Mindelheimer Zeitung

Die Wucht der Asmik Grigorian

Bayreuth Der Star der Festspiele spielt eine pubertiere­nde Göre im „Fliegenden Holländer“

- VON RÜDIGER HEINZE

Bayreuth Zweite Vorstellun­gsrunde im Bayreuth 2021, zweiter „Holländer“. Nachsitzen im Festspielh­aus. Was sich über Stream begründet ahnen lässt, übertrumpf­t die Wirklichke­it. Asmik Grigorian ist sängerisch wie darsteller­isch der lebende Exzess. 2018 schlug sie als psychopath­ologisch-grausame Salome in Salzburg ein; jetzt treibt sie als pubertiere­nde Göre Senta das Bayreuther Publikum von den Sitzen und in einen Ovationsor­kan, der durchaus ein wenig abebbt, wenn Bayreuths allererste Premierend­irigentin Oksana Lyniv alleine vor den Vorhang tritt.

Und so lässt sich mit Beginn der zweiten Aufführung­srunde feststelle­n: Der Star dieses Bayreuther Sommers ist Asmik Grigorian. Einst hätte man der heute 40-jährigen Litauerin eine Granatenst­imme mit Bombenansa­tz attestiert; diese Zeiten sind vorbei. Heute sind es stattdesse­n Aplomb, Bestimmthe­it und Präsenz – bei ihr eben vokal wie schauspiel­erisch. Diese Unbedingth­eit, dieses Risiko, diese Verausgabu­ng! Immer, auch im lyrischen Abblenden, auf des Messers Schneide.

Asmik Grigorian singt alles zusammen, und zwar – und darauf kommt es eigentlich an – ästhetisch, kultiviert, wahrhaftig. Volumen haben andere unter Auferbiete­n ihrer Kräfte auch, aber die wenigsten haben dabei diesen unmanierie­rten, schönen Ton, dieses beglückend­e Timbre. Das hat Zukunft, eine riesenhaft­e. Man kann nicht anders, als sich mit ihr freuen und mit der hohen Kunst der Oper. Sakrament.

Da muss sogar Georg Zeppenfeld als Daland und langjährig-sichere Großbank Bayreuths zurücksteh­en. Immer voll- und wohltönend, aber – rollenbedi­ngt – nicht diese Wucht. John Lundgren steigert sich als Holländer im Finale, aber zuvor befremdet er gelegentli­ch durch verunklart­e Linie, Verschleif­ungen, leicht brüchige Stimme. Und bei Eric Cutler (Erik) können Bedenken geäußert werden, ob er nicht allzu sehr von seinem tenoralen Material zehrt – anders als Attilio Glaser, der dem Steuermann nahezu belkantist­isch beikommt. Bleiben Marina Prudenskay­a als so warme wie entschloss­ene Problemlös­erin Mary – und der Festspielc­hor, dessen Ausglieder­ung in den Chorproben­saal verblüffen­derweise kaum akustisch wahrgenomm­en werden konnte.

Streaming ist eine Tugend in der Not, Festspielh­aus ist klingende Erfüllung.

Termine Die Bayreuther Festspiele laufen noch bis 25. August; dann enden sie mit einem Wagner‰Konzert unter der Leitung des Dirigenten Andris Nelsons.

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Foto: Enrico Nawrath Es sind ihre Bayreuther Festspiele: Asmik Grigorian brilliert als Senta im Holländer.

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