Skandal um ExRichter
Bildung Richard Reischl, Bürgermeister des kleinen Ortes Hebertshausen im Landkreis Dachau, kritisiert die Schul-Strategie der Staatsregierung für den Herbst. Das Echo ist riesig. Schon einmal brachte er die CSU zum Umdenken
Der 59-Jährige aus Augsburg galt als Vorzeigebeamter. Bei einem ehemaligen Richter wurden über 4000 Dateien mit kinderpornografischem Inhalt gefunden. Manche stammen aus Strafakten.
Hebertshausen Richard Reischl hat es schon einmal geschafft. Im Jahr 2018 verfasste der Bürgermeister von Hebertshausen im Landkreis Dachau ein offenes Schreiben: „Brief an meine CSU“überschrieb er die Zeilen und forderte von der Partei mehr Humanität in der Flüchtlingsfrage. Der Brief sprach vielen an der Parteibasis aus der Seele. Reischl, selbst wie gesagt Christsozialer, bekam damals Tausende Reaktionen – und im Anschluss rüstete seine Partei beim Sprechen über Asylbewerberinnen und -bewerber tatsächlich verbal ab, so wie er es gewollt hatte.
Jetzt findet Reischl wieder einmal klare Worte: Diesmal geht es ihm um Bayerns Kinder und Jugendliche. Genauer: Um die Luftfilter, die sie ab Herbst in jedem Klassenzimmer und jedem Kitaraum schützen sollen. Diesen Auftrag hat die Staatsregierung Ende Juni den Kommunen übertragen. Auf Facebook arbeitet sich der Bürgermeister der 5000-Einwohner-Gemeinde an der vom Freistaat zugesicherten Förderung für die Geräte ab. Sein Urteil ist hart und deutlich: Wie befürchtet sei es eine „Mogelpackung, undurchschaubar und von vorne bis hinten nicht durchdacht“.
Im Gespräch mit unserer Redaktion konkretisiert Reischl, selbst Familienvater und seit sieben Jahren im Amt, was ihn so aufregt. Am meisten vermisst er eine Information dazu, „ob nach der Anschaffung garantiert Unterricht stattfinden darf, unabhängig von Inzidenzen im Landkreis. Was passiert in den Schulen, wenn wir über 100 oder gar noch höher liegen im Herbst?“Dazu habe er weder aus der Staatskanzlei noch vom Kultusministerium bisher auch nur einen einzigen Satz gehört.
Es sei die größte Befürchtung der Eltern, dass sie im Herbst wieder mit ihren Kindern zu Hause säßen. „Ich sehe es nicht ein, dass ich mehrere hunderttausend Euro ausgebe für Geräte und dann den ganzen Herbst über wieder die Schule zugesperrt wird, weil die Inzidenz nicht passt. Wozu habe ich die Geräte dann? Dass der Hausmeister bei seinem täglichen Rundgang eine saubere Luft hat?“
In Schwaben fällt die Reaktion der Kommunen auf die Anweisung von Ministerpräsident Markus Söder unterschiedlich aus. Augsburg etwa will zunächst 750 Geräte vorzugsweise leasen. Der Kreis Günzburg hat die entsprechenden Aufträge schon ausgeschrieben. Andere Kommunen halten sich wegen ungeklärter Fragen zu Wirksamkeit und Finanzierung der elektrischen Luftaustauscher noch zurück – auch Hebertshausen. Ob die Geräte rechtzeitig ankommen, wird nahezu überall bezweifelt.
Bürgermeister Reischl glaubt nicht, dass zu Beginn des neuen Schuljahres neben den Lehrkräften auch die Luftfilter überall die Arbeit aufnehmen. Er erklärt das anhand seiner Gemeinde: „Für unsere fünf Kitas sowie die Grund- und Mittelschule bräuchten wir etwa 100 Geräte.“Das gelte aber nur, wenn ein Filter pro Zimmer ausreiche. Allerdings würden in Klassenzimmern wohl bis zu drei Geräte gebraucht, um die geforderte Luftreinigung des Raumes zu erreichen und dabei eine gewisse Lautstärke nicht zu überschreiten. „Gefördert wird aber pro Raum nur ein Gerät“, beklagt der Kommunalpolitiker. Der Freistaat übernimmt den neuen Förderrichtlinien nach auch nicht wie zunächst angekündigt 50 Prozent der Kosten, sondern maximal 1750 Euro. Die Kosten eines Luftfilters beziffert
Reischl auf 4000 bis 6000 Euro. Solche Summen müssten im Nachtragshaushalt genehmigt und je nach Betragshöhe europaweit ausgeschrieben werden. Schon jetzt seien bei vielen Firmen Lieferschwierigkeiten absehbar. Wann die Lüfter da sein können? „Da sprechen wir locker vom Frühjahr“, vermutet er.
Mit seinen Befürchtungen steht Reischl nicht alleine da. Auch die Kommunalverbände beklagen seit Wochen ungelöste „Praxisprobleme“, wie Gemeindetagssprecher Wilfried Schober es nennt. Die Staatsregierung sei mit ihrer Forderung nach Luftfiltern zu Beginn des nächsten Schuljahres viel zu spät dran gewesen. „Wenn man das möchte, hätte man es vor Monaten klären müssen.“Sein Verband wolle die Maßnahme nicht schlechtreden. „Die Politik ist guten Willens, für die Schüler etwas zu tun, die noch nicht geimpft sind.“Man wisse aber nach wie vor nicht, welche Geräte geeignet seien. Schober berichtet von Befürchtungen bayerischer Elternbeiräte, dass die Filter ihrem Nachwuchs eher schaden, als ihn zu schützen.
Dass mobile Luftreinigungsgeräte die Infektionsgefahr für Schülerinnen und Schüler verringern können, bestätigt zwar mittlerweile eine ganze Reihe von Studien – zum Beispiel die der Aerosolforscher um Christian Kähler von der Universität der Bundeswehr in München. Mit mobilen Raumluftreinigern, so sagte er schon im Herbst 2020, könne man das indirekte Infektionsrisiko in Schulen „nahezu ausschließen“. Entscheidend ist ihm zufolge jedoch, dass die Geräte groß genug sind und sie die Luft mindestens sechs Mal pro Stunde austauschen – und dass sie richtig betrieben werden.
Gerade im Betrieb und bei der Wartung sieht Bürgermeister Reischl Probleme: Die Wartungskosten pro Gerät belaufen sich ihm zufolge zukünftig auf bis zu 1000 Euro pro Jahr. Dafür sei bislang keine Förderung durch den Freistaat versprochen. Reischl stört das: „Ich möchte eine Garantie, dass ich künftig keinen Elektroschrott in den Kitas und Schulen stehen habe.“Bislang hat die Staatsregierung auf seinen Facebook-Beitrag noch nicht reagiert.