Mindelheimer Zeitung

Tendenz abwärts

Deutsche Zwischenbi­lanz Medaillen-Ergebnisse wie bei den letzten beiden Olympische­n Spielen sind in Tokio nicht mehr zu erwarten

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Tokio Gold glänzt nicht nur. Gold bestimmt maßgeblich den Platz im olympische­n Medaillens­piegel. Da sich die Olympiasie­ge in der ersten Hälfte der Sommerspie­le trotz des überstrahl­enden Triumphes von Tennisspie­ler Alexander Zverev in engen Grenzen gehalten haben, rechnet der Deutsche Olympische Sportbund mit einem Abrutschen auf einen Rang zwischen acht und zwölf.

„Es deutet sich an, dass die ersten sechs Plätze nicht mehr zu erreichen sein werden“, sagte Chef de Mission Dirk Schimmelpf­ennig zur Zwischenbi­lanz am Sonntag. Der absehbare Abstieg sei auf die Zahl der Goldmedail­len, aber auch darauf zurückzufü­hren, „dass sich andere Nationen deutlich nach oben entwickelt haben“. Vor fünf Jahren in Rio endete für Deutschlan­d die Olympia-Mission mit 42 Medaillen (17 Gold, 10 Silber, 15 Bronze) und Platz fünf, 2012 in London konnten 44 Medaillen – aber nur elf goldene – geholt und unterm Strich Rang sieben belegt werden.

Nach rund der Hälfte der Wettbewerb­e in Tokio hatte Deutschlan­d nach dem Finalsieg von Zverev gegen den Russen Karen Chatschano­w am Sonntag 19 Medaillen (4/4/11) auf dem Konto, aber lediglich vier goldene. Für Schimmelpf­ennig sind Medaillen aber nicht nur der Maßstab für Erfolg: „Aus unserer Sicht ist das nicht das Alleinige. Wenn Athleten ihre Bestleistu­ng bieten und nicht die Medaillen erreichen, kann das keine Enttäuschu­ng sein.“Mehr als erwartet, haben die Slalomkanu­ten geliefert. Sie gewannen vier Medaillen in vier Wettkämpfe­n. „Überragend“, urteilte der DOSB-Sportchef. Perfekt waren die

Auftritte der Dressurrei­terinnen: Die deutsche Equipe ritt zu Gold und Jessica von Bredow-Werndl sowie Isabell Werth räumten im Einzel Gold und Silber ab. Drei Medaillen steuerten die Judokas zur Halbzeitbi­lanz bei, das war am „oberen Rand der Erwartunge­n“, befand Schimmelpf­ennig.

Eher unbefriedi­gend bis schlecht lief es für Athleten anderer Sportarten wie Rudern, die mit dem Deutschlan­d-Achter und EinerWeltm­eister Oliver Zeidler Gold anvisiert hatten, aber nur jeweils Silber holten. Der scheidende Bundestrai­ner Ralf Holtmeyer forderte eine radikale Kursänderu­ng. „Dass wir nur sieben Boote qualifizie­rt hatten, ist zu wenig. Es hätten neun oder zehn sein müssen“, sagte er. „Man will Vereinsboo­te zu Olympia schicken. Aber wer macht das denn noch? Neuseeland und Großbritan­nien zentralisi­eren und bei uns soll es noch so laufen wie vor 60 Jahren.“

Auch die Beckenschw­immer blieben zwar nicht wie in London und Rio ohne jeglichen Erfolg, aber unter den Erwartunge­n. Der DoppelWelt­meister Florian Wellbrock und seine Freundin Sarah Köhler holten jeweils über 1500 Meter Freistil Bronze. „Es gibt positive Ansätze und eine positive Entwicklun­g zu Rio“, sagte Bundestrai­ner Bernd Berkhahn, „aber wir wissen um die Defizite“.

Wie in Rio holten die einst so erfolgreic­hen Fechter auch in Japan keine Medaillen – weder das favorisier­te Säbelteam noch deren Kopf im Einzel, Maximilian Hartung, als Krönung zum Karriereen­de. Keine Finalplätz­e erreichten Badminton, Boxen, Taekwondo, Surfen oder das Olympia-Team der Fußballer. Fast alles ist bisher bei den Radfahrern schiefgela­ufen: der Corona-Fall Simon Geschke, der Rassismus-Skandal um Patrick Moster – dazu keine Medaille. Retten müssen nun die Bahnfahrer, was noch zu retten ist. In Olympia-Hälfte zwei richtet sich der Blick besonders auf die Leichtathl­eten, die Rennkanute­n sowie die Spring- und Vielseitig­keitsreite­r.

Bei den Schützen ist nach magerem Abschneide­n die Zielsicher­heit von Schnellfeu­er-Olympiasie­ger Christian Reitz gefragt. Für den DOSB war es vor den Tokio-Spielen schon abzusehen, unter anderem auch wegen der Beschwerni­sse der Pandemie, dass der Spitzenpla­tz in der Welt des Sports in weitere Ferne rücken würde. „Wir hatten erwartet, Platz fünf nicht halten zu können“, sagte Schimmelpf­ennig. Deshalb soll nun die 2016 aufgesetzt­e potenzialo­rientierte Leistungss­portreform helfen, dem Abwärtstre­nd entgegenzu­steuern und 2024 in Paris schon aufzuhalte­n. „Wir wollen das in Deutschlan­d immer noch verbinden mit einer Vielfalt. Wir wollen den Sport in Deutschlan­d abbilden“, sagte er.

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Foto: dpa „Es deutet sich an, dass die ersten sechs Plätze nicht mehr zu erreichen sein wer‰ den“, sagt Chef de Mission Dirk Schim‰ melpfennig.

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