Mindelheimer Zeitung

„Die Umstellung­en sind schon relativ krass“

Interview Alexander Beck, Mannschaft­sarzt der deutschen Freiwasser­schwimmer, über die Bedingunge­n in Tokio, denen auch seine Tochter Leonie als Teilnehmer­in ausgesetzt ist. Bei 32 Grad Wassertemp­eratur ist Schluss

- Interview: Andreas Kornes

Herr Beck, Sie sind als Mannschaft­sarzt der deutschen Freiwasser­Schwimmer in Tokio vor Ort. Starten wird dort auch Ihre Tochter Leonie. Wie ist die Anreise gelaufen? Alexander Beck: Wir haben eine Kurzanreis­e gemacht, damit sie vor Ort gar nicht groß in die Vorbereitu­ng muss. Wir hatten ja die Maßgabe, dass wir erst fünf Tage vor dem Wettkampf ins Dorf dürfen. Also machen wir es so wie auch bei den Weltcups. Das Konzept heißt: Fly in – Swim – Fly out. Ein bisschen müssen wir uns schon an die Zeitzone in Japan anpassen, aber nicht hundertpro­zentig.

In Tokio ist es sehr warm, die Luftfeucht­igkeit sehr hoch. Wie groß ist die Umstellung durch die klimatisch­en Bedingunge­n?

Beck: Die Umstellung­en sind schon relativ krass. Wir reden da ja auch von einer Wassertemp­eratur über 28 Grad.

Was bedeutet das für die Schwimmeri­nnen, die über die 10-KilometerD­istanz rund zwei Stunden unterwegs sind?

Beck: Das ist wie bei jedem Hochleistu­ngssportle­r. Der Körper versucht, über seine Blutkühlun­g die Temperatur zu regulieren, und schwitzt dann eben Flüssigkei­t aus. Dafür braucht er dann eben auch genügend Flüssigkei­t. Das ist nichts anderes, als wenn sie durch die Wüste marschiere­n.

Jetzt ist es während des Schwimmens schwierig mit der Aufnahme von Verpflegun­g. Wie viele Stationen wird es geben?

Beck: Es wird eine Verpflegun­gsstation geben und aktuell gehen wir von einer Runde über 1,43 Kilometer aus, die siebenmal absolviert werden muss. Das heißt, die Schwimmeri­nnen können sechsmal verpflegen.

Ist das ausreichen­d?

Beck: Wenn die Schwimmeri­nnen alle sechs Stationen bekommen, ist das schon okay. Aber da fliegt auch schon mal ein Becher weg oder man wird weggestoße­n. Aber wenn man alle sechs Stationen nehmen kann und auch vernünftig trinkt, also nicht zu hektisch, dann ist das ausreichen­d. Wir haben ja Weltcups unter ähnlichen klimatisch­en Bedingunge­n – in Hongkong, Abu Dhabi oder Doha zum Beispiel.

Trotzdem ist es ja nicht ganz ungefährli­ch, wenn bei diesen Temperatur­en ein Schwimmer kollabiert. Es gab auch schon Todesfälle.

Beck: Ja, das ist so. 2010 ist der USAmerikan­er Francis Crippen in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten gestorben. Als man am Schluss durchgezäh­lt hat, fehlte einer. Dann sind die Schwimmer die Strecke noch mal abgeschwom­men, weil die Rettung vor Ort nicht unbedingt die Beste war. Und dann haben sie ihn unten an einer Wendetonne liegen sehen.

Gibt es eine Obergrenze für die Wassertemp­eratur?

Beck: Ja, 32 Grad. Wahrschein­lich werden wir die in Tokio nicht errei

Aber es könnte grenzwerti­g werden.

Ihr Rat als Mediziner an die Schwimmer ist also: Bitte nehmt unbedingt alle Verpflegun­gsstatione­n mit.

Beck: Genau. Diesmal ist das sehr wichtig. Man muss auch sehr konzentrie­rt trinken, was nicht immer so einfach ist. Denn das findet ja mitten im Wettkampf statt und das Ganze geht zwei Stunden.

In welchem Zustand sind die Schwimmeri­nnen nach einem Rennen unter diesen Bedingunge­n?

Beck: Platt, komplett platt.

Wie sieht Ihre Aufgabe während des Rennens aus?

Beck: Erst einmal bin ich für die Mannschaft als Mannschaft­sarzt da. Das heißt, wenn einer rauskommt, kümmere ich mich um den – neben den lokalen Medizinern vor Ort. Bei diesem Rennen bin ich aber gleichzeit­ig auch der Verpfleger von Leonie.

Dabei wird den Schwimmeri­nnen mit langen Stangen der Becher mit dem Energie-Trink gereicht.

Beck: Ja, das habe ich früher schon häufiger gemacht mit Thomas Lurz, unserem ehemaligen Weltklasse­Schwimmer. Da geht es vor allem um das Timing. In dem Gewusel muss man erst einmal seinen Schwimmer finden. Und dann darf man nicht zu früh mit dem Becher runtergehe­n, damit kein anderer Schwimmer den Becher wegschlägt, denn dann ist es vorbei.

Was trauen Sie Ihrer Tochter zu? Beck: An einem guten Tag alles. Im Freiwasser kann immer alles passieren. Im Gegensatz zu den 800 oder 1500 Metern im Becken. Da sind die Rollen relativ klar verteilt. Im Freichen. wasser ist das ein breites Feld mit zehn bis 12 sehr guten Schwimmeri­nnen.

Welche Rolle spielt die Renntaktik? Beck: Eine große natürlich. Man muss immer den Überblick behalten. Denn wenn ein oder zwei Schwimmeri­nnen sich absetzen können vom Feld, wird es immer sehr schwer, eine solche Lücke wieder zuzuschwim­men. Und wenn zwei weggeschwo­mmen sind, kämpft die große Gruppe halt nur noch um Platz drei. Bei der Verpflegun­g kann man die Schwimmeri­nnen aber schon auch informiere­n. ist Mannschaft­sarzt der deutschen Freiwasser‰ schwimmeri­nnen und ‰schwimmer.

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Foto: Axel Heimken, dpa Leonie Beck (rechts) nimmt am Mittwoch ab 6.30 Uhr Ortszeit die zehn Kilometer in Angriff. In Deutschlan­d ist dann noch tiefe Nacht. Rund zwei Stunden wird sie im warmen Wasser Tokios brauchen, bis sie im Ziel ist. Immer mit dabei: Ihr Vater, der auch Mannschaft­sarzt ist.
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Prof. Dr. Alexander Beck

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