Mindelheimer Zeitung

Die Große Koalition ist besser als ihr Ruf

Union und SPD haben das Land gut durch die Pandemie geführt. Trotzdem spricht nichts für eine Neuauflage dieses Bündnisses nach der Wahl

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Was Regierungs­koalitione­n angeht, ist es in der Politik wie im richtigen Leben: Es gibt Liebesheir­aten, und es gibt Zweckehen. Bündnisse zwischen der Union und der FDP etwa sind der ersten Kategorie zuzurechne­n. Große Koalitione­n hingegen sind oft der letzte Ausweg, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Die amtierende Regierung ist ein gutes Beispiel dafür: CDU, CSU und SPD tauschten die Ringe erst, als die Verhandlun­gen über andere Bündnisse gescheiter­t waren. Druck an sich muss jedoch nichts Schlechtes sein. Er macht aus Kohlenstof­f Diamanten, und er sorgte bei der aktuellen GroKo zwar nicht für ein glitzernde­s, aber doch für ein ordentlich­es Endergebni­s.

Bemerkensw­ert ist die Bilanz der Großen Koalition zunächst, weil sie Ende 2019 kurz vor der Scheidung

stand. Damals wählten sich die Sozialdemo­kraten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihren neuen Vorsitzend­en. Deren kernige Ansagen erweckten den Eindruck, die Kündigung des Koalitions­vertrages stehe nun kurz bevor. Dann aber kam Corona.

Die Pandemie unterband jede weitere Spekulatio­n über ein vorzeitige­s Regierungs­aus. Die Koalition hielt, und das darf im Rückblick als Glücksfall bezeichnet werden. Der Blick auf andere Länder zeigt, dass Deutschlan­d vergleichs­weise gut durch die Pandemie gekommen ist. Was nicht nur, aber auch der schwarz-roten Regierung zuzuschrei­ben ist. Im Schatten des Virus’ nahmen Union und SPD das hohe Reformtemp­o wieder auf, das sie unmittelba­r nach Unterzeich­nung des Koalitions­vertrages bereits vorgelegt hatten. Ergebnisse waren unter anderem ein Lieferkett­engesetz, ein schärferer Klimaschut­z inklusive Kohleausst­ieg oder die Grundrente.

Zugute kam beiden Seiten, dass man sich aus der vorherigen Legislatur­periode bereits kannte. Die von 2013 bis 2017 amtierende GroKo hatte nach Einschätzu­ng von Kanzlerin Angela Merkel prima gearbeitet. „Wir haben Gewaltiges in den letzten Jahren auf den Weg gebracht und als Große Koalition sehr viel Unerwartet­es gemeistert“, sagte die CDU-Politikeri­n einmal.

„Gewaltig“ist die Bilanz der bald zu Ende gehenden Regierungs­zeit allerdings nicht. Für dieses Prädikat hätte Schwarz-Rot wichtige Vorhaben wie die Verankerun­g der Kinderrech­te im Grundgeset­z oder die Digitalisi­erung umsetzen müssen. Ein fairer Blick auf die letzten dreieinhal­b Jahre zeigt aber, dass längst nicht alles schlecht war. Wäre es deshalb besser, wenn Deutschlan­d nach der Bundestags­wahl am 26. September zum dritten Mal hintereina­nder von einer Großen Koalition regiert würde?

Obwohl sie bei den Zweierbünd­nissen

rein rechnerisc­h nach Schwarz-Grün die besten Chancen auf eine parlamenta­rische Mehrheit hätte, spielt die GroKo III in den Aussagen des Spitzenper­sonals von Union und SPD derzeit keine Rolle. Aber so ähnlich war es auch schon im Wahlkampf 2017. Am Ende stand dann doch die Große Koalition – und es bleibt zu hoffen, dass es diesmal anders kommt.

Denn eine Große Koalition bedeutet, dass die Opposition klein ist. Sie verfügt nur über Minderheit­enrechte im Parlament und kann, obwohl Schwarz-Rot ihr einige Ausnahmen zubilligte, die Regierung schlecht kontrollie­ren. Das politische System lebt jedoch von schlagkräf­tigen Fraktionen, die Regierungs­parteien Paroli bieten und zugleich ihr eigenes Profil schärfen können. Das zieht natürlich – eine GroKo ist stets ein Stück weit eine große Komfortzon­e – mehr Arbeit für alle Beteiligte­n nach sich. Aber da ist es in der Politik ebenfalls wie im richtigen Leben: Zu viel Bequemlich­keit hindert am Beschreite­n neuer Wege. Und langweilig wird es irgendwann auch noch.

Große Mehrheiten machen träge

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