„Drogen gibt es in jedem Allgäuer Dorf“
Kriminalität Ein Aussteiger packt über die Szene in der Region aus. Er berichtet von Dealern, Preisen und Partys – und warnt Eltern davor, die Gefahren zu unterschätzen. Der Polizei attestiert er, einen guten Job zu machen
Allgäu Er will nie wieder etwas mit Drogen zu tun haben. Und er will andere vor einem Schicksal wie seinem bewahren. Der Allgäuer Dennis (30, Name geändert) war jahrelang süchtig nach Haschisch, Ecstasy, Speed und Koks. Jetzt geht der Drogen-Insider, der mittlerweile clean ist, an die Öffentlichkeit. Auch um Eltern zu warnen: „Drogen sind in vielen Familien ein Tabuthema. Dabei kommt man nach meiner Erfahrung in jedem Dorf an Stoff – auch im Allgäu.“Mit unserer Redaktion sprach Dennis über
● ... den ersten Konsum: „Es geschah mit 14 Jahren im Gebüsch nahe des Dorfplatzes der Gemeinde, aus der ich komme. Ein drei Jahre älterer Kumpel hatte Haschisch dabei. Ich wollte es ausprobieren, fand es irgendwie cool. Er bot mir an mitzurauchen.“So schildert Dennis, der damals schon Zigaretten qualmte, wie er an seinen ersten Joint kam. Drogenkonsum auf dem Dorf? Was für viele befremdlich klingt, deckt sich mit Beobachtungen der Polizei. „Der Cannabiskonsum ist auch in unserer Region flächendeckend verbreitet, also nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Land. Besondere Sorge macht uns, dass die Konsumenten immer jünger werden. Teils waren sogar schon Zwölfjährige darunter“, sagte Michael Haber, Leitender Kriminaldirektor beim Polizeipräsidium Schwaben Süd/ West im Interview mit unserer Redaktion.
● ... harte Drogen: Nach seinen ersten Haschisch-Räuschen fand Dennis bald Gleichgesinnte – auch in der Schule. Die Jugendlichen organisierten sich, bildeten einen Fahrdienst. „Wir sammelten Geld ein und schickten einen Fahrer los, der Hasch bei Bekannten in Kaufbeuren, Marktoberdorf oder Reutte kaufte. In der Szene spricht sich schnell rum, wer was hat.“Schon bald kiffte Dennis zwei bis drei Mal die Woche. Mit 17 nahm er synthetische Drogen wie Ecstasy und Speed. Später kam Kokain dazu. Sein Urteil: „Im Allgäu ist alles zu haben. Es gibt zwar nicht die klassischen Hotspots, wie beispielsweise manche Parks in Großstädten. Aber wenn man sucht, findet sich immer jemand, der einen Kontakt hat.“
● ... die Partyszene: Auf vielen Partys im Allgäu würden zumindest weiche Drogen mehr oder weniger offen konsumiert, erzählt Dennis aus seiner Zeit als Süchtiger vor etwa drei Jahren. Lag das an seinem speziellen Bekanntenkreis? Dennis glaubt es nicht: „Manchmal habe ich mich selbst gewundert, wer alles Drogen nimmt.“Zum Beispiel ein erfolgreicher IT-Experte, den er später in einer nahe gelegenen Kleinstadt kennenlernte. „Der saß Tag und Nacht am PC. Um wach zu bleiben, puderte er sich die Nase.“
● ... die Hintermänner: An Drogen kam Dennis über kleinere Händler, die er persönlich kannte. Nach der genauen Quelle, so erzählt er, fragte er nie. Das würde auffallen. Dennoch hat er das eine oder andere mitbekommen. Zum Beispiel, wie ein Dealer ein Kilo Speed für 2500 Euro in Augsburg kaufte, später mit Milchpulver streckte und im Allgäu und in Oberbayern „weitervertickte“. „Drogen machen die Leute gierig. Manche werden größenwahnsinnig, fühlen sich wie Mini-Escobars“, sagt er und spielt auf den berüchtigten kolumbianischen Drogenbaron Pablo Escobar an. Doch über die Drahtzieher weiß Dennis nichts. „Ist vielleicht besser. Sonst würde ich jetzt gefährlich leben.“
● 12,50 Euro für ein Gramm Haschisch, zehn bis 20 Euro für ein Gramm Speed, 50 bis 80 Euro für ein Gramm Kokain – je nach Qualität: Diese Preise nennt Dennis fürs Allgäu. „Besonders teuer ist das nicht. Es ist ja auch ordentlich was im Umlauf.“Diese Einschätzung untermauern spektakuläre Fälle der Polizei. 42 Kilo Kokain fanden Schleierfahnder im August 2020 bei Neu-Ulm im Auto eines Rentners aus Italien. 20 Kilo Heroin und 18 Kilo Kokain entdeckten deren Kollegen im selben Monat im Auto eines 36-jährigen Belgiers auf der A7 bei Füssen. Zuvor hatte die Kriminalpolizei einen 39-Jährigen bei der Übergabe von einem Kilo Kokain in der Memminger Innenstadt festgenommen. Im Anschluss wurden zwei Kilo Amphetamin in einer Wohnung sichergestellt. Verschärft wird die Lage durch das Darknet, in dem laut Dennis vor allem junge Süchtige ihren Stoff direkt von Händlern im In- und Ausland beziehen.
● ... die Polizei und Razzien: Dennis glaubt, dass die Polizei im Allgäu einen guten Job macht. „Als Süchtiger war ich stets auf der Hut, man musste immer mit Kontrollen rechnen. Damals hat mich das natürlich geärgert. Heute finde ich es richtig.“
● ... seinen Wunsch: Dennis hofft, clean zu bleiben. Er wünscht sich, dass Drogensüchtige als Menschen gesehen werden, die Hilfe brauchen. Oftmals stünden persönliche Probleme am Anfang der Sucht. Zum Beispiel bei Jugendlichen, die darunter leiden, dass sie von ihren Eltern ständig kritisiert oder gar ignoriert werden. Sein Urteil: „Die Droge betäubt den Schmerz, bis sie selbst zum Schmerz wird.“