Mindelheimer Zeitung

75 Jahre und kein bisschen müde

Historie Alles Gute, Unimog! Er ist so etwas wie das Schweizer Taschenmes­ser unter den Nutzfahrze­ugen. Kein Truck und kein Traktor ist so vielseitig wie das „Universal-Motor-Gerät“. Jubiläumsa­usfahrt mit einem besonderen Modell

-

Die Kabine starrt zwar vor Dreck. Die Sitze sind längst aufgeplatz­t, das Glas über dem Tacho ist fast blind. Und der Mercedes-Stern wird nur noch von Kabelbinde­rn an der stumpf gewordenen Motorhaube gehalten – doch außer Schlamm und Staub lässt Andreas Rauscher auf seinen Unimog nichts kommen.

Obwohl der weinrote U421 bereits 45 Jahre auf dem Buckel hat, kraxelt der Winzer damit noch fast jeden Tag durch seine Weinberge im Neckartal. Nicht im Traum denkt er daran, auf einen modernen Traktor zu wechseln.

Klar ist der 2,4 Liter-Diesel mit seinen 38 kW/52 PS nicht der Stärkste. Wer drei, vier Mal ohne Servolenku­ng die engen Kehren hinauf zu Rauschers Weinberg gefahren ist, kann sich den Besuch im Fitnessstu­dio sparen – davon zeugen die dicken Oberarme des Besitzers.

Die Kabine ist eng, die Türen sind schmal und die Sitze wären selbst dann unbequem, wenn die Polster die letzten Jahrzehnte nicht komplett durchgeses­sen wären.

Fürs Schalten braucht man mit dem unsynchron­isierten Getriebe reichlich Feingefühl im Spiel mit Kupplung und Zwischenga­s. „Aber in der Summe seiner Eigenschaf­ten ist der Unimog bis heute jedem anderen Fahrzeug überlegen“, sagt Rauscher, während er zwischen den Reben den steilen Hang hinaufkrie­cht und nur milde über die modernen Traktoren seiner Kollegen lacht. Die Summe seiner Eigenschaf­ten – genau die hatten Albert Friedrich, einstiger Leiter Flugmotore­n-Konstrukti­on von DaimlerBen­z, und sein Kompagnon Heinrich Rößler im Sinn, als sie im Spätsommer 1945 das Lastenheft für den Unimog skizzierte­n, sagt MercedesCl­assic-Sprecher Ralph Wagenknech­t. So planten die beiden ein „Universal-Motor-Gerät“– woraus das Akronym Unimog entstand.

Wichtige Zutaten waren: hohe Bodenfreih­eit, steile Böschungsw­inkel, vorbildlic­he Traktion, Ladefläche mit mindestens einer Tonne Tragkraft, Zapfwellen für Zusatzgerä­te, ein Geschwindi­gkeitsbere­ich von 3 bis 50 km/h. Dazu eine standfeste Bremsanlag­e und ein halbwegs komfortabl­es Fahrerhaus mit mindestens zwei Sitzplätze­n. „Damit wollten die Macher im Notfall neben dem Traktor auch den Pritschenw­agen und den Pkw ersetzen“, so Wagenknech­t.

Die ersten Prototypen starten vor rund 75 Jahren im Herbst 1946. Einen großen Erfolg feierte der Unimog bei der Premiere auf der DLGLandwir­tschaftsau­sstellung 1948 in Frankfurt am Main. Das Fahrzeug wird ein weltweiter Erfolg, hat alle Moden und Krisen überstande­n – und wird deshalb bis heute produziert, sagt Rainer Hildebrand­t aus Hochstadt. Er beziffert die Gesamtflot­te auf mittlerwei­le mehr als 400 000 Fahrzeuge. Ein Großteil davon dürfte noch heute unterwegs sein, schätzt er. „Denn der Unimog ist nicht nur vielseitig einsetzbar, sondern ungeheuer robust.“

Entspreche­nd bodenständ­ig sind die Preise, sagt Hildebrand­t: Ungepflegt­e, aber voll fahrfähige Modelle, also Arbeitsger­äte für den Alltag, gibt es nach seiner Einschätzu­ng deshalb bereits für 5000 Euro. Doch Vorsicht: Besonders gut restaurier­te und polierte Exemplare wechseln auch mal für 70000 oder 80000 Euro den Besitzer.

Dass mittlerwei­le Unimogs bei Oldtimer-Treffen auftauchen und wie Garagengol­d aufpoliert sind, darüber kann Winzer Rauscher nur lachen. Für ihn bleibt sein U421, der mit 1976 übrigens das gleiche Baujahr hat wie er selbst, auch als Veteran ein Werkzeug. Das kommt fast täglich zum Einsatz.

Getreu den Vorgaben seiner Erfinder nutzt er den Unimog dabei universell. Wenn der Veteran, den Rauscher Junior mit dem Weinberg vom Vater übernommen hat, nicht im Wingert unterwegs ist, fährt er den Schutt zur Deponie, der beim Umbau der eigenen Besenwirts­chaft anfällt. Mal schleppt er mit ihm die zwei Hänger zur Genossensc­haft. Und bisweilen traut er sich mit dem Unimog sogar auf eine Landpartie – immerhin schafft er mit viel Gas und Geduld 67 km/h.

Und hin in wieder poliert sogar den Winzer den roten Rentner doch mal auf Hochglanz, schmückt ihn bisweilen auch mit Blumen – wenn im Herbst die Lese eingefahre­n wird oder wenn einer seiner Freunde den Bund fürs Leben schließt. Denn dann wuchtet er ein altes Sofa auf die kleine Pritsche, chauffiert das Brautpaar zur Kirche und adelt den Unimog auch noch zum Hochzeitsa­uto. Das ist eine Rolle, die vor 75 Jahren wahrschein­lich selbst seine Erfinder dem Universale­n MotorGerät nicht zugetraut hätten.

Thomas Geiger, dpa

 ?? Foto: Harry Steininger, dpa ?? Ein ewiges Arbeitstie­r: Der Unimog wird im Herbst 75 Jahre alt. Dieses Exemplar schuftet mit 52 PS im Weinberg und hat 42 Jah‰ re auf dem Buckel.
Foto: Harry Steininger, dpa Ein ewiges Arbeitstie­r: Der Unimog wird im Herbst 75 Jahre alt. Dieses Exemplar schuftet mit 52 PS im Weinberg und hat 42 Jah‰ re auf dem Buckel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany