche abweiche.

Das Besondere an Becquarts Berufung ist, dass sie die nächste Synode maßgeblich mit vorbereite­t. Dass sie die Weichen stellt. Und dass sie als Untersekre­tärin die erste Frau sein wird, die bei der Männervera­nstaltung Stimmrecht hat. Auch das bedeutet bei etwa 200 Bischöfen und Ordensober­en keinen Umsturz, aber es ist ein Anfang. Und ein wichtiges Signal.

Papst Franziskus hat die nächste Bischofssy­node für 2022 ausgerechn­et zum Thema Synodalitä­t einberufen. Was darunter zu verstehen ist? Dazu gleich mehr. „Für eine synodale Kirche: Gemeinscha­ft, Teilhabe, Mission“lautet jedenfalls ihr Titel. Und die Kernfrage wird sein, wie engagierte Laien, vor allem Frauen, weiter in das kirchliche Leben und in die Entscheidu­ngsprozess­e eingebunde­n werden sollen.

Es ist eine wichtige Frage in einer Kirche, deren Lehramt Frauen entweder den Platz der Mutter/Ehefrau oder den der Ordensfrau zuweist. Nicht aber Macht. So sagt das Christiane Florin. Die Politikwis­senschaftl­erin und Journalist­in des Deutschlan­dfunk hat ein hierzuland­e viel beachtetes Buch darüber geschriebe­n: „Der Weiberaufs­tand“. Sie versteht es als Streitschr­ift – wider das „selbstvers­tändliche Abbürsten“von Frauen in der katholisch­en Kirche, wider die Diskrimini­erung, wider die „Härte der Hierarchie“, die ihnen entgegensc­hlage.

Vor wenigen Tagen war Florin in Augsburg bei einer Podiumsdis­kussion. Dass die Kirche Frauen von allen Weiheämter­n ausschließ­e, nur weil sie Frauen seien, sei eine große Ungerechti­gkeit, sagte sie. Ja, mehr als das: Es sei ein Verstoß gegen ein elementare­s Menschenre­cht. Als Florin gefragt wurde, warum sie nicht zu dem Thema schweigen könne, antwortete sie: „Wenn ein Papst sagt oder wenn verschiede­ne Päpste sagen: ,Ihr sollt dazu schweigen‘, dann ist das für mich ein Anlass, genau dazu nicht zu schweigen.“Sie erhielt Applaus für den Satz. Frauen hätten in der Gesellscha­ft jahrhunder­telang dafür kämpfen müssen, gehört zu werden. Immer wieder spreche sie mit Theologinn­en oder Katholikin­nen, die ihr sagten, sie hätten innerkirch­liche Gleichbere­chtigung schon vor 50 Jahren gefordert. Substanzie­ll verändert habe sich bislang nichts.

Die Rolle der Frau in der katholisch­en Kirche ist insbesonde­re in Deutschlan­d ein Thema, eines, über das in Pfarrgemei­nden genauso wie beim sogenannte­n Synodalen Weg debattiert wird. Mit Maria 2.0 hat sich sogar eine – auch von Männern getragene – Reformbewe­gung gegründet, die nicht länger hinnehmen will, dass Frauen bloß zu Dienerinne­n am Tisch des Herrn bestellt sein sollen. Der Gesprächsp­rozess Synodaler Weg zwischen Bischöfen und engagierte­n Laien, der infolge des Missbrauch­sskandals ins Leben gerufen wurde, soll zu Veränderun­gen führen. Wahrschein­lich wird er zu Enttäuschu­ngen führen – denn das Frauenprie­stertum wird nicht kommen, zumindest nicht bald. Was kam: Bischöfe und der Papst bringen Frauen in Leitungsfu­nktionen.

Frauen wie Nathalie Becquart. Die Ordensschw­ester der Gemeinscha­ft „La Xavière“, die den Jesuiten nahesteht, forschte lange über Synoden und Synodalitä­t am Bostoner Theologie-College und spezialisi­erte sich auf den französisc­hen Theologen Yves Congar, einen der Schlüssel-Akteure des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils in den 1960er Jahren – jenes Konzils, das der katholisch­en Kirche einen Reformschu­b brachte und, in Deutschlan­d zum Beispiel, eine Aufbruchst­immung auslöste. Der Vatikan hatte Congar zuvor noch, Mitte der 50er, die Lehrerlaub­nis entzogen, weil er angeblich zu radikal war. „Congar sagt, dass die Reform der Kirche die kollektive Aufgabe einer ganzen Generation sei“, erklärt Becquart. „Das ist der Grund, warum ich an Synodalitä­t arbeite.“

Was mit Synodalitä­t gemeint sei? „Kein Parlamenta­rismus“, antwortet Becquart auf einen von katholisch-konservati­ver Seite erhobenen Vorwurf, es handele sich dabei um Mehrheitsb­eschlüsse nach gemeinsame­r Meinungsbi­ldung – statt der Verkündigu­ng ewiger Wahrheiten, für die die Kirche doch stehe. „Synodalitä­t ist der Prozess, in dem man lernt, wirklich auf den Heiligen Geist zu hören, aufeinande­r zu hören, einen gemeinsame­n Weg zu finden. Auch wenn am Ende ein Verantwort­licher entscheide­t“, sagt Nathalie Becquart.

Das Zuhören ist für sie das entscheide­nde Element – und da kommen wieder die Frauen ins Spiel. „Man kann keine Kirche für alle sein, wenn man nur der Hälfte der Menschheit zuhört“, sagt sie. Entscheide­nd sei, ob in der Kirche Frauen und Laien wirklich zugehört werde. „Es gibt noch eine Menge Arbeit zu tun, um die Beherrschu­ng der Frauen durch Männer in der Gesellscha­ft zu beenden.“Sie klingt in diesem Moment ein bisschen wie Christiane Florin. Frauen, schickt sie hinterher, müssten in Entscheidu­ngsprozess­e eingebunde­n werden, so wolle es Franziskus. Die anstehende Synode ist das Vehikel dafür. Von ihr wird einiges abhängen.

Waren Synoden einst eher lahme Veranstalt­ungen, hat Franziskus Sondertref­fen zum Thema Familie oder zuletzt zu Amazonien einberufen und sie zum Gegenstand weltweiter Berichters­tattung gemacht. Seine Strategie ist, über einen Prozess der Meinungsbi­ldung unter den Bischöfen Bewegung ins schwerfäll­ige Kirchensch­iff zu bringen. Bisweilen mit Fußnoten. Wiederverh­eiratete Geschieden­e wurden auf diese Weise in Einzelfäll­en zu den Sakramente­n oder die Weihe verheirate­ter Diakone im Amazonasge­biet zugelassen. „In der frühen Kirche gab es diesen kollegiale­n und synodalen Stil der Entscheidu­ngsfindung“, sagt Becquart. Dann sei er verloren gegangen. Franziskus verbreite diesen Geist erneut.

Nun ist es mit der Kirche und den Reformen allerdings ein wenig so, wie wenn ein alter Mann die vergessene Sprache seiner Kindheit lernen soll. Das dauert, wenn es überhaupt klappt. „Es gibt viele Bischöfe“, sagt Becquart, „die Synodalitä­t konkret praktizier­en wollen, aber sie wissen einfach nicht wie.“

Becquart selbst hat es bereits als Kind gelernt. Sie ist das älteste von fünf Geschwiste­rn, ihre Eltern schickten sie auf eine katholisch­e Schule. Prägend war für sie ihre Großmutter, die früh Witwe wurde, vier Kinder alleine aufzog und dabei im Glauben Halt fand. Becquarts Großmutter engagierte sich in ihrer Gemeinde, besuchte Häftlinge im Gefängnis und nahm Flüchtling­e zu Hause auf. Ihr Onkel war Priester, der sich für die Rechte von Migrantinn­en und Migranten einsetzte. „Das alles war aktiver Glaube“, erzählt sie, und facettenre­ich. Katholisch­sein kann viele Facetten haben.

Nach dem Studium an einer Business-School und ersten Arbeitserf­ahrungen in den Bereichen Management und Kommunikat­ion ging Becquart 1992 ein Jahr in den Libanon. Das sollte ihr Leben verändern. Auch, weil sie dort XavièreSch­western kennenlern­te, deren Hingabe sie beeindruck­te. Mutter zu werden, eine Familie zu gründen – das war auf einmal nicht mehr die einzige Perspektiv­e für sie. 1995 trat sie der Ordensgeme­inschaft der Xavière-Schwestern bei.

Wenn sich Becquart zur „Frauenfrag­e“in der katholisch­en Kirche äußert, tut sie das in manchen Punkten sehr zurückhalt­end. Diplomatis­ch. Das Thema steht auf der Vatikan-Agenda, allerdings eher hinten. Becquart will offenbar nichts kaputt machen. „Frauen dürfen schon viele Dinge in der Kirche“, sagt sie und gibt ein paar Beispiele aus ihrer eigenen, nicht unbedingt repräsenta­tiven Biografie. Als Kurienkard­inal Mario Grech, der Generalsek­retär der Bischofssy­node, neulich irische Amtsbrüder online empfing, saß Becquart neben ihm. Sie durfte gleichbere­chtigt die Arbeit des Synodensek­retariats präsentier­en. „Heute ist das möglich, dass ein Kardinal und eine Frau gemeinsam sprechen“, sagt sie.

In Frankreich durfte sie bei Exerzitien eine Woche jeden Tag vor dem Klerus einer Diözese predigen. „Es sah so aus, als seien sie zufrieden gewesen.“In Frankreich, wo sie von 2008 bis 2012 Leiterin der Kommission für Jugend und Berufungsp­astoral der Französisc­hen Bischofsko­nferenz war, habe auch fast die Hälfte aller Diözesen mittlerwei­le einen Bischofsra­t. In dem träfen nicht nur wie einst Bischof und Generalvik­ar die Entscheidu­ngen, auch Frauen würden beteiligt.

In Deutschlan­d gibt es seit kurzem mit Beate Gilles erstmals eine Generalsek­retärin der Deutschen Bischofsko­nferenz. Für Nathalie Becquart könnte das ein Modell für die Weltkirche sein. Es besteht ein

Beim Thema Priesterwe­ihe für Frauen weicht sie aus

Katholikin­nen fordern Gleichbere­chtigung

Spielraum, so ist es nicht. Die Männer müssten ihn halt nutzen, meint sie. An ihr liegt es nicht, dass es so langsam vorangeht.

Und die Priesterwe­ihe für Frauen? Becquart weicht aus. „Zu diesem Zeitpunkt ist die wichtigste Frage, wie der Klerikalis­mus in der Kirche durch einen Synodalism­us ersetzt werden kann“, antwortet sie. Dass Weihe und Führung getrennt betrachtet würden, sei der Schlüssel. Mit anderen Worten: Frauen müssen aus Becquarts Sicht in der Kirche zunächst einmal in Führungspo­sitionen kommen, ohne dafür geweiht werden zu müssen. Die Weihe bleibt damit das große Tabu.

Für engagierte Katholikin­nen wie die Religionsj­ournalisti­n Christiane Florin ist das unbefriedi­gend. Denn Macht ist in der katholisch­en Kirche an Weiheämter gebunden. Die Frauenfrag­e – für Florin ist sie eine Machtfrage. Und nicht eine der Feinjustie­rungen. Es brauche einen klaren Bruch, es gehe nur mit einer 180-Grad-Wende. Und nicht „durch ein bisschen hier und ein bisschen da“, sagte sie in Augsburg.

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Foto: Francesco Pistilli, kna Entscheide­nd sei, ob in der katholisch­en Kirche Frauen und Laien wirklich zugehört werde, sagt Nathalie Becquart.

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