Mindelheimer Zeitung

Wie das Gesundheit­ssystem nach Corona besser werden kann

Die Pandemie lehrt, wie wichtig ein Mehr an Digitalisi­erung, Pflege und Qualität für die Versorgung der Bevölkerun­g wäre. Und dass manche Operation verzichtba­r ist

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger-allgemeine.de

Nach den Milliarden­ausgaben in der Corona-Pandemie hat jüngst der Bundesrech­nungshof kritische Fragen gestellt. Wo sind die ganzen Intensivbe­tten, für die der Bund hunderte Millionen Euro an die Kliniken überwiesen hat? Und warum haben die Krankenkas­sen mehr Geld für Krankenhau­sbehandlun­gen bezahlt, obwohl im Lockdown-Jahr weniger operiert wurde?

Die meisten Kliniken steckten das Geld für neue Betten in Technik, wie Beatmungsg­eräte. Doch nicht fehlende Intensivbe­tten waren das Problem, sondern ausreichen­d medizinisc­hes Personal, um diese zu betreiben. Auch wenn niemand darüber sprechen mag: Weil sich weniger Pflegepers­onal um viel pflegebedü­rftigere Patientinn­en und Patienten kümmern musste, entsprach die Versorgung auf dem

Höhepunkt der zweiten Pandemiewe­lle nicht der sonst gewohnten Qualität. Doch vom Kollaps blieben die Kliniken verschont.

Die Kosten waren für die Krankenkas­sen hoch. Sie mussten im laufenden Betrieb überall viel Geld für Schutzausr­üstung, Tests und Corona-Kranke bezahlen: Die Behandlung eines beatmungsp­flichtigen Corona-Kranken wird auf über 38 000 Euro geschätzt – 300 Mal mehr als eine Komplett-Impfung inklusive aller Kosten. Deshalb sparten die Kassen unter dem Strich nichts in der Pandemie – trotz weniger Operatione­n. Dennoch können sie aus der Pandemie viele positive Lehren ziehen. Hierbei geht es um den intelligen­ten Einsatz von vorhandene­n Kapazitäte­n, Geld und Personal, um Transparen­z und vor allem um Digitalisi­erung.

In Deutschlan­d kommt eine Pflegekraf­t auf 53 Patienten, unter den Industriel­ändern liegt der Schnitt besser: bei 32. Rechnet man die Versorgung aber auf die Bevölkerun­g um, liegt Deutschlan­d mit elf Pflegekräf­ten pro hunderttau­send Einwohner weit besser als der internatio­nale Durchschni­tt von neun. Warum dennoch Pflegenots­tand herrscht? In Deutschlan­d wird viel zu viel operiert, wie selbst Chirurgen einräumen. Denn das System der Krankenhau­sfinanzier­ung über Fallpausch­alen belohnt nicht Qualität und gute Pflege, sondern möglichst viele Behandlung­en.

Dies führt dazu, dass die Deutschen öfter unters Messer kommen als irgendein anderes Volk. Deutschlan­d zählt mehr als doppelt so viele Klinikaufe­nthalte wie die USA, die Niederland­e, Japan oder Schweden, aber eine niedrigere Lebenserwa­rtung als die allermeist­en EU-Länder. Da scheint es leicht verkraftba­r, dass die Zahl der Eingriffe in der Pandemie um 13 Prozent zurückging. Es ist sogar ein gutes Zeichen: Der Pflegenots­tand in den Kliniken wäre nicht nur durch mehr Geld heilbar, sondern vor allem durch weniger Behandlung­sfälle. Dies würde sich leicht erreichen lassen, wenn bei der Krankenhau­sfinanzier­ung nicht eine große Menge an Behandlung­en das meiste Geld verspräche­n, sondern möglichst großer Behandlung­serfolg. Qualität statt Quantität.

Eine nachhaltig­e Qualität ist jedoch nur durch Digitalisi­erung messbar, indem anonym bei künftigen Arztbesuch­en nachvollzi­ehbar wird, welchen Erfolg Behandlung­en hatten. Doch die Pandemie lehrt, dass Deutschlan­d ein digitales Entwicklun­gsland ist. Datenschut­z ist meist nur Ausrede für politische­s Unvermögen. Gerade die Intensivun­d Notfallmed­iziner haben in der Pandemie digitale Pionierarb­eit geleistet, mit der Intensivbe­tten effizient genutzt wurden, streng getrennt von Patientend­aten. Durch Digitalisi­erung, Vernetzung und transparen­te Qualitätsk­ontrolle ließen sich nicht nur Milliarden­beträge sparen, sondern vor allem die regionale Versorgung der Bevölkerun­g verbessern. Doch mit einem „Weiter so“nach der Wahl wird das System nur kränker und teurer.

Deutsche kommen öfter unters Messer als jedes andere Volk

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany