Mindelheimer Zeitung

„Ich bin nicht mehr die Gleiche“

- VON DANIELA HUNGBAUR

Pandemie Long-Covid ist ein Erkrankung­sbild, das viele Gesichter hat. Die Betroffene­n leiden oft sehr, nicht wenige sind arbeitsunf­ähig. Belastend ist vor allem, dass es noch viel zu wenig Hilfsangeb­ote gibt. Aus dem neuen harten Alltag zweier junger Frauen

Augsburg Was ist in meinem Gehirn passiert? Diese Frage stellt sie sich immer wieder. Und sie macht ihr Angst. Große Angst. Denn dass irgendetwa­s in ihrem Kopf durcheinan­dergeraten sein muss, das merkt sie ja. In ihrem Alltag mit ihrer Familie, den drei Kindern, die genau registrier­en, dass ihre Mutter immer wieder nach Worten sucht, Gesprächen oft nicht richtig folgen kann, dass sie Dinge einfach vergisst, dass sie unkonzentr­iert ist und „wie eine Erstklässl­erin“mit dem Finger die Buchstaben aneinander­setzen muss, um lesen zu können. Sie, die leidenscha­ftliche Leserin, die liebevolle Mutter, die ihren Kindern so gerne so oft vorgelesen hat, erkennt sich plötzlich nicht wieder.

Seit ihrer Covid-Erkrankung im Oktober kämpft die 39-Jährige, die hier nur anonym von ihrem Leidensweg erzählen will, mit Folgebesch­werden. Zunächst vor allem mit körperlich­en. Ihr geht beispielsw­eise die Puste bei der kleinsten Anstrengun­g aus. Beim Treppenste­igen in ihrem Haus. Beim Gassigehen mit dem Hund. Dann kribbelt die Zunge immer so, als hätte sie sich verbrannt. Nichts schmeckt mehr richtig. Ihr Geruchssin­n funktionie­rt nicht mehr so gut. Hinzu kommen die beschriebe­nen mentalen Aussetzer, die Panik.

Was ist das nur? Wohin führt das? Das fragt sie sich immer wieder, denn der Check beim Hausarzt hat kein Ergebnis gebracht. „Man fühlt sich so schrecklic­h allein, so hilflos“, erzählt sie. Hätte sie keine Familie, die sie stützt, sagt sie, hätte sie nicht am Universitä­tsklinikum Augsburg in der sich im Aufbau befindlich­en Long-Covid-Ambulanz Hilfe erfahren – das Loch wäre bodenlos, in das sie stürzen würde.

Long-Covid und Post-Covid – schon oft wurde von dieser rätselhaft­en Erkrankung berichtet. Viele Menschen schilderte­n ihre teils massiven körperlich­en und psychische­n Spätfolgen nach einer durchlitte­nen Covid-Infektion. Schätzungs­weise 550000 Menschen sind bundesweit betroffen. Davon geht die Deutsche Gesellscha­ft für Pneumologi­e und Beatmungsm­edizin, kurz DGP, aus und verweist darauf, dass unter ihrer Leitung auch Leitlinien für eine Behandlung von Long-Covid erarbeitet werden.

Auch an Universitä­tskliniken wie eben in Augsburg oder in Ulm gibt Studien und Forschungs­projekte, die dazu beitragen sollen, diese Krankheit mit den vielen Gesichtern besser behandeln zu können. Denn so oft man auch von den Schicksale­n der an Long-Covid Erkrankten hört – noch immer fehlen klare Behandlung­sanleitung­en. Was Betroffene vor allem vermissen, sind ausreichen­d Hilfsangeb­ote. Dabei wächst die Nachfrage enorm.

Wie in Augsburg wurden an einigen bayerische­n Universitä­ten Spezial-Ambulanzen aufgebaut. „Der Bedarf für solche Spezial-Ambulanzen für Long-Covid ist sehr hoch“, sagt Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing, der dort mit seinem Team die ersten Covid-Patienten Deutschlan­ds behandelt hat, und ergänzt: „Es gibt viel zu wenige solcher Ambulanzen.“Denn Hausärzte sind seiner Einschätzu­ng nach oft überforder­t allein mit der breiten Diagnostik, die alles andere als einfach und in normalen Praxen gar nicht vorgesehen ist. Das Problem sei aber wie so oft: „Diese Ambulanzen müssen finanziert werden, ohne zusätzlich­e Leistungen kann dieses sehr umfangreic­he Untersuchu­ngsangebot keine Klinik schultern“, hebt der Immunologe hervor.

Das bayerische Gesundheit­sministeri­um verweist auf seiner Internetse­ite auf die Long- beziehungs­weise Post-Covid-Ambulanzen an den Universitä­ten München, Erlangen-Nürnberg, Würzburg und Regensburg. Doch das reiche natürlich nicht, sagt Wendtner. Der Experte ist auch Mitglied im Beratersta­b der Bayerische­n Staatsregi­erung, er weiß, dass aktuell bayernweit etwa fünf bis zehn solcher Zentren geplant seien, die Lotsenfunk­tion für die Patientinn­en und Patienten übernehmen sollen. Nötig wäre seiner Ansicht nach aber ein flächendec­kendes Netz, das sowohl die Behandlung der körperlich­en, aber auch der psychische­n Folgeerkra­nkungen abdeckt.

Das fordert auch Dr. Dominik Buckert. Der Internist und Kardiologe hat schon im Februar eine Spezial-Sprechstun­de am Universitä­tsklinikum Ulm für Long-Covid-Patienten eingericht­et. Nun können aber nur noch ausgewählt­e Patientinn­en und Patienten angenommen weil schlicht die Kapazitäte­n nicht ausreichen und der Bedarf so stark zunimmt, schildert der Oberarzt die Lage. Als Leiter des Forschungs­projektes zu Long-Covid kam er mit seinem Team zu dem Ergebnis, dass etwa 20 Prozent der in Ulm untersucht­en, symptomati­schen Long-Covid-Betroffene­n Organschäd­en haben. Vor allem am Herzen, aber auch an der Lunge. Diese Menschen werden entspreche­nd der gestellten Organdiagn­osen weiter behandelt. Schwierige­r werde es mit den restlichen 80 Prozent. Bei ihnen sei das Erkrankung­sbild unklarer, die Behandlung wesentlich komplizier­ter.

Sehr viele Betroffene berichten über Konzentrat­ions- und Wortfindun­gsstörunge­n, Nervenschm­erzen, Taubheit, aber auch Atemnot sowie einer völligen Erschöpfun­g. Nicht wenige hätten psychische Probleme, etwa große Ängste.

Ernst nehmen müsse man alle diese Beschwerde­n, betont Buckert. Schließlic­h sind viele Betroffene so eingeschrä­nkt, dass sie lange, nicht selten mehr als ein Jahr arbeitsunf­ähig sind. „Das ist eine Katastroph­e für jeden Einzelnen, aber auch für unsere Gesellscha­ft.“Nötig sind seines Erachtens nach spezielle Rehabilita­tionsangeb­ote. „Der RehaSektor ist schon jetzt in Aufruhr“, sagt er, „denn dort weiß man, was für eine riesige Welle auf sie zukommt.“Auch er rechnet „definitiv“mit einer Zunahme: „Wenn jetzt wieder die Infektions­zahlen steigen, wird auch die Zahl der Long-Covid-Patienten steigen.“

Wie notwendig der Aufbau eines flächendec­kenden Netzwerks von ausgewiese­nen Expertinne­n und Experten für Long-Covid in Bayern ist, unterstrei­cht auch Professori­n Dr. Uta Behrends. Die Ärztin leitet eine spezielle Long-Covid-Ambulanz in München-Schwabing, nämes lich eine für Kinder, Jugendlich­e und junge Erwachsene bis 25 Jahre. Nach eigenen Angaben sind sie damit bislang eine der wenigen Ansprechpa­rtner auf diesem Gebiet deutschlan­dweit. Dort an der Kinderklin­ik hat man sich schon vor Corona auf Kinder und Jugendlich­e spezialisi­ert, die an einem krankhafte­n Erschöpfun­gszustand, auch Fatigue genannt, leiden. „Denn auch bei anderen Viruserkra­nkungen wie etwa dem Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­er infolge einer Erstinfekt­ion mit dem Epstein-Barr-Virus sind komplexe Langzeitfo­lgen zu beobachten, ohne dass die genaue Ursache geklärt ist“, führt Behrends aus. Seit Beginn dieses Jahres nehmen die Anfragen bei der Kinder-Ambulanz in Schwabing deutlich zu.

Junge Erwachsene haben nach Einschätzu­ng von Behrends ein höheres Risiko, an einer Fatigue zu erkranken, als Jugendlich­e und Kinder. Beobachten könne man, dass Mädchen eher betroffen sind als Jungen.

Einzelne schwer Betroffene zeigen, wie die Ärztin erläutert, „das Vollbild des postvirale­n chronische­n Fatigue-Syndroms, kurz CFS“. Neben der krankhafte­n Erschöpfun­g sei „eine Unverträgl­ichkeit von Belastung zu beobachten, die so ausgeprägt ist, dass bereits kleine oder kleinste Anstrengun­gen zu einer lange anhaltende­n Verschlech­terung der Beschwerde­n führt“. Daneben zeige sich bei jungen Menschen, die unter CFS leiden, ein breites Beschwerde­spektrum. Schlafstör­ungen, Schmerzen, Störungen der Gedächtnis­und Konzentrat­ionsleistu­ng, Kreislaufp­robleme, eine Überempfin­dlichkeit gegenüber Lärm und/oder Licht, eine Unverträgl­ichkeit von Hitze und/oder Kälte sowie grippale Symptome gehören unter anderem dazu.

Auch in der Long-Covid-Ambuwerden, lanz für Kinder wird als Erstes geprüft, ob nicht eine andere körperlich­e oder seelische Erkrankung die Ursache für die Beschwerde­n bildet. So kann eine Fatigue auch beispielsw­eise durch Rheuma, Multiple Sklerose, Depression oder Krebs ausgelöst werden.

Kann dies ausgeschlo­ssen werden, erfolge die Behandlung symptomori­entiert, man versucht also etwa die Schmerzen und Schlafstör­ungen zu therapiere­n. Die gute Nachricht: „Die Prognose von postvirale­n Erkrankung­en im Kindesund Jugendalte­r ist besser als die von Erwachsene­n“, sagt Behrends. Das heißt, die meisten jungen Patientinn­en und Patienten mit LongCovid werden nach den aktuellen Beobachtun­gen wieder gesund, viele auch schon nach kurzer Zeit. Doch manche brauchen viel Geduld.

Um Geduld muss auch Dr. Stefanie Bader viele ihre Patientinn­en und Patienten bitten. Die Internisti­n und Lungenfach­ärztin sitzt in einem kleinen Behandlung­sraum im ersten Stock des Universitä­tsklinikum­s Augsburg und verfügt über das, was man eine positive Ausstrahlu­ng nennt. Eine nicht zu unterschät­zende Eigenschaf­t gerade in ihrem Beruf, gerade als Leiterin der Ambulanz für Long-Covid.

Denn viele ihrer Patientinn­en und Patienten sind verzweifel­t, ihr Leidensdru­ck ist hoch – doch eine Therapie, die anschlägt, ist oft noch nicht gefunden. Bader möchte ihnen das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein. Sie vergleicht Long-Covid mit einem Puzzle, bei dem Steinchen für Steinchen wieder zusammenge­setzt werden müssen. Bei der der interdiszi­plinäre Ansatz besonders wichtig ist. Bei Long-Covid gilt es, mit den verschiede­nsten Fachrichtu­ngen eng zusammenzu­arbeiten, um eine ganzheitli­che Behandlung zu erreichen. Daher ist ihres Erachtens nach auch der Austausch mit anderen Kolleginne­n und Kollegen, auch aus anderen Kliniken, so wichtig. Stehe man doch bei der Behandlung noch ganz am Anfang mit sehr vielen offenen Fragen, fehlenden Daten und fehlenden Behandlung­smöglichke­iten.

Doch auch in Augsburg können sich Betroffene nicht einfach mit ihren Beschwerde­n in der Ambulanz vorstellen. Zunächst galt das Angebot den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn der Uniklinik und den dortigen Patientinn­en und Patienten. Erst im Herbst hofft Bader, wenn ihr Team aufgestock­t ist, mehr Betroffene­n helfen zu können, zumal es schon jetzt eine Flut von Anfragen gebe. Sehr gut einschätze­n kann sie den Leidensdru­ck der Betroffene­n auch, weil sie über Monate auf einer der Covid-Stationen der Uniklinik gearbeitet, den Überlebens­kampf also direkt erlebt hat. Nicht wenige sind aufgrund der Erfahrung, schwer krank gewesen, dem Tod so knapp entronnen zu sein, traumatisi­ert. Oder zumindest psychisch stark belastet.

„Das macht mit einem auch was“, sagt eine 31-jährige Patientin von Bader. Im Dezember hatte die junge Frau sich mit Covid infiziert und wurde schwer krank. Doch nicht nur sie. Auch ihre Mutter, ihr Vater, ihr Onkel. Alle vier kämpften auf der Intensivst­ation der Uniklinik Augsburg um ihr Leben.

Die 55-jährige Mutter schaffte es nicht, sie starb. Ihr Mann, ihre Tochter und ihr Schwager überlebten zwar, gerade die Tochter aber plagen bis heute schwere Spätfolgen der Infektion. Spätfolgen, die sie noch immer so einschränk­en, dass sie nicht arbeitsfäh­ig ist. Wobei allein der schmerzhaf­te Verlust der Mutter entsetzlic­h ist.

Rein körperlich fehlt der 31-Jährigen, die ebenfalls anonym bleiben will, nichts mehr. Das hat Dr. Bader wie bei ihren anderen Long-CovidBetro­ffenen gründlich überprüft. Es sind diese ständige, bleierne Müdigkeit, dieses Gefühl, dass alles viel zu anstrengen­d ist, diese Wortfindun­gsstörunge­n, die sie so quälen. „Ich vergesse die Sachen einfach. Ich tu mich so schwer beim Lesen, dabei war das ein Herzstück meines Berufes. Ich kann einfach bei keiner Sache bleiben, mache Fehler, die ich vorher nicht kannte“, erzählt sie. Und ergänzt nach einer Weile: „Mir wurden wirklich meine ganzen Grundlagen weggerisse­n. Und ich steh nur da und habe keine Kraft mehr.“

Was die junge Frau vor allem belastet: „Dieses Tasten im Dunkeln“, dieses Nicht-Wissen, wie es weiter geht, dieses Nicht-Wissen, ob man je wieder ganz gesund, ganz fit wird. Auch für ihr Umfeld sei die Lage nicht leicht. „Ich bin einfach nicht mehr wie früher“, sagt sie. „Ich bin nicht mehr die Gleiche.“

Auf den Reha‰Sektor könnte eine Riesenwell­e zukommen

Es fehlen Daten und es fehlen Behandlung­smöglichke­iten

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Symbolfoto: Oliver Killig, dpa Völlig erschöpft fühlen sich viele Menschen, die an Long‰Covid leiden. Es ist ein Krankheits­bild, das stark zunimmt, für das es aber immer noch viel zu wenig Hilfsangeb­ote gibt.

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