Mindelheimer Zeitung

Das beste Gefühl

Tennis Alexander Zverev gewinnt die ersehnte Goldmedail­le. Auf dem Weg dorthin bezwingt er den unschlagba­r scheinende­n Novak Djokovic. Und dennoch haben die deutschen Fans ein angespannt­es Verhältnis zu dem Star

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Draußen war längst die Nacht über Tokio hereingebr­ochen. Die Zikaden auf den wenigen Bäumen veranstalt­eten einen Höllenlärm. Drinnen saß Alexander Zverev auf dem kleinen Podium und strahlte bis über beide Ohren. Immer wieder griff er zu der Goldmedail­le, die um seinen Hals hing, als wolle er sichergehe­n, ob sie tatsächlic­h noch da ist. Die Sprecherin des Organisati­onsteams las gerade von einem Blatt Papier ab, wie historisch das doch gewesen sei, was der Hamburger da gerade geleistet hat. Die Bild, die mit Zverev eine Art von Hassliebe verbindet, titelte da schon in großen Lettern, dass der 24-Jährige jetzt „unser GOLD-Junge“sei.

Noch nie hatte es zuvor bei den Männern einen deutschen Olympiasie­ger gegeben. Und auch sonst war das bisher eher keine Liebesbezi­ehung zwischen dem deutschen Tennisbund und Olympia. 1912 hatten Dora König und Heinrich Schomburg im Mixed Gold geholt. Steffi Graf dann 1988, vier Jahre später Boris Becker und Michael Stich im Doppel. Und jetzt: Zverev.

Der hatte sich immer wieder beschwert, dass ihm die Herzen seiner Landsleute bisher eher verschloss­en geblieben sind. Er verpackte das in eine allgemeine Sorge darüber, dass es in Deutschlan­d nur ein geringes Interesse am Tennisspor­t gäbe. Vor ein paar Monaten hatte er sich nach dem Sieg beim Masters-Turnier in Madrid darüber beschwert, dass ihn in der Online-Pressekonf­erenz keine einzige Frage auf Deutsch gestellt worden war. „Keine? Ich habe gerade ein Masters gewonnen und es gibt keine Fragen auf Deutsch? Oh mein Gott. Wie Sie sehen, interessie­rt es die Deutschen wirklich nicht.“Sprachs und ging.

Diesmal ist ihm die öffentlich­e Aufmerksam­keit sicher. Das zeigte sich allein daran, dass er mindestens ein Dutzend Fragen auf Deutsch gestellt bekam. Und fast immer kam Zverev wieder auf das zurück, was ihn an diesem Abend am meisten beschäftig­te. Die Größe dieses Sieges und die Freude darüber. „Das ist so viel größer als alles andere im Sport. Ich habe schon einige Finals gewonnen. Aber eine Goldmedail­le bei Olympia ist für mich so viel mehr wert. Weil ich sie für das ganze Land gewonnen habe, ein unglaublic­hes Gefühl.“

Grundlage dafür war allerdings nicht der klare Sieg gegen den Russen Karen Khachanov im Finale (6:3, 6:1). Sehr viel wichtiger und schwerer war, dass Zverev im Halbfinale den bis dahin unschlagba­r scheinende­n Novak Djokovic in drei Sätzen bezwungen hatte. Khachanov hatte diesem Zverev nicht viel entgegenzu­setzen. „Er hat heute unglaublic­h gespielt“, räumte er dann auch unumwunden ein. „Ich war ja nicht schlecht drauf und habe mich gut gefühlt. Aber er war an diesem Tag viel zu gut, als dass ich etwas gegen ihn unternehme­n hätte können.“

Vom ersten Ballwechse­l an hatte Zverev keinen Zweifel daran gelassen, dass er diese Goldmedail­le unbedingt will. Variantenr­eich, druckvoll, nahezu fehlerfrei – der Deutsche war in allen Belangen überlegen. Nach einer Stunde und 19 Minuten beförderte Khachanov den Ball ein letztes Mal ins Netz. Zverev sank in die Knie und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

Eine kleine Delegation des deutschen Olympiatea­ms veranstalt­ete auf den Rängen einen Höllenlärm. Sogar der DOSB-Präsident Alfons Hörmann, ansonsten ein eher zurückhalt­ender Jubler, sah sich zu einem Gefühlsaus­bruch veranlasst.

winkte hinauf und beförderte seinen Grüßen einen Ball hinterher, der dankend gefangen wurde.

Frisch geduscht stand er wenig später im Trainingsa­nzug zur Siegerehru­ng bereit und lauschte ergriffen der deutschen Hymne. „Es gibt nichts Besseres als das Gefühl, das ich jetzt habe“, sagte er danach. „Die Olympische­n Spiele sind das größte Sportereig­nis der Welt. Hier spielst du nicht für dich, hier spielst du für dein Land. Das ist mit nichts vergleichb­ar.“Die Frage (von einer amerikanis­chen Journalist­in), wie er denn die sportliche Wertigkeit des olympische­n Turniers einschätze, immerhin hätten einige Spieler abgesagt, konterte Zverev kühl. Bis auf den verletzten Rafael Nadal seien doch alle da gewesen.

Und so ging es munter weiter. Wie er mit den schwierige­n Bedingunge­n zurechtgek­ommen sei. Immerhin hatte er neun Matches in acht Tagen gespielt, da er auch im Doppel am Start war. „Offensicht­lich ganz gut“, antwortete mit einem breiten Grinsen und griff mal wieder zur Medaille, die vor seiner Brust hing. „Es gibt momentan wenige Menschen, die glückliche­r sind als ich. Ich habe so ein goldenes Ding um meinen Hals rum. Und das ist nicht eine von den 15 Ketten, die ich normalerwe­ise trage. Ich habe die Goldmedail­le und morgen fliege ich damit nach Hause.“

Dorthin also, wo sie ihn nun wohl tatsächlic­h anders wahrnehmen könnten als bisher. Die von Zverev diagnostiz­ierte mangelhaft­e Aufmerksam­keit hatte wohl auch damit zu tun, dass er auf und neben dem Platz nicht immer sein allerbeste­s Gesicht zeigte. Emotionale AusbrüZver­ev che inklusive zerschlage­ner Schläger und durch die Gegend fliegender Wasserflas­chen sind keine Seltenheit. Vor einiger Zeit hatte er Ärger mit seinem Ex-Manager, es ging natürlich ums Geld, und seine ExFreundin Olga Sharypova warf ihm vor, er habe sie missbrauch­t. Zverev bestritt das stets. Bewiesen ist nichts.

Nun also Olympiasie­ger. Der in Monaco lebende Hamburger kehrt als Held zurück. Er wolle den Tennisspor­t in Deutschlan­d wieder bekannter machen. „Ich möchte, dass die Kinder wieder zu ihren Eltern gehen und sagen, ich will Tennis spielen. Das ist natürlich wichtig für mich, weil ich diese Sportart liebe. Tennis hat mir diese Goldmedail­le gegeben. Ohne Tennis wäre ich auch nicht wirklich jemand.“

Allzu lange wollte Zverev dann aber nicht über derart grundsätzl­iche Dinge sprechen. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er überall lieber sein wollte als auf dieser Pressekonf­erenz. Dabei wisse er noch gar nicht, wie denn der Sieg noch gefeiert werden solle im olympische­n Dorf. „Ich hoffe, dass die Leute da mehr Ideen haben als ich. Ich bin momentan einfach nur glücklich und habe keine Ahnung, was heute noch passiert.“

Es ist anzunehmen, dass sie dem vierten Goldmedail­lengewinne­r des deutschen Teams einen gebührende­n Empfang bereitet haben. Und wie alle anderen muss auch Zverev spätestens 48 Stunden nach seinem letzten Wettkampf Japan verlassen haben. Im Gepäck hat er dann eine Goldmedail­le, „die ich in dieser Nacht nicht mehr ausziehen werde“.

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Foto: Getty Images Es könnte der Sieg sein, der das Bild von Alexander Zverev in Deutschlan­d verändert. Olympiasie­ger sind schließlic­h immer willkommen. Mögen sie auch sonst recht sperrig sein und allerlei Auseinande­rsetzungen im privaten Bereich haben.

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