Einfach mal aufs Rad umsteigen
Grünes Unterallgäu Drei Unterallgäuer setzen aus ganz unterschiedlichen Gründen auf ganz unterschiedliche Fahrräder – und hoffen auf Nachahmer
Mindelheim Eigentlich sind fünf Kilometer mit dem Fahrrad noch gut zu bewältigen. Trotzdem steigen viele sogar für noch kürzere Strecken lieber ins Auto: Laut dem Umweltbundesamt führen bis zu 50 Prozent der Autofahrten in Großstädten über eine Strecke von weniger als fünf Kilometern. Und das, obwohl das Fahrrad gerade auf diesen kurzen Strecken oft das schnellste Verkehrsmittel ist – und abgesehen vom zu Fuß gehen auch das umweltfreundlichste. Es hält fit, kann Extra-Sport ersetzen und ziemlich viel Spaß machen, finden drei Unterallgäuer, die aus ganz unterschiedlichen Gründen auf ganz unterschiedliche Räder umgestiegen sind.
Sebastian Schunke unterrichtet an der Technikerschule in Mindelheim und fährt seit Jahren mit dem Rad zur Arbeit: erst aus Oberthingau, was einfach gut 36 Kilometer sind, später aus Amberg und jetzt aus dem noch 16 Kilometer entfernten Sontheim. Dass er aus Dessau in Sachsen-Anhalt stammt, laut Schunke „die Fahrrad-Stadt schlechthin“, spielte bei der Wahl seines Verkehrsmittels aber eher eine untergeordnete Rolle. Ausschlaggebend waren im Grunde finanzielle Überlegungen: „Es wäre damals einfach zu teuer gewesen, ein zweites Auto zu kaufen“, erklärt Schunke.
Weil seine Frau das bereits vorhandene brauchte, um damit zur Arbeit nach Kaufbeuren zu fahren, stieg Sebastian Schunke also aufs Rad. „Ich dachte, ich probier’s mal – und dann hat sich das so ergeben.“Damals musste er noch nach Kempten, der Winter kam spät und eigentlich, so Schunkes Erfahrung, „gibt es eh nur fünf Tage im Jahr, wo es echt unangenehm ist“. Regen sei schließlich nicht schlimm – auch wenn er, wenn es richtig schüttet, komplett nass in der Schule ankommt. Dort hat er längst ein Handtuch und Wechselklamotten deponiert – er will schließlich auch nicht in verschwitzen Radklamotten vor den Schülern stehen. Eine Dusche gibt es in der Schule auch – und für sein Fahrrad immer einen Stellplatz.
„Eigentlich habe ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich mal nicht mit dem Fahrrad fahre“, sagt der 37-Jährige. Denn schließlich ist
Techniker- zugleich auch Klimaschule und das wirkt sich auch auf das eigene Umweltbewusstsein aus: Mehr als eine Tonne Material zu bewegen, nur um von A nach B zu kommen, ist nun einmal nicht besonders effizient. Dabei, das gibt Sebastian Schunke zu, ist er früher viel Auto gefahren. „Ich bin tatsächlich mit dem Auto zum Klettern gefahren“, sagt er und schüttelt über sich selbst den Kopf.
Dass er mit dem Rad ein bisschen länger unterwegs ist als mit dem Auto, stört ihn nicht. Schließlich ist mit der täglichen Tour gleich das Sportprogramm erledigt, er kann die frische Luft und die Natur genießen – und nimmt die „Pendelzeit“deshalb gar nicht als solche wahr.
Der Klimaschutzmanagerin der Stadt Mindelheim, Simone Kühn, geht es genauso. „Man wird durch
der Kreislauf kommt auf Touren und man nimmt die Landschaft ganz anders wahr“, findet sie. Vom Auto aus wäre ihr die Blumenwiese bei Kammlach wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, an der sie im vergangenen Jahr so gerne vorbeigeradelt ist.
Sie fährt mindestens einmal pro Woche mit dem S-Pedelec von Memmingen zum Mindelheimer Rathaus, an den übrigen Tagen oder wenn das Wetter gar zu garstig ist, setzt sie sich in den Zug. Denn als Klimaschutzmanagerin jeden Tag mit dem Auto vorzufahren, wäre in ihren Augen ein Unding – „auch wenn es natürlich das Einfachste ist“, wie die 56-Jährige offen zugibt. „Aber ich habe eine gewisse Vorbildfunktion, die ich auch ausfüllen möchte“, sagt sie. Ihr geht es darum, CO2 einzusparen. „Weil ich mich beruflich mit dem Klimawandie
del beschäftige, sehe ich: Wir müssen unsere Mobilität ändern. Und das andere ist der Gesundheitsaspekt: Ich hab’ schon in der Früh eine Stunde Bewegung und am Nachmittag auch noch mal.“
Für die knapp 28 Kilometer lange Strecke braucht sie mit ihrem schwarzen Flitzer etwa 50 Minuten, mit dem Zug sind es – das Lösen der Fahrkarte nicht mit eingerechnet – von Haustür zu Haustür nur fünf weniger. Und dank des kraftvollen Motors – das S-Pedelec unterstützt bis zu einer Geschwindigkeit von 45 Stundenkilometern – ist das Ganze auch nicht allzu schweißtreibend. Darüber, ob ihr Fahrrad einen Motor haben soll, hat sich Simone Kühn lange Gedanken gemacht. Zunächst hat sie sich mit einem Klapprad in den Zug gesetzt, um vom Bahnhof bis zum Rathaus zu fahren. Für das Rad musste sie allerdings ein Zugepustet, satzticket lösen, es rostete bald und sie sah sich nach einer Alternative um. „In dem Alter brauchst du noch kein E-Bike“, hätten viele gesagt. „Aber das stimmt so nicht. Das ist auch ein Spaßfaktor.“Denn das S-Pedelec ermöglicht ihr auch, bei Radtouren mit durchtrainierten Freunden mitzuhalten. Ihr Mann hat ebenfalls eins und holt sie damit manchmal von der Arbeit ab, was beide sehr genießen – und mit herkömmlichen Rädern so wahrscheinlich nicht möglich wäre.
Auch Stefan Purkert weiß den Elektroantrieb sehr zu schätzen. Denn ohne wäre sein Lastenrad wegen des hohen Eigengewichts wohl nur etwas für versierte Ausdauersportler. So aber kann er damit problemlos auch längere Strecken zurücklegen – und kräftig zuladen: Im Kasten vor dem Lenker haben seine beiden Kinder – der zehnjährige Cedric und die fast einjährige Celina – Platz – oder auch zwei Getränkekisten und etliche weitere Einkäufe. „Man muss nicht jeden Weg mit dem Auto fahren“, ist der 46-Jährige überzeugt.
Und weil er das auch früher schon so gesehen hat, hat er zum 18. Geburtstag nicht den Führerschein gemacht, sondern sich ein Fahrrad gekauft. Allerdings ist die Begeisterung fürs Radeln später deutlich abgeebbt. Er pendelte zur Arbeit nach München, da war Radfahren keine Option. Dann aber hat der 46-Jährige in der MZ davon gelesen, dass die Stadt Mindelheim Lastenfahrräder mit 400 Euro bezuschusst. „Das war unser Ansporn.“
Seit rund drei Wochen ist er nun stolzer Besitzer eines Lastenrades – und begeistert. Mit den Kindern fährt er nach der Arbeit kreuz und quer durch Mindelheim und hat so schon etliche bis dato unbekannte Ecken entdeckt. Und er hat bereits einige Autofahrten – wie etwa den Weg zum Getränkemarkt – durch das Lastenrad ersetzt. Das ist nur fünf Zentimeter länger als ein normales Tourenrad und findet im Gegensatz zum Auto nahezu überall Platz. Nur auf den Radwegen wird es bisweilen ein wenig eng, oder arg holprig, wenn etwa der Radweg mit einem Kopfsteinpflaster-Streifen von der Straße abgetrennt, aber so schmal ist, dass man mit dem breiten Rad zwangsläufig auf dem Kopfsteinpflaster fährt. „Das ist nicht ganz durchdacht“, findet Purkert, der jedoch nicht nörgeln will. Denn was nicht ist, kann ja noch werden. Die Förderung der Stadt sei jedenfalls eine gute Chance, um mehr Räder auf die Straße zu bringen.