„Das beleidigt meinen Verstand“
Interview Der Kabarettist Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig tritt nach langer Corona-Pause wieder auf. Warum ihm der Bundestagswahlkampf bisher keinen rechten Spaß macht und ob er Kanzlerin Merkel vermissen wird
Herr Barwasser, was denkt das Coronavirus gerade?
FrankMarkus Barwasser: Es denkt sich: „Ich mache es auch nicht anders als ihr Menschen. Ihr vergrößert euer Reich ständig und ruiniert dabei den Planeten. Bei euch sprecht ihr von Wachstum, bei mir nennt ihr es Ansteckung.“
Sie nehmen in Ihrem aktuellen Bühnenprogramm die Perspektive des Virus ein. Nach 16 Monaten ohne Auftritt sind Sie zurück als Erwin Pelzig – und glücklich?
Barwasser: Ich konnte die CoronaZeit einigermaßen gut bewältigen und bin zweifach geimpft, stehe auch wieder auf Freiluftbühnen, insofern ja. Ich bin auch glücklich, dass alle, die in meinem Umfeld an Corona teilweise schwer erkrankt waren, es gut überstanden haben.
Wie war das mit Ihren eigenen Unsicherheiten und Ängsten, Ihrer Wut? Barwasser: Mich fegte Corona sozusagen im vergangenen März von der Bühne. Ich wollte im Frühjahr ein neues Programm schreiben und im Herbst 2020 wieder auftreten. Mein Thema stand allerdings schon damals fest: Kränkungen. Die CoronaPandemie passte gut dazu, sie ist eine große Kränkung – weil sie unsere Lebensweise infrage stellt. Wut habe ich in den vergangenen Monaten nicht empfunden, geärgert habe ich mich schon, zum Beispiel über das immer wieder erkennbare Missmanagement der Corona-Krise. Das Maskentheater am Anfang, die Impfstoffbeschaffung. Da sind die 90000 von Herrn Aiwanger bestellten Wischmopps eine geradezu erheiternde, wenn auch nicht gerade preiswerte Pointe. Aber ich frage mich ernsthaft: Lernen wir was draus? Ich bin auch grundsätzlicher geworden.
Kränkt Sie der Bundestagswahlkampf? Da geht es ja bislang weniger ums Grundsätzliche, sondern um einen feixenden Armin Laschet von der CDU oder eine plagiierende Annalena Baerbock von den Grünen. Barwasser: Das kränkt mich nicht, das ist einfach nur dämlich. Oh, darf ich dämlich überhaupt noch sagen? Herrlich ist der Wahlkampf jedenfalls nicht.
Polarisierendes Thema: Gendern. Barwasser: Sehen Sie: wieder Kränkungen! In der Debatte über geschlechtergerechte Sprache erleben wir viele gekränkte Männer, die nicht erkennen, dass die Geschichte des weiblichen Geschlechts eine einzige Kränkungsgeschichte ist. Wissen Sie, was meinen Intellekt kränkt?
Nein.
Barwasser: Umfragen wie „Wer ist der bessere Krisenmanager: Laschet, Baerbock oder Scholz?“Und plötzlich ist SPD-Politiker Scholz, der sich im Wirecard-Untersuchungsausschuss an so wenig erinnern konnte, der tollste Krisenmanager und tollste Kanzlerkandidat, weil er bei der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands nicht ganz so im Vordergrund steht. Auf Basis welcher Informationen gelangen Menschen zu so einer Einschätzung? Das sind doch alles nur Gefühle, die morgen schon wieder ganz anders sein können. Welchen Sinn und Zweck haben dann solche Umfragen? Alles Quatsch. Nein, ich widerrufe: Es kränkt mich doch nicht. Es beleidigt nur meinen Verstand. 1998 hatten Sie ein Kabarettprogramm, das „Das Superwahljahr“hieß. Kohl gegen Schröder. Barwasser: Das war wie aus einer anderen Zeit. Was ich mich frage, wenn ich mir meine alten Texte durchlese und meine alten Programme durchschaue: Waren die Zeiten harmloser oder war ich es?
Hat das was mit dem Alter zu tun? Entweder, so scheint es ja, wird man altersmilde – oder zum wütenden „alten weißen Mann“.
Barwasser: Das ist bei mir so eine Mischung. Viele Dinge, die gerade Aufreger sind, kann ich inzwischen besser einordnen – als Feuerchen, die nur kurz brennen. Sowohl als Barwasser als auch als Erwin Pelzig setze ich nicht mehr auf jede Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Unklar ist für mich, ob ich begriffsstutziger oder nachdenklicher geworden bin. Aber es ist nicht so, dass ich mir im Fernsehen nur noch die „Tagesschau“von vor 20 Jahren anschaue.
Bei einer Katastrophe ziehe ich mir gleichwohl nicht mehr sechs Stunden lang die „breaking news“rein.
Eine Katastrophe war auch das, was vor ein paar Wochen in Ihrer Heimatstadt Würzburg passierte. Wie haben Sie von dem Somalier erfahren, der dort drei Frauen tötete und andere Menschen verletzte?
Barwasser: Über die Medien. Ich war bei Dreharbeiten in Berlin und hab dann auch mit meiner Familie in Würzburg telefoniert. Es ist schon noch einmal etwas anderes, wenn man die Straßen und Plätze gut kennt, wo so etwas passiert ist ... Mir tut es in der Seele weh, wenn ich an die Opfer und ihre Angehörigen denke. Ich habe auch am Berliner Breitscheidplatz gedreht, wo 2016 ein islamistischer Terrorist zwölf Menschen tötete. Ich stand dort und hab gedacht: Scheiße. Dass solche Dinge passieren können, verdrängen wir ja gerne, solange sie nur in Kabul passieren.
In Berlin drehten Sie für 3sat „Beim Pelzig auf der Bank“.
Barwasser: In den drei Folgen geht es auch um Grundsätzliches: Was macht Corona mit uns? Wie steht es um die Demokratie? Und: Was bringt die Zukunft, die Digitalisierung? Am Ende spiele ich mit ZDFWissenschaftsjournalist und Astrophysiker Harald Lesch Boule und trinke Bowle.
Pelzig radelt zu seinen Gesprächspartnern samt einem mobilen Bowle-Set. Barwasser: Das ist eine Reminiszenz an meine Bowle-Vergangenheit.
Früher schenkten Sie jedem Ihrer Gäste ein – wie 2008 Bayerns neuem Umweltminister Markus Söder. Barwasser: Der schon damals Ministerpräsident werden wollte. Da bin ich mir sicher.
Den damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer bezeichneten Sie als „Not-Obama“.
Barwasser: Hab ich das? Na ja, ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht hatte.
Jetzt geht Seehofer als CSU-Bundesinnenminister in den Ruhestand. Er hat offenbar noch keinen Autoren für seine Biografie. Wäre das was für Sie? Barwasser: Huch, da bin ich aber froh, dass ich dieses Angebot noch nicht bekommen habe. Ich käme glatt in Versuchung. Mir hat Seehofers Ironie immer gut gefallen. Sein Satz, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen zurückgeführt worden seien und er das so nicht bestellt habe, hat mich dagegen fassungslos gemacht. Ach nee, lieber nicht, nächste Frage bitte!
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verlässt die politische Bühne. Werden Sie sie vermissen?
Barwasser: Ich empfinde es wie am Ende der Ära Kohl: zu viel Stillstand. Aber wenn jetzt Lächel-Laschet wirklich Kanzler werden sollte, ja mei, da hätte sie auch bleiben können.
FrankMarkus Barwasser, am 16. Februar 1960 in Würzburg gebo ren, studierte Politikwissenschaften, Neuere Geschichte und Ethnologie in München und Salamanca in Spa nien. Er ist gelernter Journalist und Kabarettist. Sein aktuelles Bühnen programm heißt „Der wunde Punkt“. Barwasser lebt mit seiner Frau und seinem Sohn, 5, in Mainz.