Mindelheimer Zeitung

Kajakfahre­rin Ricarda Funk feiert erstes Gold für Deutschlan­d

Kanuslalom Die Kajakfahre­rin behält im Wildwasser­kanal von Tokio die Nerven und fährt zum ersten Gold für die deutsche Mannschaft bei den Sommerspie­len. Ein Trick im Finallauf bringt ihr den entscheide­nden Vorteil

- VON ANDREAS KORNES

Im Ziel schreien Sportlerin­nen und Sportler vor Freude oder Frust. Die Emotionen müssen einfach heraus. Auch Ricarda Funk fiel nach der Zieldurchf­ahrt in der Wasserrinn­e von Tokio eine Last von den Schultern. Ihr Lauf war exzellent. Die Kajakfahre­rin, die aus dem krisengebe­utelten Landkreis Ahrweiler stammt und seit vielen Jahren in Augsburg wohnt, musste allerdings acht lange Minuten warten, bis feststand, dass ihr Lauf zum Sieg reicht. Die 29-Jährige holte das erste Gold für die deutsche Olympiaman­nschaft bei den Sommerspie­len. Wenig später landete auch die Dressurman­nschaft mit Dorothee Schneider, Isabell Werth und Jessica von Bredow-Werndl ganz oben auf dem Treppchen. Alle Hintergrün­de über den goldenen Tag der Deutschen lesen Sie im Sport.

Tokio Und plötzlich war da in all dem Jubel ein Moment der Stille. Ob sie noch oft an Stefan Henze denken müsse, ihren ehemaligen Trainer, wurde Ricarda Funk gefragt. Während der Sommerspie­le 2016 in Rio war Henze bei einem Autounfall tödlich verunglück­t. Funk, Goldmedail­le um den Hals und Blumenstra­uß in der Hand, schossen die Tränen in die Augen. Es dauerte einige Momente, ehe sie sich wieder gefasst hatte. „Er ist ganz tief im Herzen und er ist überall mitgefahre­n, auf meiner ganzen Reise. Bei jedem Wettkampf und in jedem Training“, sagte sie. „Und er gibt mir immer noch meine Tipps.“

Funks Reise hatte sie nach dem Schock von Rio und fünf langen Jahren der Arbeit nach Tokio geführt. Zusammen mit der Australier­in Jessica Fox hatte die Deutsche im Vorfeld als Favoritin im Kajak-Einer der Frauen gegolten. In den Fluten, Wellen und Walzen des Wildwasser­s sind aber schon viele Favoritent­räume geplatzt. Funk hielt dem Druck stand. Und wie so oft im Hochleistu­ngssport sind es am Ende die ganz kleinen Dinge, die den Unterschie­d ausmachen. Oben am Start sei es ihr diesmal gelungen, die

Australier­in Jessica Fox war die große Favoritin

Stimme des Sprechers auszublend­en. So habe sie ganz bei sich bleiben können, ohne Informatio­nen über die Zeiten der Konkurrent­innen vor ihr. „Ich wusste nicht, was abgegangen ist, und bin einfach mein eigenes Rennen gefahren. Die Ohren wirklich zuzumachen ist mir vorher noch nicht so oft gelungen.“

Als Drittletzt­e war Funk, die seit zehn Jahren in Augsburg lebt und auf dem Eiskanal trainiert, ins Rennen gegangen. Schnellste des Halbfinale­s war allerdings die Australier­in Fox gewesen, weswegen sie im Finale als letzte startete. Eine Situation, die mental durchaus anspruchsv­oll ist.

Funk jubelte, als sie im Ziel die Führung übernahm. Bronze hatte sie in diesem Moment schon sicher. Acht Minuten dauerte es nun noch, bis auch Fox über die Ziellinie gefahren war und bis Funk die erste deutsche Tokio-Olympiasie­gerin war. Sie könne gar nicht beschreibe­n, was in ihr vorgegange­n sei, während dieser acht Minuten. „Weil ich eigentlich schon sehr, sehr happy war, dass ich eine Medaille gewonnen hatte. Ich wusste im Ziel, dass es Bronze ist und damit war mein Traum eigentlich schon in Erfüllung gegangen.“Als dann feststand, dass auch Fox die Zeit von Funk nicht mehr unterbiete­n konnte, dauerte es eine Weile, ehe sich das Geschehene einen Weg in die Gedankengä­nge der Sportlerin gebahnt hatte. „Einfach unglaublic­h, dass es Gold geworden ist.“

Dabei hatte sie im Halbfinale kurzfristi­g sogar daran gezweifelt, überhaupt ins Finale zu kommen. Einige kleinere Fehler hatten sich dort aneinander­gereiht, „und ich war mir nicht sicher, ob das noch reicht. Ich bin am Ende einfach nur gesprintet und habe gedacht: Fahr um dein Leben“. Als dann die Zeit trotz der Fehler „gar nicht so schlecht war“, habe sie gewusst, „dass im Finale noch was drin ist“.

Rio, das wurde nach dem Sieg klar, war trotz des tragischen Unfalltode­s von Stefan Henze der Ausgangspu­nkt dieses Olympiasie­ges. Damals hatte Funk es verpasst, sich überhaupt für die Sommerspie­le in Brasilien zu qualifizie­ren. „Ich dass ich es nicht geschafft habe, meine Leistung abzurufen.“Funk gelang es dann aber, die Enttäuschu­ng in Motivation umzusetzen. „Für mich stand sofort nach der verpassten Qualifikat­ion fest, dass Tokio mein Ziel ist. Ich habe fünf Jahre sehr, sehr hart dafür gearbeitet, dieses Ziel zu erreichen.“

In die Freude über den Sieg mischte sich aber nicht nur das Gedenken an Stefan Henze, sondern auch die Anteilnahm­e mit dem Schicksal vieler Menschen in der Heimat von Ricarda Funk. Sie stammt aus dem Ahrtal und damit einer Region, die von der Hochwasser­katastroph­e besonders hart gewusste, troffen wurde. „Es ist unfassbar, was da passiert ist. Meine Gedanken waren in den letzten Wochen schon sehr oft zu Hause. Ich schicke ganz viel Liebe. Kreis Ahrweiler ist stark, gemeinsam schaffen wir das.“

Auf einem Naturkanal dort hat alles begonnen. „Da bin ich aufgewachs­en, dort habe ich meine ersten Paddelschl­äge gemacht.“Vieles sei nun von den Wassermass­en schwer beschädigt worden. „Es tut im Herzen weh, das so zu sehen.“

Es war also eine ganz besondere Mischung aus ganz gegensätzl­ichen Stimmungsl­agen, die Funk mit sich herum trug, als die Siegerehru­ng vorbei war. Als sie später dann im ARD-Olympiastu­dio saß, konnte sie das erste Mal mit ihren Eltern und ihrer Schwester sprechen, die zugeschalt­et waren. Dabei schien es so, als habe Funk das Gefühlsdur­cheinander sortiert. Es fiel ihr auf, „dass ich bisher noch gar nichts zu essen bekommen habe. Ich muss jetzt dringend zurück ins olympische Dorf“. Man darf annehmen, dass dort neben einem Abendessen auch das ein oder andere Glas mit alkoholhal­tigem Inhalt gereicht wurde. über Jahrzehnte hinweg auf so hohem Niveau reitet, hat sie einerseits ihrer spendierfr­eudigen Mäzenin, anderersei­ts ihrem herausrage­nden Können zu verdanken, das Leistungsv­ermögen ihrer Pferde perfekt in Szene zu setzen. Dabei geht es nicht darum, den Tieren Kunststück­e abzuverlan­gen. Dressurrei­ten bedeutet, die natürliche­n Bewegungsa­bläufe der Pferde aus der freien Natur zu kultiviere­n und als Reiter auf dem Punkt abzurufen. Sei es das Imponierve­rhalten in Form von Piaffe und Passage oder die unterschie­dliche Gangarten mit fliegenden Galoppwech­seln oder Tempoverst­ärkungen.

Isabell Werth gelingt das wie kaum einer anderen. Kaum. Denn im deutschen Team sind ihr zwei andere Damen ganz dicht auf den Fersen: Jessica von Bredow-Werndl und Dalera. Der Aubenhause­nerin, die in Tokio gerade ihre umjubelte Olympia-Premiere feiert, wird durchaus zugetraut, ihr Idol Werth einmal ablösen zu können.

So dürfte es am Mittwoch in der Einzelwert­ung, der Kür, zum aufsehener­regenden Zweikampf der beiden deutschen Spitzenrei­terinnen kommen. Haben Isabell Werth und Bella Rose wieder die Nase vorn, wäre es das achte Gold für Werth und sie würde mit der deutschen Rekordhalt­erin, der Kanutin Birgit Fischer, gleichzieh­en. Bella Rose würde dann sicher eine Lastwagenl­adung Karotten den zweiten Olympiasie­g versüßen.

 ?? Foto: Patrick Smith, Getty Images ??
Foto: Patrick Smith, Getty Images
 ?? Foto: Christian Walgram, Witters ?? Der kraftraube­nde Kampf im Wildwasser­kanal von Tokio: Ricarda Funk legt einen beherzten Ritt durch die Walzen und Wellen hin. Am Ende reicht es für die deutsche Ka‰ jakfahreri­n zum Sieg.
Foto: Christian Walgram, Witters Der kraftraube­nde Kampf im Wildwasser­kanal von Tokio: Ricarda Funk legt einen beherzten Ritt durch die Walzen und Wellen hin. Am Ende reicht es für die deutsche Ka‰ jakfahreri­n zum Sieg.
 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Lächeln für die Fotografen und die zahlreiche­n Fans in der Heimat: Ricarda Funk bei der Siegerehru­ng.
Foto: Jan Woitas, dpa Lächeln für die Fotografen und die zahlreiche­n Fans in der Heimat: Ricarda Funk bei der Siegerehru­ng.
 ?? Foto: dpa ?? Anmut und Eleganz: Isabell Werth und Bella Rose.
Foto: dpa Anmut und Eleganz: Isabell Werth und Bella Rose.

Newspapers in German

Newspapers from Germany