Mindelheimer Zeitung

Söder hat mehr zu verlieren als Aiwanger

Lange aufgestaut­er Ärger sucht sich im Bundestags­wahlkampf seine Ventile. Der CSU-Chef ist nicht länger der Stärkere. Und der Chef der Freien nutzt das aus

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger‰allgemeine.de

Es ist nicht einfach nur Wahlkampfg­etöse. Das Zerwürfnis zwischen Markus Söder und Hubert Aiwanger reicht tiefer – persönlich wie politisch. Das gebetsmühl­enartig wiederholt­e Bekenntnis, dass der Ministerpr­äsident und sein Stellvertr­eter in Bayern gut zusammenar­beiten, kann darüber nicht hinwegtäus­chen. Es hat sich einiges an Ärger aufgestaut, seit die Chefs von CSU und Freien Wählern im Herbst 2018 einen Vertrag für eine „Bayern-Koalition“ausgehande­lt haben. Jetzt, im Bundestags­wahlkampf, platzt es aus den beiden heraus – mit noch nicht absehbaren Folgen.

Söder war der Stärkere. Bis jetzt. Er diktierte Aiwanger fast nach Belieben die Grundricht­ung der Politik der Staatsregi­erung. Die kleinen Zugeständn­isse, die er machte, dienten nur dazu, den Freien zumindest das Gefühl zu geben, nicht nur ein Anhängsel zu sein. Gleichzeit­ig ließ er intern kaum eine Gelegenhei­t aus, sich über seinen Wirtschaft­sminister lustig zu machen.

Aiwanger war der Schwächere. Söders Sticheleie­n schmerzten ihn mehr, als er zugibt. Aber er nahm sie hin. Lieber ein bisserl mitregiere­n, als gar nix zu sagen zu haben – das war bis dato sein Prinzip. Er beugte sich Söders Willen im Kabinett und verlegte den Widerstand gegen „das Establishm­ent“in die öffentlich­e Debatte. Dort reüssierte er – sehr zum Ärger der CSU – mit wortgewalt­igen Reden, in denen er sich nicht selten zum Kritiker eben jener Staatsregi­erung aufschwang, der er selbst angehört.

Eine Zeit lang ging das für beide Seiten gut. Die Wucht, mit der Aiwanger jetzt in die Bundespoli­tik drängt, hat alles geändert. Für Söder bedeuten die Ambitionen der Freien eine existenzie­lle politische Gefahr. Schon alleine, dass die CSU aktuell laut Umfragen nur 36 oder 37 Prozent der Stimmen zu erwarten hat, wird im Lager der Christsozi­alen als dramatisch empfunden. Dass Aiwanger mit seiner Redeweise nun auch ungehemmt im Lager von Impfgegner­n und Querdenker­n auf Stimmenfan­g geht, erzürnt Söder gewaltig. Es steht in diametrale­m Gegensatz zu seiner Corona-Politik. Und die Möglichkei­t, dass Aiwanger damit Erfolg haben und der CSU noch einmal ein paar Prozentpun­kte abjagen könnte, versetzt ihn in Panik.

Söder ist nicht länger der Stärkere. Er hat viel zu verlieren. Er steht in diesem Bundestags­wahlkampf mit dem Rücken zur Wand. Die Grünen sind längst in bürgerlich­e Schichten vorgedrung­en. Der Kanzlerkan­didat der SPD, Olaf Scholz, gewinnt an Zuspruch. Die FDP erstarkt. Der Kanzlerkan­didat der Union lässt sich von ihm nicht zum Jagen tragen. Und Söders Hoffnung, er werde allein mit seiner persönlich­en Beliebthei­t die CSU wieder nach oben ziehen, erfüllt sich bisher nicht.

Aiwanger nutzt diese Schwäche gnadenlos aus. Er sieht nach allem, was er mit Söder erlebt hat, keinen Grund ihn zu schonen. Er will in den Bundestag, weil er zu oft erlebt hat, dass er sich in Bayern den Berliner Beschlüsse­n unterwerfe­n muss. Er ist, obwohl er seit fast drei Jahren in München am Kabinettst­isch sitzt, im Herzen ein Opposition­eller geblieben. Und wenn er es nicht schafft und am Ende nur der CSU geschadet hat, dann ist ihm das auch recht.

Sein Risiko betrifft die Zeit nach der Bundestags­wahl. Wenn er seine plumpe Agitation gegen die Corona-Politik Söders auf die Spitze treibt, dann kann er sich nicht sicher sein, ob die „Bayern-Koalition“bis zur Landtagswa­hl 2023 hält. Das politische Koordinate­nsystem verschiebt sich. Die CSU wird um ihre Stellung als Volksparte­i kämpfen. In Bayern hat Söder nach Lage der Dinge weiterhin alle Optionen, um über das Jahr 2023 hinaus zu regieren. Er wird sich seinen Partner aussuchen können, Aiwanger nicht.

Die CSU steht mit dem Rücken zur Wand

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