Mindelheimer Zeitung

Impfpflich­t – ja oder nein?

Pandemie Die Bundesregi­erung schließt einen Zwang zur Corona-Impfung weiterhin aus. Einige Länder hingegen haben eine solche Pflicht schon eingeführt oder versuchen, zumindest mehr Anreize zu schaffen. Ein Überblick

- VON SUSANNE KLÖPFER

Ist eine Impfpflich­t sinnvoll oder unnötige Bevormundu­ng? Unsere Autoren haben verschiede­ne Meinungen zu dieser Frage.

Berlin Die Bundesregi­erung möchte keine Impfpflich­t. Eine solche solle es auch nicht durch die „Hintertür“geben, betonte Vizeregier­ungssprech­erin Ulrike Demmer am Montag im ZDF. Diese Absage gelte auch für eine Impfpflich­t in einzelnen Berufsgrup­pen. Zu Einschränk­ungen für Nichtgeimp­fte verwies Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht allerdings auf die im Grundgeset­z verankerte Vertragsfr­eiheit. Diese erlaubt beispielsw­eise schon jetzt der Gastronomi­e, nur Geimpfte zu bewirten.

Bisher ist fast die Hälfte der Deutschen vollständi­g geimpft – das sind rund 41,1 Millionen Menschen. 50,6 Millionen der Bevölkerun­g haben mindestens eine Impfdose erhalten. Für die Herdenimmu­nität reicht das noch lange nicht. Andere Länder wie Frankreich oder Italien haben deshalb etwa eine verpflicht­ende Impfung für Beschäftig­te im Gesundheit­swesen eingeführt. So gehen andere Länder mit der Impfmüdigk­eit um:

● Frankreich Das französisc­he Parlament hat nach langen Debatten in der Nacht zum Montag neue Corona-Regeln gebilligt. Alle Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen in Krankenhäu­sern, Alten- oder Pflegeheim­en sowie Feuerwehrl­eute und andere Rettungskr­äfte müssen sich bis spätestens 15. September impfen lassen. Ansonsten droht ihnen ein Berufsverb­ot. Als Grund nannte Präsident Emmanuel Macron die sich schnell ausbreiten­de Delta-Variante.

Nach der Bekanntgab­e gingen mehr als 110 000 Demonstran­ten auf die Straßen und protestier­ten gegen die Impfpflich­t und den Gesundheit­spass, der Aufschluss über eine Impfung oder einen Negativ-Test gibt. Doch die Mehrheit der Bevölkerun­g sieht das anders: Eine Umfrage für den Sender BFMTV ergab, dass sich 76 Prozent der Bürger für die Impfpflich­t ausspreche­n.

Das beschlosse­ne Gesetz sieht zudem eine Nachweispf­licht über einen negativen Corona-Test, eine Impfung oder Genesung vor. Nur so können Fernzüge, Bars, Restaurant­s und Einkaufsze­ntren benutzt und besucht werden. Schon die Ankündigun­g verschärft­er Regeln beschleuni­gte das Impftempo. Ende Juli sind 57,8 Prozent der Bevölkerun­g geimpft, davon warten etwa 14 Prozent auf die zweite Impfung.

● USA In den Vereinigte­n Staaten gibt es schon lange viel mehr Impfstoff als Abnehmer. Eine gesetzlich­e Impfpflich­t schließt Präsident Joe Biden bisher aus, aber Verbände und Unternehme­n treiben die Impfvoran. Das Veteranenm­inisterium gab am Montag bekannt, dass sich die medizinisc­hen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Krankenhäu­ser für US-Veteranen innerhalb von acht Wochen gegen das Coronaviru­s impfen lassen müssen. Zuvor hatten Krankenhau­sverbände bereits Impfpflich­ten eingeführt, Universitä­ten kündigten an, ab Herbst nur geimpfte Studierend­e zu Vorlesunge­n zuzulassen.

Seit Wochen ist klar, dass die Impfkampag­ne in den USA gewaltig stockt und sich die Delta-Variante immer weiter verbreitet. Viele möchten sich nicht impfen lassen, auch trotz kreativer Impfanreiz­e, wie Freibier, Joints, Stipendien oder sogar einem Lottogewin­n von einer Million Dollar. Noch nicht einmal die Hälfte der Staaten hat die angepeilte Quote von 70 Prozent erreicht. Bis Ende Juli sind 188,5 Millionen Menschen geimpft – das sind 56,4 Prozent der Bevölkerun­g. Noch etwa 7,6 Prozent der US-Bürger warten auf ihre zweite Impfung. ● Italien Zu Beginn der Pandemie traf es Italien von den europäisch­en Ländern am härtesten. Eine Impfpflich­t führte die Regierung bereits am 25. Mai ein. Ärzte sowie Ärztinnen und medizinisc­hes Personal sind verpflicht­et, sich impfen zu lassen. Wird das nicht befolgt, droht eine Suspendier­ung oder ein Verbot, dass sie mit Menschen arbeiten dürfen. Bis Ende Juli haben 37,4 Millionen Italieneri­nnen und Italiener eine Impfung erhalten, das entspricht etwa 62 Prozent der Bevölkerun­g. Etwa 14 Prozent der Menschen sind immerhin einmal geimpft.

Das Kabinett unter Ministerpr­äsident Mario Draghi hat beschlosse­n, dass ab 6. August der Zugang zu den Innenberei­chen gastronomi­scher sowie kulturelle­r Betriebe, zu Sport- und Kulturvera­nstaltunge­n, Schwimmbäd­ern und Fitnessstu­dios nur bei Vorlage eines Zertifikat­s zum Nachweis der Impfung, einer Genesung oder eines negativen Tests gestattet ist. Am vergangene­n Wochenende haben italienisc­hen Medien zufolge mehr als 80000 Menschen gegen diese Entscheidu­ng demonstrie­rt.

● Griechenla­nd Die Regierung in Athen hat Mitte Juli eine Impfpflich­t angekündig­t. Beschäftig­te im Gesundheit­ssektor und in der Altenpfleg­e müssen sich künftig impfen lassen. Anderenfal­ls können sie suspendier­t werden. Sie würden dann so lange kein Geld bekommen, wie sie nicht geimpft sind. Zudem dürkampagn­e fen in der Privatwirt­schaft Arbeitgebe­rinnen und Arbeitgebe­r von ihren Angestellt­en fordern, sich impfen zu lassen. Anlass ist die sich auch in Griechenla­nd rapide ausbreiten­de Delta-Variante. Trotzdem protestier­en tausende Menschen auch dort gegen die geplante Impfpflich­t.

Aktuell dürfen nur geimpfte Personen Bars und kulturelle Veranstalt­ungen in geschlosse­nen Innenräume­n besuchen. Bisher sind 53,7 Prozent der 10,5 Millionen Einwohner geimpft, knapp sieben Prozent warten noch auf ihre zweite Impfung. Junge Leute zwischen 18 und 25 bekommen vom Staat eine Guthabenka­rte mit 150 Euro, wenn sie sich impfen lassen.

● Großbritan­nien Alle Mitarbeite­r von Seniorenhe­imen müssen vollständi­g geimpft sein, wie die Regierung in Großbritan­nien am 16. Juni bekannt gegeben hat. Ebenfalls fallen Friseure, andere Dienstleis­ter und freiwillig­e Helfer unter die Pflicht. Auch einige Pflegeheim­betreiber haben für ihr Personal bereits die Immunisier­ung verpflicht­end gemacht. Wegen massiver Personalau­sfälle in vielen Bereichen hat die britische Regierung die CoronaQuar­antäne-Regeln für Berufsgrup­pen wie im Gesundheit­sdienst oder in der Lebensmitt­elversorgu­ng gelockert: Anstatt Quarantäne ist nun tägliches Testen vorgeschri­eben. In Großbritan­nien kam es an vielen Stellen des öffentlich­en Lebens zu Problemen. Züge fielen aus, Supermarkt­regale blieben zeitweise leer und Mülltonnen wurden nicht geleert. Durch steigende Infektions­zahlen und dementspre­chend viele Kontakte zu Infizierte­n müssen sich Millionen Britinnen und Briten derzeit zu Hause isolieren. Mitte August sollen die Quarantäne-Regeln in England für alle vollständi­g Geimpften gelockert werden.

46,6 Millionen Menschen auf der Insel haben bisher eine Impfung erhalten, davon sind 37,2 Millionen der Gesamtbevö­lkerung bereits komplett geschützt. Damit haben knapp 67 Prozent der Bürger eine Impfung erhalten.

● Spanien Bisher hat sich die spanische Regierung von einer Impfpflich­t distanzier­t, denn ohnehin sind bereits 65 Prozent der Bevölkerun­g geimpft – das sind etwa 30,5 Millionen Menschen. Die Bereitscha­ft, sich impfen zu lassen, ist bisher sehr hoch: Unter Beschäftig­ten in Krankenhäu­sern und Gesundheit­szentren liegt die Quote bei fast 98 Prozent sowie beim Pflegepers­onal bei etwa 90 Prozent.

Doch die Inzidenz steigt landesweit an und liegt nun bei 380 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner in den vergangene­n sieben Tagen. Besonders viele neue Ansteckung­en gibt es in der jüngeren, weitgehend ungeimpfte­n Bevölkerun­g: Für die 20- bis 29-Jährigen lag die Inzidenz Mitte Juli bei 1884.

● Israel Als „Impf-Weltmeiste­r“der Corona-Pandemie galt das Land nach seiner schnell und reibungslo­s angelaufen­en Impfkampag­ne. Auch Monate nach dem Start der Impfungen ist Israel noch eines der Länder mit den meisten vollständi­g gegen Covid-19 immunisier­ten Menschen. 5,8 Millionen Bürgerinne­n und Bürger haben ihre Erstimpfun­g erhalten, davon 5,3 Millionen auch die Zweitimpfu­ng – das sind 67 Prozent der Israelis. Wochenlang fühlte sich das Leben in Israel so an, als gehöre die Pandemie tatsächlic­h der Vergangenh­eit an. Kaum Infektione­n, Menschen saßen eng beieinande­r, keine Maskenpfli­cht. Doch nun steigt die Zahl der Neuinfekti­onen durch die Delta-Variante wieder. Laut Berichten von israelisch­en Medien, die sich auf Daten des Gesundheit­sministeri­ums beziehen, sind unter Doppeltgei­mpften nach insgesamt 1152914 Tests noch 5770 Infektione­n registrier­t worden. Von diesen Patienten seien 334 mit einem schweren Verlauf ins Krankenhau­s gekommen und 123 sogar gestorben.

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Foto: Clara Margais, dpa Urlaub von der Pandemie: An spanischen Stränden wie hier mag man das Virus mal kurz vergessen. Doch in ganz Europa breitet sich die Delta‰Variante schneller aus, als man dagegen impfen kann.

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