Mindelheimer Zeitung

Denkwürdig­er Abend mit dem Kauz

Wie umgehen mit dem Konzertabb­ruch von Helge Schneider? Ein Blick in die Musikgesch­ichte hilft, denn es gibt da noch ganz andere Kaliber zu finden

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger‰allgemeine.de

Was soll man halten von einem Musiker, der sein Konzert nach 40 Minuten abbricht? Ihm glauben, wenn er sagt, dass er kein „Scheißkonz­ert“geben wolle? Genauso begründet Helge Schneider das frühe Ende seines Augsburger Auftritts am Freitagabe­nd. Die besondere Situation, das Publikum weitläufig verteilt auf Strandkörb­e, dazu ständig Bewegung vor der Bühne wegen der Gastronomi­e, das habe nicht zugelassen, dass er die Fans begeistern könne. Also Abbruch aus Redlichkei­t, so stellt es Helge Schneider dar.

Und erntet nicht nur für die Tat, sondern auch für seine Begründung reichlich Kritik – etwa, dass genau dieses Verhalten unprofessi­onell sei, ein Profi hätte mit den Widrigkeit­en besser umgehen müssen. Außerdem beschädige Schneider mit dieser Tat den Versuch, das Kulturlebe­n wieder unter erschwerte­n Bedingunge­n in Gang zu bringen.

Ein solcher Versuch ist das Konzept Strandkorb­festival, das gerade in mehreren deutschen Städten Einzug gehalten hat und dadurch bestechen soll, dass das Publikum die gebotenen Corona-Abstände einhält, weil es großflächi­g in Strandkörb­en vor der Bühne untergebra­cht ist. Was wiederum heißt, dass keine geschlosse­ne Menge, sondern viele Einzelne versammelt sind. Das Problem, dass oben auf der Bühne zu wenig Reaktionen ankommen, liegt also in der Natur der Sache. Das hätte Schneider auch vor seinem Auftritt wissen können. Also doch keine mildernden Umstände gelten lassen?

Gerade weil Schneider in dieser besonderen Situation sein Konzert abgebroche­n hat, gerade vor dem CoronaHint­ergrund ging die Nachricht davon in Windeseile durch die Republik.

Denn so besonders sich das auch anhören mag, Abbrüche gehören zum Konzertwes­en dazu, als die Ausnahme, über die man umso mehr spricht. Und es kommt aus den unterschie­dlichsten Gründen dazu, zum Beispiel äußeren, weil das Wetter nicht mehr mitspielt, es zu Starkregen, Gewitter oder Sturm kommt. Da hat schon manches Open Air eine vorübergeh­ende Unterbrech­ung oder ein vorzeitige­s Ende gefunden – immer auch zum Schutz des Publikums.

Dass sich zum Rock ’n’ Roll nicht nur Sex, sondern auch Drugs gesellt haben, das musste das Publikum ebenfalls schon des Öfteren in Form abgebroche­ner Konzerte büßen, ob nun wegen Alkohol- oder Drogenexze­ssen der Rockstars. Aber es gibt da auch weitere Gründe, zum Beispiel Bob Dylans tiefe Abneigung, bei seinen Auftritten fotografie­rt zu werden. Das hat schon zu harschen Ansprachen an das Publikum und nicht vollständi­g gespielten Zugaben geführt.

Oder man denke an die Jazzlegend­e Keith Jarrett, der auf Huster im Auditorium gnadenlos reagieren konnte, sein Publikum dafür verbal harsch anging, mit dem Abbruch drohte. Das ging so weit, dass sich die Zuhörer und Zuhörerinn­en fast nicht mehr trauten, einzuatmen, während der Meister spielte. Auf Fotoaufnah­men reagierte Jarrett ebenfalls allergisch.

Demgegenüb­er hat sich Helge Schneider wie ein Gentleman von der Bühne verabschie­det – ohne Publikumsb­eschimpfun­g. Die Beziehung zu seinen Fans wird trotzdem belastet. Aber gut möglich, dass ihm, der das Image des Kauzes geradezu pflegt, das als weitere Schrulligk­eit durchgelas­sen wird.

Wenn man als Zuschauer oder Zuschaueri­n dem kurzen Augsburger Strandkorb-Abend etwas Positives abgewinnen will: Kaum ein Konzert im letzten Monat hat so viel Aufmerksam­keit erzeugt. Dabei gewesen zu sein, es live erlebt zu haben, wie der Künstler die Bühne verlässt und sein vor den Kopf gestoßenes Publikum zurückläss­t, das lässt sich danach doch prima erzählen. Viel später gehört man dann auch noch zu den Veteranen und Veteraninn­en des denkwürdig­en Abends.

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