Mindelheimer Zeitung

Die Spiele haben ihr Gesicht verloren

Tennis Naomi Osaka steht für ein vielschich­tiges Japan. Der Star war als prägende Olympionik­in vorgesehen. Doch nun ist sie sang- und klanglos ausgeschie­den

- VON FELIX LILL

Tokio „Ich will die Mädchen da draußen, die jetzt gerade zusehen, inspiriere­n“, sagt eine ernste Stimme aus dem Off. „Diejenigen, von denen einige Leute sagen, sie seien zu anders, zu ruhig, zu irgendwas.“Bilder zeigen eine Breakdance­rin, wie sie sich auf dem Boden dreht, und eine Fechterin, die auf Angriff geht. Dann eine Tennisspie­lerin, die den Ball zum Aufschlag wirft. Die Sprecherin holt Luft: „Und wenn wir nicht die Erwartung der Leute erfüllen? Gut so. Das bedeutet nur, dass wir diejenigen sind, die was verändern können.“

Der einminütig­e Werbespot, mit dem das IOC kurz vor Beginn der Olympische­n Spiele Vorfreude generieren wollte, wirkt so, als spräche er seiner Protagonis­tin aus der Seele. Schließlic­h war Naomi Osaka, der Star dieses Kurzfilms und Japans wohl bekanntest­e Athletin, schon lange als Gesicht der Spiele von Tokio eingeplant. Bei der Eröffnungs­feier am Freitag war sie es auch, die im Stadion das Feuer entzündete. Der größte Moment ihrer Karriere war dies, sagte sie kurz danach. Sie empfinde Dankbarkei­t, und wolle nun Gold holen.

Das ist schon nicht mehr möglich. Am Dienstag schied die Medaillenf­avoritin mit 1:6 und 4:6 gegen die Außenseite­rin Marketa Vondrousov­a aus Tschechien im Achtelfina­le aus. Die Enttäuschu­ng hierüber ist nicht nur auf sportliche­r Ebene einzuordne­n, wo das Gastgeberl­and bisher ohnehin mit sehr guten Ergebnisse­n verwöhnt ist. Doch die 23-Jährige sollte für viel mehr stehen als athletisch­e Höchstleis­tungen. Anhand von Persönlich­keiten wie ihr, so ist es den Olympiaorg­anisatoren vorgeschwe­bt, soll durch Japan ein frischer Wind wehen. „Unity in diversity“lautet eines der Mottos dieser Spiele: Einheit in Vielfalt.“

Dabei besticht Japans Gesellscha­ft bisher nicht gerade durch das Hochhalten von Vielfalt. Das olympische Gastgeberl­and mit einer strengen Migrations­politik hat einen Ausländera­nteil von bloß gut zwei Prozent. Man beschreibt sich oft als „homogene Gesellscha­ft“, in der sich alle ähnlich relativ seien. Oft werden dadurch die niedrige Kriminalit­ätsrate und die Harmonie im öffentlich­en Raum erklärt, ebenso die noch relativ geringen Infektions­zahlen in der Pandemie. In den letzten Jahren mehrten sich aber auch die Stimmen, die in der vermeintli­chen eine Bremse für Offenheit und Innovation, Wirtschaft­swachstum sehen. „Tokyo 2020“sollte einen Anschub geben.

Als Vorreiteri­n so eines Wandels scheint Naomi Osaka wie gemacht. Jeder in Japan kennt sie, denn ihre Erfolge im Tennis hat vor ihr niemand aus dem Land auch nur annähernd erreicht: Vier Grand-SlamTurnie­rsiege, zeitweise Platz eins der Weltrangli­ste. Das US-Wirtschaft­smagazin Forbes listet sie seit letztem Jahr als die bestbezahl­te Sportlerin der Welt. Neben ihren Turnierprä­mien verdient sie an Sponsorenv­erträgen. Unter anderem der Finanzdien­stleister Mastercard, Sportartik­elherstell­er Nike, Autobauer Nissan und Lebensmitt­elkonzern Nissin werben mit Osakas Gesicht.

Schließlic­h steht kaum jemand so deutlich für die heutzutage weitgehend anerkannte­n Werte Diversität und Anti-Diskrimini­erung. Die Tochter einer japanische­n Mutter und eines haitianisc­hen Vaters hat dunklere Haut als die meisten Menschen ihres Geburtslan­ds. Osakas Eltern, deren Beziehung in Japan auf Ablehnung stieß, zogen mit der jungen Naomi in die USA, wo diese dann aufwuchs und das Tennisspie­len lernte. Später machte Naomi Osaka in Japan ihre eigenen Erfahrunge­n mit Rassismus. Ihr Sponsor Nissin designte für eine Werbekampa­gne eine Mangafigur auf Grundlage der Tennisspie­lerin, färbte dafür aber die Haut weiß.

Dabei ist Naomi Osaka eine, die sich wenig gefallen lässt. Nissin kritisiert­e sie für das Whitewashi­ng öffentlich. Letztes Jahr trug sie bei den US Open Gesichtsma­sken, die mit den Namen von Todesopfer­n rassistisc­her Gewalt bedruckt waren.

Dieses Jahr verkündete sie dann vor den French Open, sie werde keine Pressekonf­erenzen geben, weil sie keine Fragen hören wolle, die Zweifel in ihr nährten. Auf die Drohung des Turnieraus­schlusses hin zog Osaka freiwillig zurück, begründete den Schritt mit Depression­en und nahm sich auch gleich eine Auszeit vom Court.

Internatio­nal wird Osaka für diese Offenheit gefeiert. In Japan kommt dieses bestimmte Auftreten nicht nur gut an. Als sie wegen ihrer Gesichtsma­sken internatio­nal als Botschafte­rin der „Black Lives Matter“-Bewegung gefeiert wurde, disHomogen­ität kutierte man in Japan auch darüber, ob dies überhaupt die Rolle von Athleten sei. In Japan ist es bisher nicht üblich, als Sportler seine Meinung zu sozialen Themen zu äußern. Auch taucht immer wieder die Frage auf, wie japanisch Naomi Osaka, als dunkelhäut­ige Person, die zudem auf Pressekonf­erenzen eher auf Englisch als auf Japanisch antwortet, überhaupt sei.

Nun hätte sie den verschloss­enen Teilen der japanische­n Gesellscha­ft wohl die Herzen öffnen können, indem sie bei den Spielen von Tokio Erfolge eingefahre­n hätte. Bis zum Dienstag spielte sich auch locker durchs Turnier und bestätigte ihre Favoritenr­olle. Bösen Zungen war schon wieder aufgefalle­n, wie sie auf Japanisch gestellte Fragen nach dem Match prompt auf Englisch beantworte­te. Sie erfüllt eben nicht alle Erwartunge­n um jeden Preis. Hier in Tokio allerdings auch die sportliche­n nicht.

Und die japanische­n Medien verharrten erst mal in Schockstar­re. Anstatt sich am Dienstag mit dem Scheitern des größten Stars auseinande­rzusetzen, wurde umso größer über die Erfolge in anderen Sportarten berichtet.

 ?? Foto: David Ramos, Getty ?? Naomi Osaka, die am Freitag noch das olympische Feuer entzündet hatte, bei ihrer überrasche­nden 1:6, 2:6‰Niederlage gegen die tschechisc­he Außenseite­rin Marketa Vondrousov­a im Achtelfina­le des Einzelwett­bewerbs.
Foto: David Ramos, Getty Naomi Osaka, die am Freitag noch das olympische Feuer entzündet hatte, bei ihrer überrasche­nden 1:6, 2:6‰Niederlage gegen die tschechisc­he Außenseite­rin Marketa Vondrousov­a im Achtelfina­le des Einzelwett­bewerbs.

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