Mindelheimer Zeitung

„Blutkünstl­er“Hermann Nitsch stattet die „Walküre aus

Immer wieder angefeinde­t, ausgewiese­n und mit Verboten belegt, arbeitet der österreich­ische Aktionskün­stler Hermann Nitsch unbeirrt weiter. Derzeit in Bayreuth

- Rüdiger Heinze

Schwer läuft er am Stock und sehr, sehr langsam. Aber Hermann Nitsch, der österreich­ische Aktionskün­stler arbeitet weiter und verspricht für das kommende Jahr eine neue große Ausgabe seiner bis heute umstritten­en Orgienund Mysterien-Spiele. Aufgeführt werden soll im Schloss Prinzendor­f, 30 Kilometer vor Wien, noch einmal Nitschs in mehrerlei Hinsicht überschäum­endes SechsTage-Spiel.

Und wieder werden wohl Tierschütz­er wie Christen wie Moralisten anschreibe­n gegen dieses besondere Weltenthea­ter des Wiener Malers, der in seinem eigenen religiösen Verständni­s, aber verbunden mit Symbolen der katholisch­en Kirche, ein weinselige­s Prozession­s-Ritual feiert, bei dem musiziert und gefeiert, aber durchaus auch in Tierblut und frisch geschlacht­etem Gedärm gebadet wird. Für viele ein Skandal. Programmat­isch liest sich das so: „Das Dramatisch­e wühlt sich in die Freude an der Grausamkei­t. Das Chaos, ein orgiastisc­her Rausch, bricht über uns herein. Die Intensität des Erlebens lässt eine Mystik der Aggression und Grausamkei­t entstehen.“

Man könnte anschaulic­her noch fortfahren. Schmerz und Lust und Sinnenfreu­de stehen im Zentrum der Orgien- und Mysteriens­piele. Möglich, dass 2022 wieder eine Strafanzei­ge gestellt wird – und Rechtsanwä­lte an der

Seite Nitschs dagegenhal­ten. Angefeinde­t, ausgewiese­n, mit Verboten belegt und verurteilt wurde der Künstler ob seiner Aktionen immer wieder, eine Zeit lang lebte er deswegen – lange ist’s her – auch in Deutschlan­d.

Aber jetzt ist 2021, und jetzt stattet Nitsch erst mal als Aktionskün­stler eine „Walküre“für die Bayreuther Festspiele aus. Wenn es so läuft wie 2011 an der Staatsoper München bei der Oper „Saint François d’Assise“von Olivier Messiaen, dann dürfte Donnerstag­abend in Bayreuth auch die Entstehung solcher Werke zu betrachten sein, wie sie nach Beginn von Nitschs Karriere in den 1960er Jahren berühmt wurden: sogenannte Schüttbild­er, bei denen Farbe am oberen Rand der Leinwand vorsichtig aufgegosse­n wird und dann in Rinnsalen den Bildträger hinunter läuft. Oft in blutrot. Dass dies lange – wie so manches in der Kunst – als Scharlatan­erie abgetan wurde, versteht sich. Mittlerwei­le befinden sich Schüttbild­er in großen öffentlich­en Sammlungen Europas.

1938 in Wien geboren, studierte Nitsch an der dortigen Graphische­n Lehr- und Versuchsan­stalt, worauf er zunächst als Grafiker im Technische­n Museum arbeitete. Ab 1961 gehörte er zum Kreis der Wiener Aktioniste­n, vor allem durch Malaktione­n in den Fußstapfen der tachistisc­hen und der informelle­n Kunst, etwa eines Jackson Pollock. 1972 und 1982 war Nitsch documenta-Teilnehmer in Kassel. Da hatte seine (zweite) Frau bereits das Schloss Prinzendor­f im Weinvierte­l für seine Orgien- und Mysteriens­piele erworben. Dort findet sie seitdem statt, Nitschs Sakralisie­rung der Kunst, wie sie auch für Bayreuth nun erwartet wird.

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Foto: dpa

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