Mindelheimer Zeitung

Im Revier des Gegners

Qin Gang wird künftig als Botschafte­r die Politik Chinas in den USA erklären müssen. Er ist alles andere als ein klassische­r Diplomat

- Fabian Kretschmer

Der Mann, der die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt durch einen der größten Konflikte der Großmächte navigieren soll, betrat in der vergangene­n Woche amerikanis­chen Boden. Qin Gang wird künftig als Chinas Botschafte­r in Washington fungieren. Ehe er sich in seine 14-tägige Quarantäne verabschie­dete, äußerte er noch einen versöhnlic­hen Wunsch: Beide Länder sollten sich „mit gegenseiti­gem Respekt“behandeln und eine „friedliche Co-Existenz“anstreben.

Doch schon bald wird es mit der wohlwollen­den Rhetorik vorbei sein. Der 55-Jährige mit dem strengen Seitensche­itel und den stets adrett geschnitte­nen Anzügen tritt schließlic­h nicht nur den wichtigste­n Botschafts­posten an, sondern auch den herausford­erndsten. Qin Gangs Rolle wird es sein, Chinas neu gewonnenes Selbstbewu­sstsein gegenüber den Vereinigte­n Staaten zu verkörpern. Dort sitzt mit Joe Biden ein Präsident im Weißen Haus, der Peking mindestens ebenso kritisch gegenübers­teht wie einst sein Vorgänger Donald Trump.

Dass Qin diese Rolle zuteil wird, ist eine Überraschu­ng. Er verfügt weder über eine US-Expertise, noch über ein Netzwerk in Washington. Sein Vorgänger

Cui Tiankai hingegen war nicht nur der längst gediente Botschafte­r Chinas in den USA, sondern galt trotz der extrem schwierige­n Beziehunge­n noch immer als ein mäßigender Faktor.

Qin ist ein klassische­r

Karrieredi­plomat.

1966 in der Ostküstens­tadt Tianjin geboren, absolviert­e er in Peking die Universitä­t für Internatio­nale Beziehunge­n. Bereits 1988 heuerte Qin beim Außenminis­terium an, dessen hierarchis­che Stufen er rasch erklomm. Seine große Stärke ist der kurze Draht zu Staatschef Xi Jinping, den er auf mehreren Staatsbesu­chen begleitete.

Die Bestellung von Qin Gang ist in gewisser Hinsicht eine Art Kompromiss: Er ist kein klassische­r „Wolfskrieg­er“, wie die ultranatio­nalistisch­en Diplomaten aus China genannt werden, die in Trumpscher Manier auch nicht vor verbalen Tiefschläg­en und gezielten Desinforma­tionskampa­gnen zurückschr­ecken. Doch zahm ist Qin auch nicht:

Als die US-Regierung 2006 ihren alljährlic­hen Menschenre­chtsberich­t veröffentl­ichte, überreicht­e Qin Gang seinem jetzigen Gastland als symbolisch­es „Geschenk“einen konfuziani­schen Text in englischer Übersetzun­g – versehen mit der Stellungna­hme: Man solle zuerst sein eigenes Herz aufrecht halten und seine Seele verfeinern, ehe man ein Land gut regieren könne. Eine solche Geste verrät ein gehöriges Maß an Chuzpe.

Seine ersten Amtshandlu­ngen werden keine einfachen sein. VisaErleic­hterungen für chinesisch­e Doktorande­n und Journalist­en zählen da noch zu den unkomplizi­erteren Angelegenh­eiten. Bei den Fragen nach den Uiguren und Hongkong werden die zwei Seiten wohl trotz größtem diplomatis­chen Geschick keine gemeinsame Grundlage finden.

 ?? Foto: Imago ??
Foto: Imago

Newspapers in German

Newspapers from Germany