Bisher 3800 Kilometer zurückgelegt
Spendenaktion Momentan sind die Unterallgäuer Rad-Nomadinnen Ana und Ida Lutzenberger in der Türkei. Schlechte Erfahrungen werden zu Highlights und ein Rathaus zur Teestube
Unterallgäu/Türkei Um die 3800 Kilometer durch mittlerweile acht Länder – diese Strecke haben Ana und Ida Lutzenberger nach eigenen Schätzungen bisher zurückgelegt. Bisher, das bedeutet seit dem 23. Mai dieses Jahres, als die beiden Schwestern mit ihren Fahrrädern von Schwaighausen aus in ein großes Abenteuer aufgebrochen sind. Ihr Ziel? Bis nach Peking radeln und auf dem Weg dorthin fleißig Spenden für den deutschen Verein SeaWatch sammeln. Für jeden Kilometer möchten die Mittzwanziger mit ihrer Aktion „Rette Rette Fahrradkette“einen Euro sammeln (wir berichteten).
In Karabük, einer Stadt nahe der Schwarzmeerküste im Norden der Türkei, ziehen sie Zwischenbilanz: „An Spenden haben wir jetzt fast 4000 Euro.“Auch sonst seien sie bis dato zufrieden, haben sie doch wie geplant innerhalb eines Monats Istanbul erreicht. „Seit der Türkei sind wir aber ziemlich langsam“, gibt Ana mit einem Lachen zu. Statt den zuvor täglich zurückgelegten 100 Kilometern am Tag würden sie inzwischen nur noch 50 bis 60 schaffen. Die Schwestern sehen dafür mehrere Gründe. Neben der Hitze mache ihnen die bergige Landschaft zu schaffen, täglich hätten sie fast immer 1000 Höhenmeter zu bewältigen. Außerdem erfahren die beiden eine außergewöhnlich herzliche Gastfreundschaft. „Das heißt, wir werden immer eingeladen und schlafen kaum noch in unserem Zelt, weil die Leute darauf bestehen, dass wir übernachten“, erzählt Ana. „Aber eigentlich ist das ja ein schöner Grund und da lässt man es gerne auch mal nicht nach Plan laufen“, fügt Ida den Worten ihrer Schwester hinzu.
Manchmal würden sie durch ihre Durchreise auch ganze Dörfer in Aufruhr versetzen, sagen sie. „Wir haben die Anwohner einer Gemeinde gefragt, wo der beste Platz zum Zelten wäre, weil in der Umgebung ziemlich viele Bären unterwegs sind und wir auf ihr Urteil vertrauen wollten“, sagt Ana. Da die Bewohner das Zelten in der Natur aber als zu gefährlich beurteilten, wurden die Deutschen kurzerhand zur Übernachtung im Garten eines Mannes eingeladen. Wie sich herausstellte, war dieser Mann der Imam der örtlichen Moschee. „Wir durften dann mit zum Abendgebet und danach waren die Einwohner ganz aufgeregt, sie haben sich deswegen sogar im Ortskern versammelt.“Es sei für sie nicht alltäglich, Touristen in ihrem kleinen Dorf zu sehen, erklärt Ida, vor allem nicht mit bunt beklebten Fahrrädern.
„Shauni“und „Eddie“– wie Ana und Ida ihre Fahrräder liebevoll nennen – haben die Reise bis jetzt auch gut überstanden. Der typische Platten ist ausgeblieben, dafür ist ein Mal die Kette gerissen. Aber das hätten sie einfach selbst repariert, erzählt Ana. Ganz nach dem Motto rette, rette mal schnell die eigene
Fahrradkette. Aber die Gast- und Hilfsbereitschaft war nicht nur in der Türkei groß. Am rumänischbulgarischen Grenzfluss, der Donau, erlebten Ana und Ida eine unerwünschte Überraschung: „Als wir mit der Fähre – auf die wir übrigens zwei Stunden gewartet hatten – in Bulgarien angelangt waren, wiesen uns die Grenzbeamten ab und wir mussten wieder zurück.“
Begründet wurde dies mit der Behauptung, dass es an diesem Grenzübergang auf bulgarischer Seite keinen Arzt gäbe. Das bedeutete 100 Kilometer Umweg für die Radlerinnen, auf der Rückfahrt sank die Stimmung dementsprechend rapide. „Glücklicherweise haben wir dann sechs iranische Lkw-Fahrer getroffen, die das Bedürfnis hatten, uns zu trösten“, berichten sie mit einem Schmunzeln. Ehe die Schwaighauserinnen sich versahen, stand ein kleines Buffet und frisch gekochter Çay vor ihnen. „Da hat sich das Downlight am Ende des Tages zu einem absoluten Highlight gewendet“, findet Ana. Und dieser ÇayTee, der im südasiatischen Raum ein beliebtes Getränk ist, verfolgte die beiden bis in die Türkei. Ida berichtet von einem anderen amüsanten Höhepunkt.
„Hier in dieser Gegend findet man meistens in der Mitte des Dorfes eine Art Café, in dem es aber nur Çay gibt, ein Çay-Haus sozusagen.“Also hätten die beiden an einem verregneten Tag eine „Çay-Pause“einlegen wollen und seien in das Zentrum der kleinen Siedlung gelaufen, um besagtes Çay-Häuschen zu suchen. „Allerdings hat sich unsere Bedienung etwas merkwürdig verhalten. Er ist nicht in das Haus, sondern immer wo anders hingelaufen, um unsere Bestellung zu holen.“
Erst einige Zeit später merkten Ana und Ida, dass sie nicht im „ÇayHaus“, sondern im Rathaus mit dem Bürgermeister als Kellner eingekehrt waren. Aber dieser habe es mit Humor genommen und sich rund vier Stunden mit den deutschen Reisenden unterhalten. „Am Ende hat er sich als Çay-Präsident bezeichnet, das war schon sehr lustig.“
Allerdings gibt es auch Regentage – und das sowohl im wörtlichen, als auch im übertragenen Sinn. „Erschreckt hat uns, dass die Route, die wir hier abfahren, die von Tausenden Geflüchteten ist.“Die Schwestern schildern, dass der Balkan gegenüber Menschen aus Syrien und Afghanistan sehr negativ eingestellt sei. „Und da zu wissen: Wenn die hier entlang kommen, werden die eben nicht so gut behandelt wie wir, das war ziemlich traurig für uns.“Es habe ihnen erneut gezeigt, dass ihr Vorhaben und die Spendenaktion richtig seien.
Und auch wenn der Alltag hauptsächlich Fahrradfahren, tägliches Wäsche waschen und Leben im „Nomadenstil“sei: „Bis jetzt macht es uns noch sehr viel Spaß.“
» Wer Ana und Ida auf ihrer Reise verfol gen möchte, kann dies auf Instagram unter @rette_rette_fahrradkette tun.