Die Große Koalition ist besser als ihr Ruf
Union und SPD haben das Land gut durch die Pandemie geführt. Trotzdem spricht nichts für eine Neuauflage dieses Bündnisses nach der Wahl
Was Regierungskoalitionen angeht, ist es in der Politik wie im richtigen Leben: Es gibt Liebesheiraten, und es gibt Zweckehen. Bündnisse zwischen der Union und der FDP etwa sind der ersten Kategorie zuzurechnen. Große Koalitionen hingegen sind oft der letzte Ausweg, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Die amtierende Regierung ist ein gutes Beispiel dafür: CDU, CSU und SPD tauschten die Ringe erst, als die Verhandlungen über andere Bündnisse gescheitert waren. Druck an sich muss jedoch nichts Schlechtes sein. Er macht aus Kohlenstoff Diamanten, und er sorgte bei der aktuellen GroKo zwar nicht für ein glitzerndes, aber doch für ein ordentliches Endergebnis.
Bemerkenswert ist die Bilanz der Großen Koalition zunächst, weil sie Ende 2019 kurz vor der Scheidung
stand. Damals wählten sich die Sozialdemokraten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihren neuen Vorsitzenden. Deren kernige Ansagen erweckten den Eindruck, die Kündigung des Koalitionsvertrages stehe nun kurz bevor. Dann aber kam Corona.
Die Pandemie unterband jede weitere Spekulation über ein vorzeitiges Regierungsaus. Die Koalition hielt, und das darf im Rückblick als Glücksfall bezeichnet werden. Der Blick auf andere Länder zeigt, dass Deutschland vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen ist. Was nicht nur, aber auch der schwarz-roten Regierung zuzuschreiben ist. Im Schatten des Virus’ nahmen Union und SPD das hohe Reformtempo wieder auf, das sie unmittelbar nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages bereits vorgelegt hatten. Ergebnisse waren unter anderem ein Lieferkettengesetz, ein schärferer Klimaschutz inklusive Kohleausstieg oder die Grundrente.
Zugute kam beiden Seiten, dass man sich aus der vorherigen Legislaturperiode bereits kannte. Die von 2013 bis 2017 amtierende GroKo hatte nach Einschätzung von Kanzlerin Angela Merkel prima gearbeitet. „Wir haben Gewaltiges in den letzten Jahren auf den Weg gebracht und als Große Koalition sehr viel Unerwartetes gemeistert“, sagte die CDU-Politikerin einmal.
„Gewaltig“ist die Bilanz der bald zu Ende gehenden Regierungszeit allerdings nicht. Für dieses Prädikat hätte Schwarz-Rot wichtige Vorhaben wie die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz oder die Digitalisierung umsetzen müssen. Ein fairer Blick auf die letzten dreieinhalb Jahre zeigt aber, dass längst nicht alles schlecht war. Wäre es deshalb besser, wenn Deutschland nach der Bundestagswahl am 26. September zum dritten Mal hintereinander von einer Großen Koalition regiert würde?
Obwohl sie bei den Zweierbündnissen
rein rechnerisch nach Schwarz-Grün die besten Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit hätte, spielt die GroKo III in den Aussagen des Spitzenpersonals von Union und SPD derzeit keine Rolle. Aber so ähnlich war es auch schon im Wahlkampf 2017. Am Ende stand dann doch die Große Koalition – und es bleibt zu hoffen, dass es diesmal anders kommt.
Denn eine Große Koalition bedeutet, dass die Opposition klein ist. Sie verfügt nur über Minderheitenrechte im Parlament und kann, obwohl Schwarz-Rot ihr einige Ausnahmen zubilligte, die Regierung schlecht kontrollieren. Das politische System lebt jedoch von schlagkräftigen Fraktionen, die Regierungsparteien Paroli bieten und zugleich ihr eigenes Profil schärfen können. Das zieht natürlich – eine GroKo ist stets ein Stück weit eine große Komfortzone – mehr Arbeit für alle Beteiligten nach sich. Aber da ist es in der Politik ebenfalls wie im richtigen Leben: Zu viel Bequemlichkeit hindert am Beschreiten neuer Wege. Und langweilig wird es irgendwann auch noch.
Große Mehrheiten machen träge