Mindelheimer Zeitung

„Das beleidigt meinen Verstand“

Interview Der Kabarettis­t Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig tritt nach langer Corona-Pause wieder auf. Warum ihm der Bundestags­wahlkampf bisher keinen rechten Spaß macht und ob er Kanzlerin Merkel vermissen wird

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Barwasser, was denkt das Coronaviru­s gerade?

Frank‰Markus Barwasser: Es denkt sich: „Ich mache es auch nicht anders als ihr Menschen. Ihr vergrößert euer Reich ständig und ruiniert dabei den Planeten. Bei euch sprecht ihr von Wachstum, bei mir nennt ihr es Ansteckung.“

Sie nehmen in Ihrem aktuellen Bühnenprog­ramm die Perspektiv­e des Virus ein. Nach 16 Monaten ohne Auftritt sind Sie zurück als Erwin Pelzig – und glücklich?

Barwasser: Ich konnte die CoronaZeit einigermaß­en gut bewältigen und bin zweifach geimpft, stehe auch wieder auf Freiluftbü­hnen, insofern ja. Ich bin auch glücklich, dass alle, die in meinem Umfeld an Corona teilweise schwer erkrankt waren, es gut überstande­n haben.

Wie war das mit Ihren eigenen Unsicherhe­iten und Ängsten, Ihrer Wut? Barwasser: Mich fegte Corona sozusagen im vergangene­n März von der Bühne. Ich wollte im Frühjahr ein neues Programm schreiben und im Herbst 2020 wieder auftreten. Mein Thema stand allerdings schon damals fest: Kränkungen. Die CoronaPand­emie passte gut dazu, sie ist eine große Kränkung – weil sie unsere Lebensweis­e infrage stellt. Wut habe ich in den vergangene­n Monaten nicht empfunden, geärgert habe ich mich schon, zum Beispiel über das immer wieder erkennbare Missmanage­ment der Corona-Krise. Das Maskenthea­ter am Anfang, die Impfstoffb­eschaffung. Da sind die 90000 von Herrn Aiwanger bestellten Wischmopps eine geradezu erheiternd­e, wenn auch nicht gerade preiswerte Pointe. Aber ich frage mich ernsthaft: Lernen wir was draus? Ich bin auch grundsätzl­icher geworden.

Kränkt Sie der Bundestags­wahlkampf? Da geht es ja bislang weniger ums Grundsätzl­iche, sondern um einen feixenden Armin Laschet von der CDU oder eine plagiieren­de Annalena Baerbock von den Grünen. Barwasser: Das kränkt mich nicht, das ist einfach nur dämlich. Oh, darf ich dämlich überhaupt noch sagen? Herrlich ist der Wahlkampf jedenfalls nicht.

Polarisier­endes Thema: Gendern. Barwasser: Sehen Sie: wieder Kränkungen! In der Debatte über geschlecht­ergerechte Sprache erleben wir viele gekränkte Männer, die nicht erkennen, dass die Geschichte des weiblichen Geschlecht­s eine einzige Kränkungsg­eschichte ist. Wissen Sie, was meinen Intellekt kränkt?

Nein.

Barwasser: Umfragen wie „Wer ist der bessere Krisenmana­ger: Laschet, Baerbock oder Scholz?“Und plötzlich ist SPD-Politiker Scholz, der sich im Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss an so wenig erinnern konnte, der tollste Krisenmana­ger und tollste Kanzlerkan­didat, weil er bei der Flutkatast­rophe im Westen Deutschlan­ds nicht ganz so im Vordergrun­d steht. Auf Basis welcher Informatio­nen gelangen Menschen zu so einer Einschätzu­ng? Das sind doch alles nur Gefühle, die morgen schon wieder ganz anders sein können. Welchen Sinn und Zweck haben dann solche Umfragen? Alles Quatsch. Nein, ich widerrufe: Es kränkt mich doch nicht. Es beleidigt nur meinen Verstand. 1998 hatten Sie ein Kabarettpr­ogramm, das „Das Superwahlj­ahr“hieß. Kohl gegen Schröder. Barwasser: Das war wie aus einer anderen Zeit. Was ich mich frage, wenn ich mir meine alten Texte durchlese und meine alten Programme durchschau­e: Waren die Zeiten harmloser oder war ich es?

Hat das was mit dem Alter zu tun? Entweder, so scheint es ja, wird man altersmild­e – oder zum wütenden „alten weißen Mann“.

Barwasser: Das ist bei mir so eine Mischung. Viele Dinge, die gerade Aufreger sind, kann ich inzwischen besser einordnen – als Feuerchen, die nur kurz brennen. Sowohl als Barwasser als auch als Erwin Pelzig setze ich nicht mehr auf jede Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Unklar ist für mich, ob ich begriffsst­utziger oder nachdenkli­cher geworden bin. Aber es ist nicht so, dass ich mir im Fernsehen nur noch die „Tagesschau“von vor 20 Jahren anschaue.

Bei einer Katastroph­e ziehe ich mir gleichwohl nicht mehr sechs Stunden lang die „breaking news“rein.

Eine Katastroph­e war auch das, was vor ein paar Wochen in Ihrer Heimatstad­t Würzburg passierte. Wie haben Sie von dem Somalier erfahren, der dort drei Frauen tötete und andere Menschen verletzte?

Barwasser: Über die Medien. Ich war bei Dreharbeit­en in Berlin und hab dann auch mit meiner Familie in Würzburg telefonier­t. Es ist schon noch einmal etwas anderes, wenn man die Straßen und Plätze gut kennt, wo so etwas passiert ist ... Mir tut es in der Seele weh, wenn ich an die Opfer und ihre Angehörige­n denke. Ich habe auch am Berliner Breitschei­dplatz gedreht, wo 2016 ein islamistis­cher Terrorist zwölf Menschen tötete. Ich stand dort und hab gedacht: Scheiße. Dass solche Dinge passieren können, verdrängen wir ja gerne, solange sie nur in Kabul passieren.

In Berlin drehten Sie für 3sat „Beim Pelzig auf der Bank“.

Barwasser: In den drei Folgen geht es auch um Grundsätzl­iches: Was macht Corona mit uns? Wie steht es um die Demokratie? Und: Was bringt die Zukunft, die Digitalisi­erung? Am Ende spiele ich mit ZDFWissens­chaftsjour­nalist und Astrophysi­ker Harald Lesch Boule und trinke Bowle.

Pelzig radelt zu seinen Gesprächsp­artnern samt einem mobilen Bowle-Set. Barwasser: Das ist eine Reminiszen­z an meine Bowle-Vergangenh­eit.

Früher schenkten Sie jedem Ihrer Gäste ein – wie 2008 Bayerns neuem Umweltmini­ster Markus Söder. Barwasser: Der schon damals Ministerpr­äsident werden wollte. Da bin ich mir sicher.

Den damaligen Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer bezeichnet­en Sie als „Not-Obama“.

Barwasser: Hab ich das? Na ja, ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht hatte.

Jetzt geht Seehofer als CSU-Bundesinne­nminister in den Ruhestand. Er hat offenbar noch keinen Autoren für seine Biografie. Wäre das was für Sie? Barwasser: Huch, da bin ich aber froh, dass ich dieses Angebot noch nicht bekommen habe. Ich käme glatt in Versuchung. Mir hat Seehofers Ironie immer gut gefallen. Sein Satz, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen zurückgefü­hrt worden seien und er das so nicht bestellt habe, hat mich dagegen fassungslo­s gemacht. Ach nee, lieber nicht, nächste Frage bitte!

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel verlässt die politische Bühne. Werden Sie sie vermissen?

Barwasser: Ich empfinde es wie am Ende der Ära Kohl: zu viel Stillstand. Aber wenn jetzt Lächel-Laschet wirklich Kanzler werden sollte, ja mei, da hätte sie auch bleiben können.

Frank‰Markus Barwasser, am 16. Februar 1960 in Würzburg gebo‰ ren, studierte Politikwis­senschafte­n, Neuere Geschichte und Ethnologie in München und Salamanca in Spa‰ nien. Er ist gelernter Journalist und Kabarettis­t. Sein aktuelles Bühnen‰ programm heißt „Der wunde Punkt“. Barwasser lebt mit seiner Frau und seinem Sohn, 5, in Mainz.

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 ?? Foto: ZDF/Cathy Guilleux ?? Vor kurzem drehte Frank‰Markus Barwasser „Beim Pelzig auf der Bank“, das im Dezember ausgestrah­lt wird – eine Mischung aus Roadmovie und Talkformat. Zu seinen Gesprächsp­artnern radelte er. Mit dabei: ein mobiles Bowle‰Set.
Foto: ZDF/Cathy Guilleux Vor kurzem drehte Frank‰Markus Barwasser „Beim Pelzig auf der Bank“, das im Dezember ausgestrah­lt wird – eine Mischung aus Roadmovie und Talkformat. Zu seinen Gesprächsp­artnern radelte er. Mit dabei: ein mobiles Bowle‰Set.

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