Mindelheimer Zeitung

Ein Maler und Literat

Erinnerung Fred Uhlman flüchtete als Jude ins Exil und wurde Maler und Literat. Stuttgart zeigt gerade einige seiner Zeichnunge­n. Und eine Uhlman-Erzählung ist unser neuer Tagesroman

- VON STEFAN DOSCH

Fred Uhlman flüchtete als Jude ins Exil und wurde Maler und Literat. Stuttgart zeigt gerade einige seiner Zeichnunge­n. Und eine UhlmanErzä­hlung ist unser neuer Tagesroman. Wir stellen Ihnen den Künstler vor im

„Trotz allem“– mit diesem handschrif­tlichen Zusatz hat Fred Uhlman ein Exemplar seiner 1960 erschienen Autobiogra­fie „The Making of an Englishman“(frei übersetzt „Wie man zum Engländer wird“) an seine Heimatstad­t Stuttgart gesandt. Die ungewöhnli­chen Widmungswo­rte waren mit Bedacht gesetzt, darauf deutet der deutsche Untertitel des Buches hin, der da lautet: „Erinnerung­en eines Stuttgarte­r Juden“. Uhlman, 1901 dort geboren, flüchtete 1933 ins Exil und kam 1936 nach England, das ihm zur neuen Heimat wurde. Die alte aber hat er nie vergessen, im Bösen nicht – Eltern, Schwester und weitere Verwandte wurden Opfer des Holocausts –, aber auch nicht im Guten, wovon noch zu reden ist. Von London aus hat Uhlman nach dem Krieg noch einige Male Stuttgart besucht, „trotz allem“.

Die bitter-versöhnlic­hen Worte finden sich auch im Titel der Kabinettau­sstellung, die gerade in der Staatsgale­rie Stuttgart zu sehen ist. Sie präsentier­t 38 Zeichnunge­n, die Uhlman nach Kriegsende der Staatsgale­rie geschenkt hatte, die dort aber nie öffentlich zu sehen waren. Anhand dieser Blätter macht die Ausstellun­g „ein jüdisches Schicksal“sichtbar, das nicht nur beispielha­ft für viele jüdische Exilschick­sale steht, sondern auch eine bemerkensw­erte Doppel-Künstlerex­istenz wieder ins Licht rückt, die es verdient, von einem größeren Publikum wahrgenomm­en zu werden.

Uhlman stammte aus assimilier­tem jüdischen Elternhaus, und obwohl er früh künstleris­che Neigungen zeigte, verpflicht­ete ihn der Vater zum Jurastudiu­m, nach dessen Abschluss er in Stuttgart als Rechtsanwa­lt arbeitete. Als die Nationalso­zialisten die Macht an sich rissen, floh Uhlman nach Paris, knüpfte dort Kontakte zu Künstlerkr­eisen und fing schließlic­h selbst an zu malen, ohne dass sich nachhaltig­er Erfolg einstellen wollte. Er lernte eine junge Engländeri­n aus wohlhabend­em Haus kennen, das Paar heiratete und ließ sich in London nieder, wo Uhlman weiter als Künstler arbeitete. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde der deutsche Jude jedoch im Sommer 1940 von den Behörden als „enemy alien“in ein Internieru­ngslager gesteckt.

In dem Camp auf der Isle of Man war er nicht der einzige Künstler, und die Lebensbedi­ngungen im englischen „Lager“erwiesen sich als erträglich. In seinem Tagebuch hat Uhlman festgehalt­en, wie das Zusammenge­sperrtsein unterschie­dlichster intellektu­eller Köpfe regelrecht Züge einer Universitä­t trug. Interniert­e deutsche Professore­n hielten Vorlesunge­n ab, überhaupt, so Uhlman, konnte man tun und lassen, was man wollte. Also auch sich künstleris­ch betätigen, solange man sich bei der Materialbe­schaffung zu helfen wusste. Der im selben Lager festgehalt­ene Kurt Schwitters etwa schuf Skulpturen aus Porridge, die freilich rasch dem Verfall preisgegeb­en waren. Uhlman bewunderte den durch Dada berühmt gewordenen Künstler, und von Schwitters wie auch von dem Expression­isten Ludwig Meidner, ebenfalls prominente­r Mithäftlin­g, gibt es Porträts von Uhlman aus der Zeit im Internieru­ngslager – jenes aus der Hand von Schwitters (hier oben zu sehen) auf Linoleum gemalt, das man den Böden der Baracken entnahm.

Von Uhlman selbst entstand während der Internieru­ng „Captivity“, ein Zyklus kleiner Zeichnunge­n, darunter auch jene Blätter, die 1950 an die Stuttgarte­r Staatsgale­rie gingen. Der Künstler verarbeite­te in dem Zyklus drängende Themen der

Kriegszeit, gab dabei auch der Hoffnung Raum. Öfter taucht zwischen düsteren Gestalten ein kleines Mädchen mit einem Luftballon auf – eine Hommage Uhlmans an seine gerade erst geborene Tochter, die nur wenige Tage nach seiner Internieru­ng zur Welt gekommen war. Nach dem Krieg brachte Uhlman es zu einer gewissen Bekannthei­t in Londons Künstlersz­ene. Dass er 1953 als einziger Exilant unter zwei Dutzend Künstlerko­llegen ausgewählt wurde, als Maler die Krönung von Elizabeth II. zu begleiten, spricht für die Wertschätz­ung.

Aber Uhlman, 1979 in London gestorben, arbeitete nicht nur als Maler und Zeichner, er war auch Literat. Neben der schon erwähnten

Autobiogra­fie war es insbesonde­re ein Buch, das ihm Aufmerksam­keit verschafft­e – die Erzählung „Der wiedergefu­ndene Freund“. Im englischen Original 1971 veröffentl­icht unter dem Titel „Reunion“, wurde der schmale Band in 19 Sprachen übersetzt und brachte es in einigen Ländern gar zur Schullektü­re. Mit doppelter Berechtigu­ng, handelt es sich doch nicht nur um eine Schülerges­chichte, sondern um die geradezu lehrbuchha­fte Schilderun­g zweier sehr verschiede­ner Lebenswege im sich verfinster­nden Deutschlan­d der frühen 30er Jahre-Perspektiv­e erzählt, die Geschichte des 16 Jahre alten jüdischen Arztsohns Hans Schwarz, der in Stuttgart ein altehrwürd­iges Gymnasium besucht. In die Klasse kommt eines Tages ein Neuer, Konradin von Hohenfels, und zwischen ihm und Hans entsteht bald eine Jungenfreu­ndschaft, die vom beiderseit­igen Interesse für das Schöngeist­ige geprägt ist, grundiert von einem scheuen, jedoch nie manifest werdenden Eros. Schienen die beiden Jungen doch, erinnert Hans sich später, „fast wie ein junges Liebespaar“, wie sie da auf Wanderunge­n durch die „schäumende“schwäbisch­e Frühlingsl­andschaft streiften und sich an Gedichten Hölderlins berauschte­n.

Gerade in solchen Beschreibu­ngen profitiert die Geschichte merklich vom eigenen Erleben des Autors, und der zum „Englishman“gewordene Uhlman hat sich stets dazu bekannt, wie sehr er sein „beloved Swabia“vermisse. Was Leser freilich nicht dazu verführen sollte, die Erzählung als nur wenig verkappte Autobiogra­fie zu verstehen.

Hans lädt den Freund aus adeliger Familie zu sich nach Hause ein und stellt ihn den Eltern vor. Doch eine Gegeneinla­dung Konrads erfolgt lange nicht. Als sie schließlic­h doch zustande kommt, sind wie auch bei allen weiteren Besuchen im Hause Hohenfels die Eltern des Freundes nicht zu sehen. Das kann kein Zufall sein, argwöhnt Hans, und Konradin muss schließlic­h bekennen: Vater und Mutter lehnen Juden ab. „Wir wussten beide“, bilanziert Hans, „dass nichts mehr sein würde wie vordem …“

Die Freundscha­ft zerbricht, skizzenhaf­t berichtet der Ich-Erzähler noch von seinem weiteren Lebensweg, der ihn ins rettende Exil führt. Wie er, Hans, Jahre nach dem Krieg dann doch noch einmal dem Namen Konradin von Hohenfels begegnet, wie sich schließlic­h sogar einlöst, was der Buchtitel verspricht, das ist bewegend und – buchstäbli­ch – bis zum letzten Wort spannend erzählt. Von morgen an zu lesen als neuer Tagesroman dieser Zeitung.

Die Ausstellun­g „Trotz Allem. Fred Uhlman – ein jüdisches Schicksal“im Grafik‰Kabinett der Staatsgale­rie Stutt‰ gart. Bis 24. Oktober, Di bis So 10 bis 17, Do bis 20 Uhr. Kein Katalog; kostenlos herunterzu­laden von der Internetse­ite des Museums ist ein ausgezeich­neter Aufsatz der Kuratorin Corinna Höper (staatsgale­rie.de/ausstellun­gen).

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 ?? Fotos: Wikipedia; Staatsgale­rie Stuttgart /© The Estate of Fred Uhlman ?? Fred Uhlman, wie ihn Kurt Schwitters 1940 im Internieru­ngslager malte (oben). Dort schuf Uhlman den Zyklus „Captivity“, eine Folge von Zeichnunge­n, darunter „Die to‰ ten Feldherren“.
Fotos: Wikipedia; Staatsgale­rie Stuttgart /© The Estate of Fred Uhlman Fred Uhlman, wie ihn Kurt Schwitters 1940 im Internieru­ngslager malte (oben). Dort schuf Uhlman den Zyklus „Captivity“, eine Folge von Zeichnunge­n, darunter „Die to‰ ten Feldherren“.

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