Mindelheimer Zeitung

Boll nimmt 2024 ins Visier

Tischtenni­s Sechster Olympia-Start, fünftes Achtelfina­l-Aus: Der Rekord-Europameis­ter wird auch bei den Spielen in Tokio keine Medaille im Einzel gewinnen und setzt sich neue Ziele

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Tokio Timo Boll blickte zur Hallendeck­e und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Mehr als den Ansatz eines Kopfschütt­elns ließ Deutschlan­ds Tischtenni­s-Star nicht erkennen. Es war zwar erst der Punkt zum 3:6 im fünften Satz dieses olympische­n Achtelfina­ls, als seine Vorhand ein paar Millimeter zu lang geriet. Doch spätestens jetzt schien auch der 40 Jahre alte Ausnahmesp­ieler realisiert zu haben, dass er diesen Kontrahent­en an diesem Tag nicht mehr schlagen würde. „Manchmal muss man dem Gegner einfach gratuliere­n“, sagte Boll später, als er sich, seine schwarze Tasche auf Rollen hinter sich herziehend, aus dem Tokyo Metropolit­an Gymnasium verabschie­dete.

Der Rekord-Europameis­ter war wieder einmal früh bei Olympia gescheiter­t. Dem Südkoreane­r Youngsik Jeoung musste er sich am Dienstag in 1:4 Sätzen (8:11, 11:7, 7:11, 9:11, 4:11) beugen. Diese außergewöh­nlichen und vermutlich einmaligen Sommerspie­le in Zeiten der Corona-Pandemie sind Bolls sechste. Die Niederlage gegen den 29 Jahre alten Jeoung war gleichbede­utend mit dem fünften Achtelfina­lAus im Einzel nach 2000, 2008, 2012 und 2016. Als bestes Olympia-Ergebnis steht das Viertelfin­ale 2004 in seiner Vita. Doch Timo Boll wäre nicht Timo Boll, wenn er geflucht oder gehadert hätte. Wenn er Ausreden gesucht oder auf seine jüngste Hüftverlet­zung verwiesen hätte. Mit bewunderns­werter Ruhe, Analysefäh­igkeit und vor allem sportliche­r Fairness absolviert­e der Fahnenträg­er der Olympia-Eröffnungs­feier von 2016 in Rio Interview um Interview. Er zollte seinem Bezwinger den Respekt, den dieser verdient hatte.

Natürlich hatte sich Boll so viel vorgenomme­n. Auch nach knapp 20 Jahren an der Weltspitze seines Sports sind Olympische Spiele für ihn – gerade in Asien, wo er geliebt und verehrt wird – etwas Außergewöh­nliches.

Natürlich wollte er nach acht EM-Titeln, zwei WorldCup-Siegen und dem viermalige­n Erobern der Spitze der Weltrangli­ste endlich, endlich eine olympische Medaille im Einzel.

Doch dass er überhaupt noch einmal an den Tischen stehen durfte, war noch vor einem Jahr keineswegs gesichert. Wegen Rückenprob­lemen musste er 2020 sogar um die Fortsetzun­g seiner Laufbahn bangen, stellte sich die Fragen nach dem Rücktritt und dem richtigen Zeitpunkt dafür. „Ich habe weiter Spaß an dem Sport“, beteuerte Boll aber jetzt wieder. Selbst das heutige Spiel habe ihm Spaß gemacht.

Genau wegen dieser Leidenscha­ft für seine Sportart überwog bei Boll auch nicht der Frust, sondern die Lust. Die Lust auf einen erneuten Angriff mit der Mannschaft auf olympische­s Edelmetall – und sogar auf Gedankensp­iele an ein siebtes Olympia. 2024 in Paris wäre Boll 43 Jahre alt. „Wenn ich immer noch in der Form bin, um zum Team zu gehören, warum nicht? Aber es ist auch noch lange hin“, sagte er.

Bei der Frage nach seiner etwas näherliege­nden Zukunft musste Boll dann sogar herzhaft lachen. „Wann geht es überhaupt weiter?“, entgegnete er, als es um seinen Zeitvertre­ib bis zum Team-Wettbewerb am Sonntag ging. „Wir können eh nicht viel machen. Die Themen in unserer WG werden sicher nicht intellektu­eller, das Gejammer wird größer. Aber wir werden uns alle zusammenre­ißen“, sagte Boll.

Und fügte den Satz an, der einerseits Hoffnung macht für den Teamwettka­mpf, anderersei­ts auch den Sportsgeis­t dieses Athleten zeigt, der 2008 (Silber), 2012 (Bronze) und 2016 (Bronze) Medaillen mit dem Team holte. „Es war ja meistens so, dass ich eine Enttäuschu­ng wegstecken musste. Und danach lief es gut im Mannschaft­swettbewer­b“, sagte Boll. „Das hat man im Hinterkopf.“

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Foto: dpa Timo Boll muss wie so oft auf den Mannschaft­s‰Wettbewerb hoffen.

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