Wie sich „Mister Cum-Ex“Hanno Berger gegen seine Auslieferung wehrt
Justiz Hanno Berger gilt als Kopf hinter einem der größten Steuerskandale überhaupt. Nun sitzt er in der Schweiz in Auslieferungshaft. Seine Verfolger wollen ihn unbedingt vor Gericht stellen. Doch das könnte am Ende wegen Tricksereien der deutschen Justi
Zuoz/Frankfurt Hanno Berger lebt nunmehr seit fast neun Jahren in der Schweiz. Dort fühlte er sich sicher vor dem Zugriff der deutschen Justiz, die ihn als Strippenzieher des möglicherweise größten Steuerskandals aller Zeiten vor Gericht bringen will. Das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat hat „Mister Cum-Ex“in den Bergen des Oberengadins verloren. „Für mich gibt es kein Gesetz mehr in Deutschland, ich bin vogelfrei“, sagte er unserer Redaktion im Winter. Vor drei Wochen nun ist Berger überraschend in Auslieferungshaft genommen worden. Die Umstände, unter denen dies geschehen ist, werfen Fragen auf.
Das Örtchen Zuoz vereinte für Berger zwei Vorteile: Es ist ein hübsches Fleckchen Erde und die deutsche Justiz hat dort keinen Zugriff auf den möglicherweise größten Steuerhinterzieher aller Zeiten. Denn die Schweiz liefert beim Vorwurf der Steuerhinterziehung niemanden aus. Anders verhält es sich, wenn ein größerer Betrug im Raum steht. Und da beginnt die Sache spannend zu werden.
Seit 2012 ermitteln mehrere deutsche Staatsanwaltschaften gegen den Steueranwalt Hanno Berger, 70. Bevor er zu „Mister Cum-Ex“wurde, war er oberster Bank-Steuerprüfer in Hessen und schaute den großen Konzernen auf die Finger. Doch Mitte der 90er wechselte er die Seiten, tüftelte nun selbst Steuersparmodelle für wohlhabende Mandanten aus. Er stieß auf sogenannte Cum-Ex-Geschäfte. Durch diese ausgeklügelte Form des Aktienhandels erstattete der Staat Steuern zurück, die er nie erhalten hatte. Hohe Steuern. Schätzungen von Experten zufolge könnte die Cum-Ex-Methode Staaten um mehr als 50 Milliarden Euro an Steuereinnahmen gebracht haben. Berger selbst ist davon überzeugt, dass die „Steuergestaltung“, wie er den Cum-Ex-Trick nennt, völlig im Einklang mit den damaligen Gesetzen stand. Das Steuerschlupfloch wurde erst 2012 geschlossen. Deutsche Staatsanwaltschaften ermitteln inzwischen gegen mehr als 1000 Beschuldigte in der Affäre. Immer ging es um den Vorwurf der schweren Steuerhinterziehung. In den Ermittlungen, in den Anklagen gegen Berger und in den ersten Urteilen. Bis zum Frühjahr.
Da musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit einer Beschwerde Bergers gegen einen Haftbefehl des Landgerichts Wiesbaden beschäftigen. Und plötzlich stellt der dortige 2. Strafsenat in einem Beschluss vom 9. März neben der Steuerhinterziehung noch ein anderes Delikt in den Raum: bandenund gewerbsmäßigen Betrug. Das ergebe sich „zwanglos aus der über 900-seitigen Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt“, schreiben die hohen Richter. Nach einer Rüge Bergers wiederholen sie diesen Vorwurf Anfang Mai. Und dann geht alles recht schnell: Zwei Monate später sitzt „Mister CumEx“in Schweizer Auslieferungshaft.
Haben die Richter bewusst das
Betrugsdelikt in ihren Beschluss geschrieben, damit das Auslieferungsverfahren in Schwung kommt? Fakt ist, dass das deutsche Auslieferungsgesuch an die Schweiz umgehend durch den Frankfurter Beschluss ergänzt wurde.
Hanno Berger fühlt sich nun in seinem stets etwas pathetisch vorgetragenen Misstrauen gegenüber der deutschen Justiz bestätigt und beginnt, sich mit allen Mitteln gegen die Auslieferung zu wehren. Der Münchner Strafverteidiger und Steuerexperte Richard Beyer, der jüngst in Augsburg mehrere Berufskollegen im Goldfinger-Prozess rausgepaukt hat, vertritt Berger nun und startet aufsehenerregend: Er hat gegen die drei Richter des OLG Frankfurt Strafanzeige wegen des Verdachts der Rechtsbeugung und der Freiheitsberaubung erstattet. Beyer wütet im Gespräch mit unserer Redaktion: „In diesem Beschluss wird das Recht mit Füßen getreten.“Die Dreistigkeit der Richter lasse sich am besten daran erkennen, dass sie selbst quasi in dem Beschluss vorschlagen, das Auslieferungsverfahren unter diesem neuen Aspekt zu führen. „Das ist rein vom Ergebnis her gedacht, und das ist nichts anderes als Rechtsbeugung“, sagt Verteidiger Beyer.
Als Anwalt von Hanno Berger verfolgte er hier natürlich eine offensive Verteidigungsstrategie. Aber erstens muss sich noch erweisen, ob der Vorwurf des Bandenbetrugs haltbar ist und zweitens ist Richard Beyer in bester Gesellschaft. Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof (BGH), hat sich jüngst in einer juristischen Fachzeitschrift intensiv mit der These des OLG Frankfurt auseinandergesetzt und zerreißt sie in der Luft. Das sei eine „Abkehr von einer jahrzehntelang gefestigten Rechtsprechung“des
Bundesgerichtshofs und des Bundesfinanzhofs, also zweier höchster deutscher Gerichte. Er nennt den Vorwurf des Betrugs „schöpferische Rechtsfindung“, die ganz offenbar den Zweck verfolge, Bergers Auslieferung aus der Schweiz zu ermöglichen. Der OLG-Beschluss könne laut Mosbacher unmöglich Bestand haben: „Jedes andere Ergebnis würde richterlicher Beliebigkeit und Willkür Tür und Tor öffnen.“Der Aufsatz des Bundesrichters ist der Anzeige beigefügt.
Schon an diesem Mittwoch könnte es sehr spannend werden: Der Bundesgerichtshof wird zum ersten Mal über einen Cum-Ex-Prozess urteilen. Das Landgericht Bonn hatte im Frühjahr 2020 zwei britische Fondsmanager zu Bewährungsstrafen verurteilt. Das milde Urteil erfolgte, weil die Angeklagten umfassend ausgesagt hatten. Die eigentliche Kernfrage war: Sind Cum-Ex-Geschäfte strafbar? Das Gericht meinte: ja. Es wird nun interessant zu sehen sein, ob sich der BGH in diesem Zusammenhang auch (ungefragt) dazu äußert, ob Steuerhinterziehung oder auch ein Betrug vorliegen könnte. Das wird dann ein wichtiger Fingerzeig sein, wie es im Auslieferungsverfahren gegen „Mister Cum-Ex“Hanno Berger weitergeht.